Evakuierte in Ägypten "Unsere Herzen sind immer noch in Gaza"
Viele Ausländer oder Palästinenser mit Doppelpass konnten den Gazastreifen verlassen. Doch oft bleiben ihre Verwandten oder Freunde im Kriegsgebiet zurück. Eine belastende Situation.
Sie tragen Koffer und Kinderwagen, ihre wenigen Habseligkeiten in Papiertüten und Plastiktaschen - erleichtert, dass sie es geschafft haben: Evakuierte Doppelstaatler aus Gaza, die in den vergangenen Tagen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten kommen durften. Dem Krieg entkommen - endlich.
"Ja, es stimmt, wir sind raus aus dem Krieg, aber unsere Herzen sind immer noch in Gaza", erzählt die US-Amerikanerin Hurra der Nachrichtenagentur Reuters. "Meine ganze Familie ist noch in Gaza. Ich hoffe nur, dass sie gesund sind und dass der Krieg aufhört."
"Ich dachte, es donnert"
Dass sie selbst endlich in Sicherheit ist, kann die junge Mutter immer noch nicht fassen - nach dem Albtraum der vergangenen Wochen.
"Mein Sohn spielte auf der Türschwelle unseres Hauses in Gaza, als ich die ersten Bombeneinschläge hörte. Ich wusste erst nicht, was das ist und dachte, es donnert - aber dann riefen mich Freunde an und warnten mich, dass ein Krieg beginnt. Seit diesem Tag war es, als wäre ein schwarzer Vorhang auf uns gefallen. Unser Haus wurde komplett zerstört, eine Rakete schlug genau davor in die Straße ein, dort, wo meine Kinder immer gespielt haben. Wenn wir noch dort gewesen wären, hätte ich meinen Sohn nie wieder gefunden. Zum Glück waren wir schon losgezogen nach Rafah und haben dort gewartet." Nach tagelangem Warten hatten sie Glück: Ihre Namen standen auf den ersten Ausreiselisten.
Über Kairo in die Heimatländer
Nur wenige Hundert Ausländer konnten Gaza bislang verlassen, wurden mit Bussen in die ägyptische Hauptstadt Kairo gefahren und reisen von dort weiter in ihre Heimatländer. Die Menschen haben Schreckliches erlebt, so wie Youssef. Der alte Mann mit US-Pass sitzt im Rollstuhl.
"Wir sahen, wie das Nachbarhaus von Raketen getroffen wurde. Dann hat unser Haus Feuer gefangen - all unsere Sachen sind verbannt. Wir sind gerade noch rausgekommen, nur mit dem, was wir auf dem Leibe trugen. Nichts von unseren Sachen konnten wir retten."
Grenzübergang offenbar wieder dicht
Mittlerweile soll der Grenzübergang Rafah wieder geschlossen worden sein, berichten Medien. Aufgrund des israelischen Bombardements auf einen Krankenwagen-Konvoi am Wochenende scheint die Einigung zwischen Israel, der Hamas und Ägypten unter Vermittlung Katars über die kurzzeitige Grenzöffnung erstmal zunichte zu sein.
Tausende Ausländer und Doppelstaatler sitzen immer noch im Gazastreifen fest, darunter auch viele Deutsche. Sie sind zunehmend verzweifelt.
Auch Deutsche im Gazastreifen
So wie Ahmed, der seit mehr als 30 Jahren im westfälischen Münster lebt. Er wollte mit seinem Sohn eigentlich nur in den Herbstferien die Oma im Gazastreifen besuchen - und jetzt kommen die beiden nicht mehr raus. Vom Auswärtigen Amt hört er tagelang nur, "dass ich mich zu gedulden habe und dass es keine weiteren Informationen gibt".
Dann kam vor kurzem eine SMS, dass sie raus könnten - und kurz darauf wieder eine Absage. Ahmed nennt es einen Nervenkrieg. Als er Brot suchen geht, schlägt ganz in der Nähe eine Bombe ein. "Ich höre immer die Bombardierungen, ich spüre sie. Und diese Schreie, das ist unglaublich."
Blinken ruft zu Feuerpause auf
Trotz Krisendiplomatie ist keine Entspannung im Krieg in Sicht: US-Außenminister Antony Blinken traf sich am Wochenende nach seinem Israel-Besuch mit Vertretern verschiedener arabischer Staaten und rief Israel zu einer humanitären Feuerpause auf.
Israel müsse jede mögliche Maßnahme ergreifen, um zivile Opfer zu vermeiden, erklärte der US-Spitzendiplomat. "Zivilisten zu schützen wird helfen zu verhindern, dass die Hamas die Situation weiter ausnutzt. Aber vor allem ist es moralisch richtig, Zivilisten zu schützen."
Getrennte Familien
Doch bislang erleben die Zivilisten in Gaza wenig Schutz. Den Evakuierten, die raus durften, fiel es schwer, ihre Familien zurückzulassen. So wie die 11-jährige Farah aus den USA. Sie musste ihren Vater in Gaza zurücklassen - und weiß nicht, ob sie ihn jemals wiedersieht: "Er küsste meine Stirn und sagte: 'Bring dich in Sicherheit.' Und dann hat er mir gesagt, dass er mich liebt - und dass ich mich immer daran erinnern soll."