Ein israelischer Soldat in Hebron.

Israelische Gewalt im Westjordanland "Wir werden eure Würde durch den Dreck ziehen"

Stand: 03.12.2024 06:33 Uhr

Willkürliche Festnahmen, Misshandlung und Erniedrigung - ein Bericht der israelischen Organisation B'Tselem dokumentiert Gewalt israelischer Soldaten an Palästinensern im Westjordanland. Das sei Alltag, sagen Zeugen.

Die Männer in Hebron, der größten palästinensischen Stadt im besetzten Westjordanland, berichten Furchtbares: von willkürlichen Festnahmen, von Schlägen, von Misshandlung und Erniedrigung.

Die israelische Nichtregierungsorganisation B’Tselem hat für einen Bericht 25 Zeugenaussagen dokumentiert. Es gibt die Aussagen, es gibt Videos und Fotos von Verletzungen. Das ARD-Studio Tel Aviv konnte mit einigen der Männer vor Veröffentlichung des Berichts sprechen.

Yasser Markhiyah

Yasser Markhiyah berichtet von stundenlanger Gewalt und den Operationen, die er danach benötigt habe.

"Heute werden wir eure Würde durch den Dreck ziehen"

Da ist zum Beispiel Yasser Marchiyah, ein 53-jähriger schlanker Mann. Israelische Soldaten hätten ihn am 7. Juli dieses Jahres festgenommen, sagt er. Warum, wisse er nicht - er vermutet, weil er dem arabischsprachigen Fernsehsender Al-Jazeera ein paar Tage zuvor ein Interview gegeben hatte.

Er wurde gefesselt und mit verbundenen Augen in eine Militärbasis gebracht. Dort habe man ihn fast sechs Stunden lang misshandelt, sagt Markhiyah. Einer der israelischen Soldaten habe fließend arabisch gesprochen und gesagt: "Heute werden wir eure Würde durch den Dreck ziehen."

Markhiya berichtet, die Brigade habe an dem Tag gewechselt, die bisherigen und die neuen Soldaten hätten ihn geschlagen, vor allem auf den Kopf. Einer der Soldaten sei herumgerannt und habe ihn in den Bauch geschlagen und ihn gegen die Wand gedrückt. Die Soldaten hätten auch ihre Taschen über ihm ausgeleert.

Er berichtet von einer Operation am Auge, der er sich danach unterziehen musste. Sein Knie müsse noch ein zweites Mal operiert werden.

Gewalt offenbar mit dem Handy gefilmt

Mehrere der Männer, mit denen das ARD-Studio Tel Aviv sprechen konnte, berichten, wie israelische Soldaten gefilmt haben, während sie misshandelt wurden. Muhammad Jaber beispielsweise sagt, er habe im Hof seines Hauses gesessen als Soldaten kamen und ihn und einen Freund abführten.

Einer der Soldaten habe ihn auf einem Militärposten geschlagen. Nach fünf Minuten habe er dann angefangen, das mit seinem Handy zu filmen. Dabei war er per Videocall mit anderen verbunden, die hätten ihn angefeuert, weiter zu schlagen.

Muhammad Jaber

Muhammad Jaber berichtet, dass er gefilmt worden sei, während israelische Soldaten ihn misshandelt hätten.

Von Erniedrigung berichten die Männer, die festgenommen wurden. Amir Aref Dschaber ist 19 Jahre alt, auch er stammt aus Hebron. Seinem Bericht zufolge haben die Soldaten ihm vorgeworfen, er habe Steine geworfen. Immer, wenn er das verneint habe, hätten sie ihn geschlagen.

Ein Soldat habe ihn auch getreten. Dabei sei er auch beleidigt worden, ein Soldat habe gesagt: "Du Bastard, bei der Vagina Deiner Mutter, bei der Vagina Deiner Schwester!" Er selbst sollte die Beschimpfungen wiederholen.

"Gewalt ist systematisch"

B’Tselem, die israelische Organisation, die die Fälle dokumentiert hat, gibt an, gegen keinen der Männer habe etwas vorgelegen, sie seien nicht angeklagt und meist kurz nach dem Übergriff wieder freigelassen worden.

Shai Parnes, der Sprecher der Organisation, sagt: "Wir sehen, dass diese Gewalt systematisch ist. Wir reden nicht nur über ein oder zwei Soldaten, wir reden über mehrere Orte. Wir reden über die Jeeps von Kommandeuren, wie die Zeugen bestätigen. Wir sprechen von Soldaten, die die Gewalt mit ihren Handys gestreamt oder darauf gespeichert haben."

Auch wenn das System nicht direkt dazu ermutige, sei es so, dass es teilweise Unterstützung gebe und zumindest ein Teil der israelischen Bevölkerung dieses Verhalten erwarte, meint Parnes. "Es ist klar, dass ein Kommandeur weiß, was in seinem Gebiet passiert."

"Können das nur für eine gewisse Zeit aushalten"

Die israelischen Streitkräfte antworten erst nach Tagen auf die Anfrage des ARD-Studios Tel Aviv. Sie verweisen allgemein auf eine gestiegene Zahl von Terroranschlägen im Westjordanland nach dem 7. Oktober. Die Soldaten würden mit dem Ziel operieren, die Sicherheit Israels sicherzustellen.

Beschwerden über Fehlverhalten von Soldaten würden gründlich untersucht, heißt es in der Erklärung. Tatsächlich gibt es Beschwerden - aber bisher keine Berichte, dass Soldaten für das von B’Tselem dokumentierte Fehlverhalten bestraft wurden.

Yasser Abu Marchiyeh hat eine Erklärung für dieses Vorgehen der israelischen Soldaten: Ziel sei die Vertreibung von Palästinensern. In seiner Nachbarschaft in Hebron hätten früher mehr als 300 Familien gewohnt, sagt er. Inzwischen seien es nur noch 135. Nach dem Massaker der Hamas an Israelis am 7. Oktober letzten Jahres sei die Vertreibung normal geworden: "Menschen können das nur für eine gewisse Zeit aushalten."

Für die Männer, mit denen das ARD-Studio Tel Aviv gesprochen hat, gehören solche Gewalterfahrungen zum Alltag. B’Tselem sagt, Fälle von Misshandlungen durch israelische Soldaten gebe es nicht nur in Hebron, sondern auch anderswo im besetzten Westjordanland.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. Dezember 2024 um 05:15 Uhr.