25 Jahre ISS "Die unwahrscheinlichste Maschine, die Menschen bauten"
1998 fiel der Startschuss für die Internationale Raumstation. Russland brachte mit einer Rakete das erste Bauteil ins All. Seitdem fliegt die ISS als multinationales Forschungslabor um die Erde.
ESA-Astronaut Alexander Gerst war zweimal auf der ISS, verbrachte fast ein Jahr auf der Raumstation. Wenn man ihn bittet, die ISS zu ihrem Jubiläum in zwei Sätzen zu würdigen, schüttelt er mit dem Kopf. Für ihn habe die ISS zu viele Aspekte, um sie in Kürze zu beschreiben: "Viele Menschen denken, dass die ISS aus wissenschaftlichen und technologischen Gründen gestartet wurde. Aber in Wirklichkeit, was zur damaligen Zeit noch viel wichtiger war: Es war die Kooperation, die dieses Projekt mit sich bringen würde."
Ein Projekt der 90er Jahre
1998 unterzeichneten 15 Länder - die USA, Russland, Kanada, Japan und die Europäische Weltraumagentur (ESA) mit damals elf Mitgliedsländern - die Erklärung zum Aufbau und Betrieb der Internationalen Raumstation. Damals stimmte die politische Weltlage für das multinationale Großprojekt. Die Sowjetunion war auseinandergebrochen, der Ost-West-Konflikt beigelegt, die Zeit war reif für einen gemeinsamen Außenposten der Menschheit im All.
Seit dem Jahr 2000 leben und arbeiten dauerhaft Astronauten auf der ISS - sie ist ein fliegendes Hightech-Labor, mehr als 400 Tonnen schwer und umrundet die Erde alle 90 Minuten in rund 400 Kilometer Höhe.
"Heute würden einem die meisten einen Vogel zeigen"
Für ESA-Astronaut Alexander Gerst ist die ISS die "wertvollste und zugleich unwahrscheinlichste Maschine", die die Menschheit je gebaut hat. "Wenn man heute als Politiker vorschlagen würde: Lasst uns zusammen über Kontinente hinweg eine Raumstation bauen, die wir erst im Orbit zusammenstecken, dann würden einem die meisten Menschen einen Vogel zeigen", so Gerst.
Ihn fasziniert bis heute, dass es Forschern damals gelungen war, diese Station auf der Erde zu planen und ohne Blaupause im All Modul für Modul aufzubauen, "ohne die Möglichkeit, mal für eine Packung Schrauben in den Baumarkt zu fahren". Nicht nur der Aufbau, auch der reibungslose Betrieb der ISS ist bis heute nur gemeinsam möglich. So gibt es beispielsweise zwei Bodenkontrollzentren für die ISS, eines in Houston, das andere in Moskau.
Zusammenarbeit mit Russland trotz Ukraine-Krieg
Die Kooperation mit Russland dauert auf der ISS bis heute an, also auch nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Außer auf der ISS hat die ESA sämtliche Projekte mit Russland eingestellt. Die ESA hat die von ihren Mitgliedsstaaten gegen Russland verhängten Sanktionen vollständig umgesetzt. Das betrifft zum Beispiel die Beendigung der Zusammenarbeit mit Russland bei der ExoMars-Mission. Auf der ISS arbeitet man dagegen weiter Hand in Hand.
So gibt es etwa immer noch sogenannte Überkreuzflüge. Im Oktober vergangenen Jahres war ein russisches Crew-Mitglied von den USA aus zur ISS geflogen, die Kosmonautin Anna Kikina. Ebenso starten US-Astronauten mit Sojus-Kapseln von Baikonur. Das verbale Getöse von Seiten Russlands zu Beginn des Ukrainekriegs ist verklungen, nachdem der Chef der russischen Weltraumagentur Roskosmos Dmitri Rogosin seinen Posten räumen musste. Er hatte jüngst sogar die amerikanische Mondlandung von 1969 angezweifelt.
