Eskalation im Südlibanon Israel meldet Gefechte - Raketen auf Tel Aviv
Nach dem von Israel gemeldeten Einmarsch in den Südlibanon lässt die Armee dort Gemeinden räumen. Weder die UN-Beobachter noch die Hisbollah bestätigten aber eine Offensive. Die Terrormiliz feuerte Raketen auf Tel Aviv.
Nach Beginn der israelischen Bodenoffensive im Südlibanon spitzt sich die Lage in der Region zu. Während sich die israelische Armee nach eigenen Angaben mit der libanesischen Terrororganisation Hisbollah heftige Gefechte liefert, rief sie die Bewohner von mehr als 20 Ortschaften auf, sich in Sicherheit zu bringen. Es werde damit gerechnet, dass "jedes Haus, das die Hisbollah für ihre militärischen Zwecke nutzt, ins Visier genommen wird", schrieb Armeesprecher Avichai Adraee auf der Plattform X.
Zuvor hatte er die Bevölkerung davor gewarnt, sich südlich des Litani-Flusses zu begeben, der etwa 30 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt liegt. Er sprach von "intensiven Kämpfen, bei denen Hisbollah-Mitglieder das zivile Umfeld und die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde für Angriffe ausnutzen".
Angriffe auch im Großraum Beirut
Angriffe gab es aber nicht nur im Süden des Libanon, sondern auch nahe der Hauptstadt Beirut. Israels Luftwaffe nahm nach eigener Aussage mehrere Waffenfabriken und Infrastruktur der Hisbollah ins Visier. Die Angriffe seien mithilfe von Geheimdiensthinweisen erfolgt, hieß es in einer Mitteilung der Armee. Es seien Schritte unternommen worden, um möglichen Schaden an Zivilisten zu verringern. Welche genau, nannte die Armee nicht.
Gallant spricht mit US-Verteidigungsminister Austin
Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant teilte auf der Plattform X mit, er habe in der Nacht mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Lloyd Austin über die Entwicklungen in der israelisch-libanesischen Grenzregion und die erforderlichen Maßnahmen gesprochen, "um die sichere Rückkehr der nördlichen Gemeinden Israels in ihre Häuser zu gewährleisten." Dies gibt Israel als eines der Ziele seiner Offensive an.
"Wir waren uns einig, dass es wichtig ist, die Angriffsinfrastruktur entlang der Nordgrenze abzubauen, um Angriffe der Hisbollah auf israelische Bürger zu verhindern", schrieb Gallant. Er habe Austin über die lokal begrenzten und gezielten Angriffe informiert, die die israelischen Streitkräfte über Nacht gegen Ziele der Hisbollah gestartet haben.
Dabei hatte US-Präsident Joe Biden erst am Montag erneut zu einer Einigung über einen Waffenstillstand aufgerufen. Auf die Frage, ob er von den Berichten über israelische Pläne für einen begrenzten Bodeneinsatz Bescheid wisse, antwortete er, er sei sich der Lage sehr bewusst und sehr dafür, "dass sie aufhören".
Hisbollah dementiert israelischen Vorstoß
Unterdessen bestritt die Hisbollah, dass israelische Truppen in den Libanon vorgedrungen sind. Berichte darüber seien "falsche Behauptungen", erklärte der Sprecher der Terrormiliz, Mohammed Afifi. Gleichwohl seien die Hisbollah-Kämpfer zur "direkten Konfrontation mit Feindestruppen bereit, die es wagten oder versuchten, den Libanon zu betreten".
Auch die UN-Beobachtermission im Libanon (UNIFIL) erklärte, sie könne kein Eindringen von Bodentruppen bestätigen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Sirenen heulen in Zentralisrael
Im Zentrum Israels gab es flächendeckenden Raketenalarm. Betroffen war vor allem der Großraum Tel Aviv, wo Sirenen heulten. Augenzeugen berichteten von Explosionen, die möglicherweise von israelischen Abfangraketen stammten. Nach Militärangaben fiel ein Geschoss auf eine Straße nahe der Stadt Kfar Kassen nordöstlich von Tel Aviv. Ein Busfahrer und ein Autofahrer wurden verletzt, teilte der Rettungsdienst Magen David Adom mit.
Die Hisbollah gab an, mit Raketen auf die Zentrale des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad gezielt zu haben. Dies hatte sie bereits bei einem Angriff vor wenigen Tagen als Ziel ausgegeben. Es war das erste Mal, dass die Terrormiliz den Großraum Tel Aviv ins Visier genommen hatte - damals mit einer einzelnen Rakete. Dieses Mal sollen es nach Angaben israelischer Medien mindestens drei gewesen seien.
UN-Beobachtermission spricht von "gefährlicher Entwicklung"
Angesichts der weiteren Eskalation der Lage in Nahost äußerte die internationale Gemeinschaft große Sorgen. UNIFIL sprach von einer "gefährlichen Entwicklung", dennoch sollten die Blauhelme im Land in Stellung bleiben.
UNIFIL rief alle Konfliktbeteiligten dazu auf, von eskalierenden Aktionen Abstand zu nehmen. Die Mission verwies darauf, dass ein Vorstoß in den Libanon "eine Verletzung der libanesischen Souveränität und territorialen Integrität sowie einen Verstoß gegen die Resolution 1701 (des UN-Sicherheitsrats)" darstelle.
Der Beschluss 1701 wurde wegen des einmonatigen Kriegs zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 verabschiedet. Darin wird unter anderem ein vollständiger Rückzug aller israelischen Truppen aus dem Süden des Libanon gefordert und dass sich in dem Gebiet außer der libanesischen Armee und der UN-Friedenstruppe keine anderen bewaffneten Gruppen aufhalten dürfen.
UN-Nothilfebüro startet Spendenaufruf für Zivilisten
Das UN-Nothilfebüro OCHA machte zudem auf die Situation von Zehntausenden vertriebenen und obdachlosen libanesischen Zivilisten aufmerksam und startete einen internationalen Hilfeaufruf, um 426 Millionen Dollar (381 Millionen Euro) für die Menschen zu sammeln.
Seit Oktober 2023 seien schätzungsweise eine Million Menschen durch die Auseinandersetzungen zwischen der Hisbollah und Israel vertrieben oder anderweitig in Mitleidenschaft gezogen worden, berichtete das UN-Büro. Seit Beginn der jüngsten israelischen Angriffswelle vor zwei Wochen seien mindestens 1.000 Menschen umgekommen. Hunderttausende befänden sich auf der Flucht.
Der humanitäre UN-Koordinator vor Ort, Imran Riza, sagte, nach dem humanitären Völkerrecht müsse der Schutz von Zivilisten bei allen militärischen Handlungen höchste Priorität haben.
Laut der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften ist die Situation im Libanon "zu einer humanitären Krise eskaliert".