G20-Gipfel in Brasilien Warum Millionär Pacifico mehr Steuern zahlen will
Am Finanzmarkt machte João Pacifico Millionen. Heute unterstützt der Brasilianer linke Biobauern, autonome Suppenküchen und Brasiliens G20-Vorstoß einer globalen Steuer für Superreiche wie ihn. Eine Begegnung.
Eine Schlucht aus gläsernen Bürotürmen. Von den Dächern heben Hubschrauber ab, spiegeln sich in den konkaven Fensterfronten, dahinter verhandeln Männer in Anzügen und Frauen in High Heels millionenschwere Deals. Die Avenida Faria Lima, im geschäftigen Herzen São Paulos, ist Südamerikas Wallstreet.
Lange war das auch João Pacíficos Welt. Hier machte er Millionen, mit Investitionen in Einkaufzentren und Wolkenkratzer, Sojaplantagen und Agrarchemikalien. Mit seinem einfachen, grauen Shirt, der zerschlissenen Jeans, Turnschuhen und den zum Pferdeschwanz gebundenen braunen Haaren wirkt der 45-jährige Multimillionär in der Finanz-City jedoch wie ein Fremdkörper.
Und genau das will er auch sein: Während der Finanzkrise 2009 begannen die Zweifel, erzählt er: "Bei den Unternehmen mangelte es an Menschlichkeit", sagt er. "Ich wollte den Finanzmarkt nutzen, um Ungleichheit zu verringern, die Umwelt zu regenerieren und die Klimakrise zu bekämpfen."
Der Preis von immer mehr Reichtum
Vom Finanzspekulanten zum idealistischen Kapitalismuskritiker: Pacífico hat kein Problem damit, so gesehen zu werden. Es sei absurd, immer mehr Geld anzuhäufen, findet der Multimillionär: "Das geht nur auf Kosten von etwas anderem: von der Natur, von Ressourcen, von anderen Menschen, die man ausbeutet."
Er ist der wohl einzige Millionär in Lateinamerika, der fordert, Superreiche wie ihn stärker zu besteuern. Allein in Brasilien besitzt das oberste Prozent der Gesellschaft mehr als 60 Prozent des Reichtums. Daher unterstützt er den Vorstoß des Landes im Rahmen von G20, eine globale Reichensteuer einzuführen.
Das Konzept sieht eine Abgabe von jährlich zwei Prozent auf Vermögen ab einer Milliarde Dollar vor, um den weltweiten Kampf gegen Hunger und Armut zu finanzieren. "Geld muss wieder ein Mittel zum Leben werden, nicht zum einzigen Zweck und Inhalt des Lebens."
Bio-Reis statt Soja-Plantagen
Und deswegen investiert er mit seiner Firma Gaia, die heute eine NGO ist, mit einem Geschäftsvolumen von umgerechnet rund 3,2 Milliarden Euro in soziale Bewegungen und Biolandwirtschaft - und nicht mehr in Shoppingmalls und Sojaplantagen.
Zum Beispiel in Viamão, 1.000 Kilometer südlich von São Paulo, im ländlichen Umland von Porto Alegre. Pacífico ist Linie geflogen, hat sich einen einfachen Mietwagen genommen.
Nun kauert er am Rande eines Reisfeldes im Matsch, neben ihm Bauer Huli Zang, rotes Käppi mit den Buchstaben MST auf dem Kopf. Zang holt eine noch junge Pflanze aus der nassen Erde und nickt zufrieden. Es ist die erste Aussaat nach dem verheerenden Hochwasser vor einem halben Jahr, das hier tausende Hektar von Ackerland zerstörte.
"Wir hatten große Schwierigkeiten, unsere Verträge einzuhalten und das hat uns finanziell stark getroffen", erzählt der Kleinbauer, der Teil einer Kooperative der brasilianischen Landlosenbewegung MST ist. Pacífico ist inzwischen fast so etwas wie ein Genosse.
Mit einer speziellen Kreditlinie, die geringere Zinsen als ein normaler Bankkredit vorsieht, unterstützt Gaia die Biobauern - das half, die Produktion nach dem Hochwasser schnell wieder anzukurbeln. Auch dank des Ausbaus einer eigenen Fabrik zur Weiterverarbeitung.
