Nach Libanon-Waffenruhe "Gaza ist immer allein"
Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah hält weitgehend. Auch im Gazastreifen hoffen die Menschen auf ein Ende der Kämpfe - fürchten aber zugleich, Israel werde sich nun noch mehr auf Gaza konzentrieren.
Menschen graben mit den Händen in den Trümmern der "Tabeen" Schule in Gaza-Stadt. Sie tragen Leichen in Tücher gehüllt auf den Platz davor. Darunter sind Kinder. Die israelische Armee hatte das Schulgebäude aus der Luft angegriffen, weil sie einen hochrangigen Hamas-Terroristen darin vermutete. Nach israelischen Militärangaben sei dieser getötet worden - für die Armee ein Erfolg. Für Saeed Abu Salah, der ebenfalls in der Schule Unterschlupf gesucht hatte, eine Katastrophe.
"Die Besatzung wiederholt ihre Verbrechen gegen unschuldige Zivilisten", sagt er. Er habe vor eineinhalb Monaten vier seiner Söhne verloren, die noch unter den Trümmern liegen. "Heute habe ich meine Tochter und Enkelin in diesem Massaker verloren. Jeden Tag verüben sie Massaker gegen unser Volk." Er wischt sich Tränen aus den Augen. Für ihn ist eine Waffenruhe wie die zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon weit weg.
Dass die Hisbollah sich darauf eingelassen hat, ohne sie an eine Kampfpause in Gaza zu knüpfen, enttäuscht viele Menschen im Küstenstreifen. Auch Belal Shaqora aus Chan Yunis sieht das so: "Gaza war immer alleine auf sich gestellt." Es stimme, die Hisbollah habe in diesem Krieg mit all ihrer Kraft zu den Palästinensern im Gazastreifen gestanden, sagt Belal. "Trotzdem ist Gaza jetzt allein. Auch unsere Nachbarn in Ägypten lassen uns im Stich. Gaza ist immer allein."
Angehörige fordern Rückkehr der Geiseln
Währenddessen richten sich in Israel alle Blicke auf die fragile Waffenruhe mit der Hisbollah. Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben Warnschüsse auf Verdächtige abgegeben, die sich den Truppen genähert hätten. Auch seien Terroristen verhaftet worden, sagte ein Sprecher. Derweil protestieren die Angehörigen der Geiseln erneut für eine Vereinbarung mit der Hamas zur Freilassung der Geiseln.
Udi Gorens sagt, sein Cousin sei von der Hamas entführt und getötet worden. Er wünsche sich, ihn endlich begraben zu können: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und sie haben einen Weg gefunden, eine Waffenruhe mit dem Libanon auszuhandeln, obwohl die Hisbollah viel stärker ist als die Hamas." Er habe gehört, die Hamas sei gesprächsbereit. Die Unterhändler sollten nun Druck machen, dass alle Geiseln zurückgebracht werden.
Hamas offenbar gesprächsbereit
Ägyptische Unterhändler seien auf dem Weg nach Israel, um die Gespräche über ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln und für eine Waffenruhe in Gaza wieder aufzunehmen, berichten israelische Medien. Kurz zuvor hatte die Hamas ihre Gesprächsbereitschaft signalisiert.
"Die Waffenruhe im Libanon ist das Ergebnis unserer Operation dort", betonte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz. Der Druck auf die Hamas steige weiter an, so Katz. "Wir werden alles unternehmen, um die Bedingungen für ein neues Geiselabkommen zu schaffen."
Auch US Präsident Biden kündigte an, er wolle sich in den kommenden Tagen für ein neues Abkommen zur Freilassung der Geiseln einsetzen und für ein Ende des Krieges in Gaza. Für ihn ist die Waffenruhe mit der Hisbollah ein Erfolg.
"Werden einen noch höheren Preis zahlen"
Bassam Bashir, der sich im Flüchtlingscamp Nuseirat in Zentralgaza den Weg über eine überschwemmte Straße bahnt, macht die Waffenruhe im Libanon dagegen Angst: "Wir werden hier abgeschlachtet und werden einen noch höheren Preis zahlen, wenn sich Israel jetzt nur noch auf uns konzentriert."
Ohnehin bliebe den Geflüchteten in Nuseirat kaum noch etwas. Gerade werden ihre Zelte vom Regen überflutet. Wie er den Winter überstehen soll, wisse er nicht, sagt der Mann und schlurft davon.