Verdienste der ISS
Neben ihrem Beitrag zur Völkerverständigung hat die ISS als fliegendes Forschungslabor viele Verdienste für die Wissenschaft gebracht. Auf der Station herrscht permanente Mikrogravitation - also annähernde Schwerelosigkeit - ein Zustand, der auf der Erde nicht herstellbar ist. Dadurch können die Astronauten mit ihren Experimenten viele Wissenschaftslücken schließen, in der Biologie, der Physiologie, den Materialwissenschaften, aber auch in Physik und Chemie.
Viele Stoffe verhalten sich in der Schwerelosigkeit anders als auf der Erde mit Gravitation. Wie etwa wachsen Pflanzen in der Schwerelosigkeit, wenn man ihnen "oben" und "unten" wegnimmt? Gerst erklärt den Sinn der Pflanzenwachstum-Experimente auf der ISS. "Durch diese Experimente verstehen wir fundamentale Prozesse des Wurzelwachstums, um dann vielleicht Pflanzen zu züchten, die dem Klimawandel besser trotzen können, weil die Wurzeln schneller nach unten wachsen können."
Auch die Erkenntnisse der Auswirkung der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper sind von immenser Bedeutung. Bei zukünftigen Langzeitmissionen zum Mond und irgendwann zum Mars muss klar sein, welche Belastungen die Astronauten wie lange aushalten können. Dabei geht es um körperliche Aspekte wie Muskelschwund aber auch um psychische Faktoren. Leben auf engstem Raum ohne Chance auf Abbruch, ohne Ausstiegsszenario muss geübt werden.
Die Zukunft der ISS
Eines ist klar: Eine Nachfolgerin der ISS wird es in dieser Form nicht geben. Wenn die ISS vermutlich zum Ende des Jahrzehnts aus Altersgründen abgeschaltet wird, liegt die Zukunft in kleinen Raumstationen im niedrigen Erdorbit. Sie könnten von Nationalstaaten, Weltraumagenturen oder auch Privatfirmen betrieben werden.
Die Kommerzialisierung im Weltraum schreitet rasant voran, die Technik auch. Der internationale Schulterschluss ist bei den Nachfolgerinnen der ISS nicht mehr unbedingt von Nöten. Private Unternehmen haben bereits Pläne, noch in diesem Jahrzehnt Stationen für Forscher und Touristen im All zu eröffnen. Sie könnten dann mit den Playern von einst, den großen Weltraumagenturen, zusammenarbeiten und Verträge schließen.
Die Agenturen wie NASA und ESA könnten dann, sagt Gerst, die Felder bestellen, bei denen internationale Zusammenarbeit weiter nötig ist, aus technologischen und finanziellen Gründen: "Die größten Abenteuer der Menschheit sind die Erforschung des Mondes und des Mars. Das sind die Projekte, die dadurch ermöglicht werden, dass wir Ressourcen im niedrigen Erdorbit freigeben."Beispiele sind die Kooperationen beim Artemis-Projekt, also der Rückkehr der Menschen zum Mond, oder dem Lunar Gateway, einer Raumstation im Mondorbit, die als eine Art "Bushaltestelle im All" fungieren soll. An ihr sollen Raumschiffe von der Erde andocken und Mondlandefähren abdocken.
Das Ende der ISS
Noch ist unklar, wann genau die ISS abgeschaltet wird und ob sie bis zu ihrem tatsächlichen Ende noch von privaten Firmen weiter genutzt wird. Aber klar ist: Irgendwann muss sie kontrolliert aus dem All geholt werden. Alexander Gerst erklärt: "Es gibt Pläne, dass man dann ein Vehikel baut, hochbringt, das dann die ISS kontrolliert aus ihrer Bahn schiebt. Dann wird die Raumstation über einem definierten Ort - das ist wahrscheinlich wieder der Südpazifik, wo auch schon die russische Raumstation Mir wieder runtergekommen ist - abstürzen."