Raketenstarts geplant Countdown in der Nordsee
Im Juni sollen zum ersten Mal Raketen von einer mobilen Startplattform in der Nordsee abheben. In der Testphase werden sie den Weltraum nicht erreichen - das könnte sich ab 2026 ändern.
Die Anfänge sind bescheiden: Die Raketen, die demnächst aus der Nordsee starten sollen, sind maximal vier Meter hoch und fliegen nicht höher als 42 Kilometer.
Sie werden den Weltraum also nicht erreichen. Das teilte die German Offshore Spaceport Alliance (GOSA) mit, ein Joint Venture von vier Unternehmen, die den Startplatz aufbauen und betreiben. In dieser sogenannten Demo-Kampagne soll getestet werden, ob die Starts von der schwimmenden Plattform in der Nordsee überhaupt funktionieren.
Sabine von der Recke, Mitglied der Geschäftsführung bei GOSA erklärt: "Die größte Herausforderung ist das Wetter. Das ist aber bei allen Raketenstarts der Fall, auch von Land aus. Wir gehen momentan davon aus, dass der Wellengang maximal anderthalb Meter betragen darf."
In der Testphase im Juni werden vier Raketenbauer ihre Raketen starten, darunter ein kommerzielles Unternehmen aus den Niederlanden und Space Team Aachen, eine studentische Initiative.
Bedarf der Industrie dürfte zunehmen
Der Anstoß zu einer privatwirtschaftlich betriebenen und genutzten Startplattform in der Nordsee war vor einigen Jahren vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gekommen. Die Idee: Der Bedarf der Industrie, Kleinsatelliten in den Weltraum zu bringen, wird in den nächsten Jahren zunehmen, darum ergibt ein eigener deutscher Zugang zum Weltraum Sinn. Bislang war die geografische Lage Deutschlands auf der Nordhalbkugel ein Nachteil für Raketenstarts.
In der Vergangenheit waren Satelliten sehr groß. Wir reden über kleine Pkw, die primär in der Nähe des Äquators gestartet wurden, weil die Satelliten in geostationären Orbits fest positioniert wurden. Dafür war es vorteilhaft, in der Nähe des Äquators gen Osten zu starten, die Erdrotation mitzunehmen, dadurch spart man Treibstoff.
Heute sind die meisten Satelliten wesentlich kleiner. Viele haben maximal die Größe eines Kühlschranks und fliegen zur Erdbeobachtung oder in großen Konstellationen. Das bedeutet, dass viele Satelliten in einer Anordnung fliegen.
Maritime Starts in Deutschland die einzige Möglichkeit
BDI-Bereichsleiter Wachter erklärt weiter: "Um globale Abdeckungen zu erreichen, positioniert man kleine Satelliten in polare sonnensynchrone Orbits, das heißt, vereinfacht gesagt, die Satelliten fliegen vom Nordpol zum Südpol und auf der anderen Seite wieder hoch". Die Erde rotiere darunter durch - so könne man mit einer Kette an Satelliten an einem Tag eine globale Abdeckung erreichen.
Um diese Orbits zu erreichen, kann man auch aus Deutschland starten. Der ehemalige Astronaut und Raketenexperte Ulrich Walter sagt, dass aufgrund der dichten Besiedlung maritime Starts praktisch die einzige Möglichkeit sind, um von hier aus sicher Raketen zu starten:
Die Raketen müssen genau Richtung Norden starten. Damit sie beim Aufstieg mit der größten Explosionsgefahr keine Menschen auf dem Boden gefährden, müssen sie über das Meer aufsteigen, also entweder an der Nordseeküste starten oder noch besser in der Nordsee selbst. Deutsches Hoheitsgebiet endet im sogenannten Entenschnabel bei der Doggerbank.
Von dort sollen die Starts erfolgen.