Dort brummt und wummert es. Hier wird der Reis gereinigt, geschält und verpackt. Mehr als 370 Familien arbeiten bei der Kooperative mit, haben dazu beigetragen, dass die Landlosen-Bewegung MST heute zu den größten Bioreis-Produzenten ganz Lateinamerikas gehört.
Der Broker für die Landreform
Die Investoren seien zufrieden, weil sie nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine "soziale und ökologische Rendite" erzielten, sagt Pacífico. Es helfe den Menschen, die hier arbeiteten, und außerdem werde es so mehr Bio-Reis auf der Welt geben: "Alle gewinnen."
Pacifico spricht in Sätzen wie aus der Werbung, hat inzwischen hunderttausende Follower auf seinen Social-Media-Kanälen. Als einstiger Broker fungiert er als Brücke zwischen Finanziers und der Landlosen-Bewegung.
Das brachte ihm auch Misstrauen ein. Denn die marxistisch geprägte MST, die brachliegende Flächen besetzt und seit Jahrzehnten eine Landreform fordert, hatte bei Investoren nicht gerade den Ruf eines vertrauenswürdigen Kreditnehmers. Schließlich ist die Agrarindustrie Brasiliens wichtigster Wirtschaftszweig.
Ungleich verteilter Besitz
Dabei ist der Landbesitz heute extrem ungleich verteilt. Laut der NGO Oxfam befinden sich 45 Prozent des Ackerlandes im Besitz von nur einem Prozent der ländlichen Eigentümer. "Und der Finanzmarkt investiert in die Agrarindustrie, die mit ihren Abgeordneten heute den Kongress dominieren. Das ist es, womit wir konkurrieren", sagt der MST-Genosse Zang.
Bei der Agrarreform gehe es nicht nur um die Aufteilung von Land, sondern auch um eine veränderte Landnutzung. "Statt Waren zu produzieren, produzieren wir Nahrungsmittel, wir arbeiten im Gleichgewicht mit der Natur, statt sie zu zerstören."
90 Prozent des Bioreis' der Kooperative geht an Schulkantinen, Suppenküchen und Sozialprogramme der Regierung für bedürftige Familien - nach der Hochwasserkatastrophe ist die Armut auch rund um Porto Alegre nochmal angestiegen.
40 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer leben noch heute in einer Situation der "Nahrungsmittel-Unsicherheit", wie es bei den Vereinten Nationen heißt. Sie wissen nicht, ob sie an einem Tag eine warme Mahlzeit haben werden oder eben nicht.
Der Kampf gegen Hunger - Lulas Priorität
In den ärmsten Vierteln von Canoas, der Nachbarstadt von Porto Alegre, sind die Straßen noch immer gesäumt von Schrottbergen und teils verfallenen Häusern. Hunderte Menschen leben noch immer in Notunterkünften.
"Auch wenn die Tragödie Monate her ist, für uns ist das nicht so. Wir leben immer noch mit der Flut, unsere Häuser sind zerstört, Jobs gingen verloren, viele können sich keine warme Mahlzeit mehr leisten", sagt Carmen Reis und füllt mit einer großen Schöpfkelle Tupperdosen mit Reis, Bohnen, ein bisschen Fleisch und Gemüsen.
"Esperanza", Hoffnung, heißt das improvisierte Gemeindezentrum, in dem obdachlose Familien Mittagessen bekommen - die Lebensmittel stammen von den MST-Kooperativen. Sie sorgt sich, dass es bald wieder zu Hochwasser kommen könnte. "Mit dem Klimawandel ist es wie mit allem: Uns Arme trifft es immer am härtesten."
Ein Thema ist gesetzt
Dass bei dem nun anstehenden G20-Gipfel nun in Rio de Janeiro wirklich große Veränderungen angestoßen, gar eine Reichensteuer umgesetzt wird, daran hat nicht nur Carmen Reis, sondern auch Joao Pacifico große Zweifel.
Doch das Thema sei gesetzt, der Druck aus der Zivilbevölkerung steige, das sei wichtig. "Wenn die Menschen in 20 Jahren auf dieses Jahr 2024 mit den Überschwemmungen, Waldbränden und Dürren zurückblicken, auf all diese Umweltkatastrophe, werden sie fragen: 'Was habt ihr getan?'"
Pacifico nennt sich selbst "Aktivistischer CEO". Der Multimillionär hofft, dass ihm nicht nur auf Social Media, sondern auch in der realen Welt mehr Superreiche folgen.