Aserbaidschans Präsident Alijew empfängt seinen russischen Amtskollegen Putin
analyse

Aserbaidschan Autokrat ohne Schranken

Stand: 01.09.2024 13:43 Uhr

Kanzler Scholz nennt Aserbaidschan einen "wichtigen" Energiepartner, auch wenn Präsident Alijew innen- und außenpolitisch aggressiv seine Interessen durchsetzt, wie deutlich zu sehen vor der heutigen Parlamentswahl.

Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew hat es eilig. Schon die Präsidentschaftswahl ließ er vorziehen, nun auch die Parlamentswahl an diesem Sonntag. Der Mehrheit seiner Partei "Neues Aserbaidschan" in der Nationalversammlung ist so gewiss wie sein Sieg im Februar. Die verbleibenden Sitze werden an systemtreue Parteien gehen. Wahrscheinlich erhält auch ein unabhängiger Kandidat einen Abgeordnetensitz - wie bei der Parlamentswahl 2020.

Alijew sieht sich legitimiert durch die Rückeroberung der Region Bergkarabach vor bald einem Jahr, das mehr als 30 Jahre unter Kontrolle Armeniens gestanden hatte. Der Umgang mit dem verfeindeten Nachbarn ist nach wie vor ein beherrschendes Thema in Aserbaidschan.

Neue Welle der Repression

So dürfte sich Alijew einer breiten Zustimmung der Bevölkerung sicher sein. Dennoch begann im Herbst eine neuerliche Repressionswelle gegen verbliebene Unabhängige und Kritiker. Sie richtete sich zunächst gegen das unabhängige Medium Abzas Media und weitere Journalisten, die unter anderem über Geldwäsche in Zusammenhang mit Investitionen in den zurückeroberten Gebieten berichtet hatten. Den Inhaftierten wird vorgeworfen, illegal Geld nach Aserbaidschan geschmuggelt zu haben, was alle von sich weisen.

Unter demselben Vorwurf wurde Ende April der Aktivist Anar Mammadli verhaftet. Er wollte anlässlich der UN-Weltklimakonferenz COP29 im November auf die Menschenrechts- und Umweltlage im Land aufmerksam machen.

Im Juli wurde Ilgar Abilov, der zu ethnischen Minderheiten forscht, wegen angeblichen Verrats inhaftiert. Vor einigen Tagen dann wurde der Friedensaktivist Bahruz Samadov ebenfalls wegen Hochverrats festgenommen. Der Doktorand an der Karls-Universität in Prag gehörte zu jungen Akademikern im Südkaukasus, die sich gegen den Krieg um Bergkarabach im Jahr 2020 eingesetzt hatten.

Vorübergehend wurden auch der Aktivist Samad Shikhi und der Journalist Cavid Aga festgehalten und dann mit Ausreisesperren belegt. Sie sollten gegen Samadov aussagen. Alle drei sind Autoren für internationale Publikationen und äußerten sich zur aserbaidschanische Außenpolitik, Aga auch bei tagesschau.de.

Kein Frieden

Seit Jahren schon werden Oppositionelle als Verräter und Komplizen des Feindes Armenien hingestellt. Der Umgang jetzt mit den Aktivisten bestätigt langfristige Entwicklungen: Die Führung um Alijew will alle Bereiche der Gesellschaft weit über die politische Opposition und die Medien hinaus kontrollieren, von den religiösen Gemeinschaften und ethnischen Minderheiten bis hin zu unabhängigen Akademikern und Friedensaktivisten.

Das Vorgehen zerstört die oftmals auch von kritisch eingestellten Aserbaidschanern geäußerte Hoffnung, dass Alijew nach der Rückeroberung der besetzten Gebiete eine Liberalisierung einleiten werde. Immerhin hatte seine Führung Einschränkungen der Demokratie mit dem Schutz vor dem verfeindeten Nachbarn begründet.

Alijew müsse nun einen "inneren Feind" erfinden, um seine eiserne Herrschaft über das Land zu rechtfertigen, erklärt Eldar Mamedov, Ex-Mitarbeiter für Außenpolitik im Europäischen Parlament und Kaukasusexperte. Dazu passten junge Forscher wie Abilov und Samadov, die das nationalistische Narrativ des Staates nicht einfach nacherzählten. Zwar habe ihre Kritik kaum Auswirkungen auf die angesichts des Sieges über Armenien noch immer euphorisch gestimmte Gesellschaft. Aber die Kritik sei sehr artikuliert und intellektuell hochkarätig. Die Regierung könne sie, anders als die "traditionelle Opposition", nicht kontrollieren. Sie versuche daher, sie zu unterdrücken.

Scholz sieht "Verbesserungsbedarf"

Im Ausland präsentiert Alijew sein Land als frei und demokratisch. Bei einer Pressekonferenz mit Kanzler Olaf Scholz Ende April im Bundeskanzleramt behauptete er, es gebe keine Zensur. Das Internet sei frei. Es werde nur gegen Medien vorgegangen, die illegal aus dem Ausland finanziert würden.

