Nach eskalierter Gewalt Deutscher Botschafter verlässt Haiti
Mächtige Banden Haitis fordern den Rücktritt von Regierungschef Henry - und versetzten daher große Teile des Landes in Chaos. Wegen der "sehr angespannten Sicherheitslage" reiste nun der deutsche Botschafter aus.
Angesichts anhaltender schwerer Bandengewalt in Haiti haben der deutsche Botschafter und Diplomaten der EU den Karibikstaat verlassen. Der deutsche Botschafter und der Ständige Vertreter in der Hauptstadt Port-au-Prince seien am Sonntag "aufgrund der sehr angespannten Sicherheitslage in Haiti gemeinsam mit Entsandten der EU-Delegation in die Dominikanische Republik ausgereist", teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin mit. Sie arbeiteten nun bis auf Weiteres von dem Nachbarland aus. Es ist nicht das erste Mal, dass der deutsche Botschafter das Land aus Sicherheitsgründen verlässt.
Zuvor hatten bereits die USA den Abzug von Mitarbeitern aus ihrer Botschaft in Port-au-Prince bekanntgegeben. Zudem wurden die Maßnahmen zum Schutz des Gebäudes verstärkt. Die Botschaft schränke ihren Betrieb ein, bleibe aber geöffnet, teilte das US-Außenministerium mit.
Wegen der Gewalteskalation hat die karibische Gemeinschaft (Caricom) nun eine Dringlichkeitssitzung in Jamaika anberaumt. Dazu eingeladen sind Gesandte der USA, Frankreichs, Kanadas, Brasiliens und der Vereinten Nationen, um "Ordnung zu schaffen und das Vertrauen in das haitianische Volk wiederherzustellen", erklärte der Vizepräsident Guyanas, Bharrat Jagdeo. "Kriminelle haben das Land übernommen. Es gibt keine Regierung."
Seit Jahren keine Wahlen in Haiti
Seit Tagen greifen in Haiti bewaffnete Banden, die laut UN bereits etwa 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren, Polizeistationen, Gefängnisse und Gerichte an. Die Gewalt in Haiti war in Abwesenheit von Haitis Regierungschef Ariel Henry eskaliert, während dieser sich auf einer Auslandsreise in Kenia befand. Seither kehrte er offenbar wegen der Sicherheitslage nicht nach Haiti zurück.
Die bewaffneten Banden im Land fordern den Rücktritt Henrys, der eigentlich Anfang Februar aus dem Amt hätte scheiden sollen. Sie drohen mit einem Bürgerkrieg. Henry hatte sich stattdessen Ende Februar mit der Opposition darauf verständigt, bis zur Abhaltung von Neuwahlen "innerhalb von zwölf Monaten" gemeinsam zu regieren. Henry hatte die Regierungsgeschäfte übernommen, nachdem Präsident Jovenel Moïse am 7. Juli 2021 in seiner Residenz ermordet worden war. Seitdem wurden keine Wahlen abgehalten, Haiti hat derzeit weder einen Präsidenten noch ein Parlament.
Haiti zwischen Krisen und Chaos
Am Dienstag reiste Henry nach Puerto Rico, nachdem ihm die Dominikanische Republik keine Landeerlaubnis erteilt hatte. Die zwei internationalen Flughäfen in Haiti sind wegen der Gewalt geschlossen. Am Freitag hatten nach Angaben der haitianischen Polizeigewerkschaft bewaffnete Männer den Präsidentenpalast und das Polizeipräsidium in Port-au-Prince angegriffen. Mehrere Angreifer wurden demnach getötet.
Die Banden befreiten mehr als 4.500 Häftlinge aus zwei Gefängnissen und griffen unter anderem Einrichtungen der Polizei und Flughäfen an. Am Hafen von Port-au-Prince kam es zu Plünderungen. Nach einem Bericht des Portals "AyiboPost" zeigte die notorisch unterbesetzte Polizei kaum noch Präsenz in den Straßen der Hauptstadt. Wie viele Menschen der Gewalt zum Opfer fielen, ist bislang unklar. Die "Washington Post" berichtete von Leichen auf offener Straße, die wegen der Sicherheitslage nicht bestattet werden konnten und stattdessen verbrannt wurden.
Haiti steckt seit Jahren in einer schweren Krise, zu der neben Bandengewalt auch politische Instabilität und wirtschaftliche Not gehören. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der auf humanitäre Hilfe angewiesenen Menschen in dem Land nach UN-Angaben verdoppelt.
Mit Informationen von Anne Demmer, ARD Mexiko