Vorbereitung auf Starts in den Weltraum
Sollte die Testphase erfolgreich verlaufen, könnten ab 2026 sogenannte Microlauncher, also kleine und leichte Trägerraketen, mit Satelliten in den Weltraum starten. Noch an Land, in Bremerhaven, werden die Raketen dafür in eine sogenannte Launch Box gepackt und auf eine Barge gerollt. Diese Plattform wird in die Nordsee geschleppt, dort wird die Box geöffnet, die Rakete aufgerichtet, betankt und vom Schiff aus gestartet. Die Plattform kann dabei die Schaukelbewegung des Wassers bis zu einer gewissen Höhe ausgleichen.
Völlig neu sind Raketenstarts vom Wasser aus nicht, aber weltweit starten Raketen gemeinhin von Land. Um mit Raketen aus der Nordsee wirklich in den Weltraum zu starten, bedarf es dann noch einiger Vorbereitung.
Bei den suborbitalen Starts jetzt will man zunächst praktische Erfahrung sammeln. Dazu gehören die Starts selbst, aber auch die Kommunikationswege, die man mit Kunden, Partnern sowie den zuständigen Behörden und Institutionen gehen muss. Bei Raketenstarts müssen Genehmigungen eingeholt werden, so muss etwa der Luftraum gesperrt werden.
Deutsche Raketenbauer am Start
Mehrere deutsche Raketenbauer stehen derzeit in den Startlöchern. Sie werden ihre ersten Missionen allerdings von Land starten. Startplätze gibt es etwa in Norwegen und Schottland. "Damit wir aus der Nordsee wirklich Orbitalstarts machen, also Raketen in den Weltraum bringen, sind wir jetzt darauf angewiesen, dass die ersten Missionen möglicher Kunden an Land gelingen", erklärt GOSA-Mitarbeiterin von der Recke.
Mit Blick auf die Zukunft ist sie optimistisch: "Wir haben die gesamte Wertschöpfungskette in Deutschland. Wir haben einen Spaceport, Raketen und Satelliten, die hier gebaut werden und ihre Dienste erbringen."
Ulrich Walter betont, dass Weltraumstarts aus der Nordsee gerade für die jungen deutschen Raketenbauer viele Vorteile haben: "Für deutsche Launcher bedeutet das keinen Papierkrieg wegen Grenzübergang und wenig Vorlaufzeit. Die Start-ups, die ihre Raketen im 3D-Druck schnell bauen werden, können die Zeit zwischen 'Kunde will einen Satelliten ins All bringen' und 'Er ist im All' auf wenige Monate verkürzen." Hinzu komme, dass die Preise fallen werden.
Wachsendes Geschäft mit Satelliten
Der BDI rechnet vor, dass in den vergangenen 60 Jahren so viele Satelliten in den Weltraum gebracht wurden wie ungefähr in den vergangenen drei bis vier Jahren. Die Prognosen, die jährlich nach oben korrigiert würden, gingen davon aus, dass bis 2030 jedes Jahr etwa 2.000 Satelliten ins All starten. Der Großteil von ihnen sind Klein- und Kleinstsatelliten, die in den Orbits positioniert werden, die von der Nordsee aus angeflogen werden. Der Bedarf wäre also da. Auf die Frage, ob die mobile Startplattform demnächst auch als echter "Weltraumbahnhof" bezeichnet werden kann, sagt GOSA-Mitarbeiterin von der Recke:
Das ist eine interessante Diskussion, die führen wir auch immer wieder. Ich kann mit Weltraumbahnhof gut leben, Raketenstartplatz aus der Nordsee kann man auch sehr gut sagen. Und wenn irgendjemand meint, wir müssen das Raumflughafen nennen, dann muss ich mich jedes Mal zusammenreißen, aber dann mache ich das auch.
Am Ende des Tages gehe es ihr einzig und allein darum, kleine Trägerraketen aus der Nordsee zu starten: "Das müssen wir können, gerade als Hochtechnologieland."