Vor G20-Gipfel Wer auf Bali was erreichen will
Für weitere Sanktionen trommeln oder dagegen, den eigenen Führungsanspruch untermauern - oder Konkurrenten blass aussehen lassen: Die G20-Nationen reisen mit teils gegensätzlichen Zielen nach Bali.
EU: Trommeln für Russland-Sanktionen
Dass Wladimir Putin nicht nach Bali kommt, wertet man in der EU als klares Zeichen dafür, dass die G20 Gruppe keine - so ein EU-Beamter - "komfortable Umgebung" für den russischen Präsidenten ist. Seinem Vertreter beim Gipfel, Außenminister Sergej Lawrow, könnten die Europäer noch einmal deutlich machen, wie sehr sie den Krieg in der Ukraine verurteilen. Denn die EU hat Kiew versprochen, sie solange wie nötig zu unterstützen. Und sie hat mittlerweile acht Sanktionspakete gegen Russland geschnürt, darunter ist unter anderem ein Einfuhrverbot für russische Kohle und - mit Ausnahmen - für Öl.
Beim G20-Treffen könnten die Europäer gemeinsam mit den USA und Großbritannien versuchen, auch andere Länder von ihrem Kurs zu überzeugen. Denn Staaten wie Indien, Südafrika und vor allem China folgen ihm nicht. Aus Brüssel gab es Forderungen an Peking, seinen Einfluss auf Russland und Präsident Putin geltend zu machen. Die Europäer haben außerdem die Hoffnung, dass es auf Bali das Bekenntnis möglichst vieler Staaten gibt, keine Atomwaffen einzusetzen.
Russland: Gegendruck im eigenen Interesse
Moskau erwartet nicht allzu viel von diesem Gipfel - und das liegt weder am Gastgeber noch an der Tagesordnung, sondern vielmehr am großen politischen Gegenspieler, dem Westen. Gemeint sind damit natürlich Europa und allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, die schon im Vorfeld versuchen würden, auch diesen Gipfel zu "politisieren" - so wird es jedenfalls in Moskau beklagt. Wieder einmal gehe es nur darum, wie man Russland ins Abseits drängen könne.
Außenminister Sergej Lawrow, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin vertritt, weil der zu Hause laut Kremlsprecher Dmitrij Pekow ja unabkömmlich ist, wird natürlich dagegenhalten. Moskau hat dazu im Vorfeld bereits Allianzen gesucht mit dem Ziel, den Einfluss des Westens vor allem im Bereich der Wirtschafts und Finanzsysteme zu begrenzen. Denn aus Moskaus Sicht ist es der Westen, der mit seinen Handelsblockaden und Sanktionen Lieferketten stört, den Rohstoffmarkt destabilisiert und die Preise treibt. Russland will deshalb eine ganze Reihe von Initiativen anstoßen, um Zahlungssysteme, Liefer und Versorgungswege sanktionssicherer zu machen. Und das natürlich nicht ohne Eigeninteresse, denn gewiss wird es dabei ganz besonders um Rohstoffe wie Öl, Gas, Getreide und Dünger gehen.
Deutschland: Die Entschlossenheit von Elmau
Wie blickt Deutschland auf diesen G20-Gipfel? Für die Antwort lohnt es sich vielleicht, zunächst einmal zurückzublicken: Geschlossen und entschlossen auftreten für die Ukraine, gegen den Hunger in der Welt und für Klimaschutz - das waren die Schlagworte des Bundeskanzlers nach dem G7-Gipfel in Elmau, bei dem Deutschland als Gastgeber die Vertreter der wirtschaftsstarken Demokratien versammelt hatte. Und diese Signale sollen nach Ansicht der Bundesregierung auch von diesem G20-Treffen, also einem erweiterten Kreis, ausgehen.
Olaf Scholz hatte einige G20-Staaten nach Elmau eingeladen - darunter Gastgeberland Indonesien, den Senegal und Argentinien eingeladen - um bei ihnen für diese Positionen zu werben. Trotzdem wird es bei den G20 längst nicht so harmonisch zugehen. Das weiß auch die Bundesregierung. Jetzt, da der russische Präsident Putin nicht kommen wird, sind die großen Wirtschaftsnationen der Welt keineswegs einig, wie genau gegen den Hunger vorgegangen werden soll - und auch nicht in der Frage, wie mit der Ukraine weiter verfahren wird. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erwartet zwar ein klares Zeichen internationaler Geschlossenheit gegen den russischen Krieg. Ob aber China, Saudi-Arabien oder die Türkei sich dem anschließen, ist mehr als fraglich. Daher wird in Deutschland in Regierungskreisen auch nicht davon ausgegangen, dass es zu einer ähnlich harschen Verurteilung Russlands kommt wie damals beim G7-Gipfel in Elmau.
USA: Test für eigenen Führungsanspruch
"Amerika ist wieder da" - Das war die Botschaft Joe Bidens bei seinem ersten G20-Gipfel als US-Präsident vor zwei Jahren. Jetzt lautet sie: Amerika bleibt, ist ein stabiler Partner mit einer funktionierenden Demokratie. Beflügelt vom überraschend guten Ergebnis seiner Demokraten bei den Zwischenwahlen will Biden den Führungsanspruch der USA bekräftigen.
Die größte Herausforderung erwartete Biden schon heute, vor Beginn des eigentlichen Gipfels: beim ersten Gespräch seiner Präsidentschaft von Angesicht zu Angesicht mit Chinas Präsident Xi Jinping. Die Beziehungen beider Länder sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht: Nach dem Besuch der Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan im August hatte Peking sämtliche regulären Kommunikationskanäle geklappt. Bei dem Treffen gegen Mittag deutscher Zeit wollte Biden aushandeln, dass beide Seiten wieder regelmäßig mit einander sprechen. Außerdem sollten, wie Biden sagt, "Rote Linien" definiert werden: Themen, die für die jeweilige Seite kritisch sind. Gemeint ist damit auch Taiwan: die USA und ihre Verbündeten fürchten, dass China die Insel, die von Peking für sich reklamiert wird, aber de facto autonom ist, besetzen könnte. Auch um den Krieg in der Ukraine wird es gehen: Washington hofft, dass China sich klarer von Russland distanziert.
Moskau isolieren: Das ist eines der US-Ziele für den Gipfel selbst. Die Biden-Regierung will möglichst viele Länder auffordern, sich mit Nachdruck gegen den Angriffskrieg auszusprechen. Ein Test also für Amerikas Führungsanspruch beim G20-Gipfel.
China: Zeichen setzen im Ausland
Die Beziehungen zwischen China und den USA sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Streitpunkte gibt es viele: Taiwan zum Beispiel. China betrachtet die demokratisch regierte Insel als eigenen Landesteil, die USA sind eine Art Schutzmacht Taiwans und warnen China vor einem militärischen Eingreifen. Dann gibt es den Krieg in der Ukraine, den China nicht verurteilt, Spionagevorwürfe, wirtschaftliche Streitfragen und Chinas Menschenrechtsverletzungen - unter anderem im Landesteil Xinjiang. Die US-Regierung spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid; China spricht von Lügen und warnt, die USA sollten sich nicht in innere Angelegenheiten einmischen.
Beobachter erwarteten vorabkeine große Annährung zwischen den USA und China bei dem Treffen. Die meisten werten es aber als gutes Zeichen, dass Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden persönlich miteinander sprechen. Denn Chinas Staatschef war bis vor kurzem fast drei Jahre wegen der strikten Null-Covid-Poltik nicht außer Landes und hat auch kaum Gäste im Land empfangen.