Auf die Menschenrechtslage angesprochen, antworte Scholz lediglich: "Es ist kein Geheimnis, dass wir Verbesserungsbedarf sehen." Im Gespräch mit Alijew habe er die Bedeutung von Medien, NGOs und der Zivilgesellschaft hervorgehoben. Ansonsten betonte Scholz, dass Aserbaidschan ein "wichtiger Partner" sei in Zeiten, in denen die "Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern noch wichtiger sein wird".

Der Kanzler sprach damit die Bedeutung Aserbaidschans als alternativen Energielieferanten zu Russland an. Derzeit deckt Aserbaidschan nach Angaben der EU-Kommission etwa fünf Prozent des Gasbedarfs der EU. Es gelangt über den Südlichen Korridor in den europäischen Gasmarkt. Es ist vor allem für Staaten im mittleren und östlichen Süden Europas von Bedeutung, darunter Italien.

Gas für Europa

Vom Lieferpunkt Italien aus sei aserbaidschanisches Gas auch für Deutschland verfügbar, teilte das deutsche Unternehmen Uniper auf tagesschau.de-Anfrage mit. Basis ist ein seit 2013 bestehender Vertrag mit dem aserbaidschanischen Konzern SOCAR. "Wir als Uniper beziehen zuverlässig Gaslieferungen entsprechend der vertraglichen Konditionen", teilte eine Sprecherin mit. Weitere Details zu bestehenden Verträgen könne sie nicht nennen.

Karte: Aserbaidschan, Russland, Ukraine

Wie hoch der Anteil aserbaidschanischen Gases an der Versorgung in Deutschland ist, kann die Bundesnetzagentur angesichts dessen Einspeisung in den integrierten Gasmarkt nicht beziffern. Das meiste Gas erhält die Bundesrepublik derzeit aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden.

Die Bedeutung Aserbaidschans als Gaslieferant könnte ab dem nächsten Jahr wachsen, falls ein zwischen der Ukraine, Russland und Aserbaidschan angestrebter Deal gelingen sollte: Die Ukraine will einen bestehenden Vertrag zu Durchleitung russischen Gases nicht verlängern. Sie würde aber die Lieferung aserbaidschanischen (und kasachischen) Gases zulassen, auch um weiter Gebühren für die Nutzung ihrer Pipelines und Gasspeicher einnehmen zu können.

Russisches Gas?

Kritiker argwöhnen, dass es sich letztlich um russisches Gas handeln könnte. Sie sahen sich bestätigt durch eine Mitteilung des russischen Konzerns Gazprom über den Ausbau der Partnerschaft mit SOCAR, die beide Seiten beim Besuch Wladimir Putins Mitte August bei Alijew in Baku beschlossen hätten.

Details der Vereinbarung wurde nicht bekanntgegeben. Klar ist, dass Aserbaidschan erhebliche Investitionen in den Ausbau seiner Förder- und Transportkapazitäten benötigt, um die angestrebte Erhöhung der Exporte bei gleichzeitiger Deckung des eigenen Bedarfs zu gewährleisten. In den vergangenen Jahren gab es bereits saisonale Vereinbarungen über den Austausch von Gas zwischen Russland und Aserbaidschan. Außerdem bezieht Aserbaidschan über den Iran Gas aus Turkmenistan.

Björn Blaschke, ARD Moskau, zzt. Tiflis, tagesschau, 19.08.2024 17:32 Uhr

Aggressive Außenpolitik

Zwar sind europäische Konzerne wie BP, Total und Uniper in Aserbaidschan aktiv, doch dessen Führung wünscht sich mehr und langfristige Investitionen. Dem steht das Ziel der EU entgegen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Führung um Alijew reagiert darauf mit Werbung für den Aufbau erneuerbarer Energieproduktion - ein Grund für die Austragung der UN-Klimakonferenz in Baku.

Daneben stellt Alijew sein Land breit auf, zuletzt verstärkt in Kooperation mit autoritär ausgerichteten Staaten - neben Russland auch China. So steht die Aufnahme Aserbaidschans in die von beiden Staaten dominierten Staatenvereinigungen BRICS und die Shanghai-Gruppe in Aussicht.

Europäische Investitionen bleiben hochwillkommen, Druck und Einflussnahme gegen seinen Willen beantwortet Alijew dagegen zunehmend aggressiv. So ließ er Unruhen in den Überseegebieten Frankreichs unterstützen, seit die Regierung in Paris Armenien mit Militärausrüstung beliefert.

Aktivisten aus der Region beklagen, dass Europa Alijew nichts entgegensetze, sondern mit Heuchelei und Gleichgültigkeit reagiere, während er den letzten unabhängigen Akteuren der Zivilgesellschaft Aserbaidschans den Garaus mache.

"Alijew nutzt seine derzeitige starke geopolitische Position, um seinen innenpolitischen Vorteil zu maximieren. Das bedeutet, dass er jede Herausforderung seiner Autorität ausschaltet", erläutert Experte Mamedov.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. August 2024 um 09:12 Uhr.