Erster G20-Sozialgipfel "Die guten Zeiten kommen nicht von allein"
Nicht nur Politiker sollen beim G20-Gipfel in Brasilien eine Plattform bekommen. Erstmals gibt es einen Sozialgipfel. Dort kämpfen Bürger für ihre Rechte. Sie fordern mehr Engagement im Kampf gegen den Hunger und Klimawandel.
Zum G20-Gipfel gehören nicht nur Treffen der politischen Elite. In Brasilien verschaffen sich die Menschen Gehör - mit Trommeln und Tänzen. Seu Jorge steht auf der Bühne. Der berühmte brasilianische Musiker und Schauspieler will gegenüber den Staats- und Regierungschefs noch einmal betonen, was die Menschen von ihnen erwarten. "Das ist eine Erinnerung, dass sie einen großen Kampf anführen müssen", sagt Jorge. "Den gegen Hunger, gegen Armut und gegen die soziale Ungleichheit. Das ist ihre wichtigste Aufgabe."
Und dann singt er "Zê do Caroço". Ein Lied über einen schwarzen Arbeiter aus Rios Favelas, der - mit Hilfe eines riesigen Lautsprechers - dafür kämpft, dass die Probleme und Forderungen der Bewohnerinnen und Bewohner gehört wurden.
Ein großer Lautsprecher, das soll auch der G20-Sozialgipfel sein - zum ersten Mal gibt es das Format. Mehr als 200 Diskussionsforen finden in den umgebauten Lagerhallen im neuen Hafen von Rio statt: Zu Klima, Ungleichheit und der Rolle Indigener, bezahlbarem Wohnraum in Städten. Damit will Brasiliens Präsident Lula da Silva eine Botschaft senden: Die G20 in Rio schotten sich nicht ab, die Zivilbevölkerung soll mitdiskutieren.
"Irgendwann müssen sie die Tür öffnen und zuhören"
Einer der Teilnehmer des Forums ist Elias Rufinho Sobrinho. Er ist Priester der afrobrasilianischen Candomblé-Gemeinde. "Auch wenn wir nicht beim offiziellen Gipfel dabei sind, klopfen wir wenigsten an die Tür", sagt der Geistliche. "Aktivisten, Anführer, aus allen Ländern. Irgendwann müssen sie die Tür öffnen und sagen: Wir müssen zuhören, wir müssen die Ideen und die Arbeit dieser Menschen wertschätzen."
Der G20-Gastgeber Brasilien will den Kampf gegen Hunger und den Klimawandel in der Abschlusserklärung von Rio festschreiben - beim Sozialgipfel sind diejenigen da, die diesen Kampf bereits jeden Tag führen: Lokale Gemeindeführer, die sich am Amazonas der Holz- und Goldmafia entgegenstellen, Menschen, die Suppenküchen führen, Sozialprogramme leiten oder Menschen, die in Favelas wohnen. Einer von ihnen ist Luiz Guilherme, er musste in diesem Jahr zusehen, wie Überschwemmungen und dann extreme Trockenheit Existenzen zerstörte. Es sei frustrierend zu sehen, wie aufgeschobene Infrastrukturprojekte und fehlende Planung beim Städtebau, Katastrophen verschlimmerten.
"Ich erlebe, dass Umweltfragen für viele nichts Abstraktes mehr sind", sagt der Favela-Bewohner. "Klimakatastrophen gehören zum Alltag und sie treffen insbesondere die arme und periphere Bevölkerung." Auch finanziell seien die Menschen davon betroffen. Genau dafür müssten beim G20-Gipfel Lösungen gefunden werden.
Trump-Wahl liege wie ein Schatten über dem Gipfel
Doch dass beim offiziellen Gipfel Bahnbrechendes beschlossen wird, daran glauben auf dem Sozialforum die wenigsten. Weltweit wachsen die Spannungen. Oft gibt es neue Konflikte statt Dialog. Die Wahl von US-Präsident Donald Trump liege wie ein Schatten über dem Gipfel, sagt Arethura Dória, die aus einer afrobrasilianischen Landgemeinde kommt. "Für mich ist das sehr besorgniserregend und auch traurig", sagt sie. "Es spiegelt auch unser Versagen wider. Der Klimawandel, den er leugnet, Ernährungssicherheit, Armut - dabei geht es nicht um Ideologie, oder nationale Politik, das betrifft uns alle."
Es gelinge nicht, bei den Wählern von Trump oder auch Jair Bolsonaro, dem ehemaligen Präsidenten Brasiliens, Verständnis dafür zu wecken. "Wir müssen aktiver werden, rausgehen, dürfen uns nicht abwenden und auf bessere Zeiten hoffen" fordert Arethura Dória. "Die guten Zeiten kommen nicht von allein."
Lula: "Schreit, protestiert, fordert"
Präsident Lula wird das Abschlussdokument mit den auf dem Sozialgipfel erarbeiteten Vorschläge mit auf den offiziellen Gipfel nehmen. "Das Dokument, das ihr mir gegeben haben, ist nicht das Ende eines Prozesses", verspricht der Präsident. "Es ist der Anfang eines Prozesses."
Wenn die Politiker und auch er selbst den Forderungen nicht nachkämen, dann müssten die Teilnehmenden des Sozialgipfel das einfordern. "Schreit, protestiert, fordert", sagt Lula. "Wir können etwas verändern, wenn wir den Willen dazu haben."
Ab Montag muss er davon dann die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten überzeugen.