LGBTQ-Community in China Hoffen auf die Utopie
Der chinesische Staat geht verstärkt gegen die LGBTQ-Community vor. Veranstaltungen wurden teils eingestellt, auch im Pride-Monat gab es kurzfristige Absagen. Trotzdem gibt es die Hoffnung auf Wandel.
Es ist sehr klein und versteckt. Vom Bürgersteig aus könnte man meinen, es wäre ein Einkaufsladen, im Schaufenster steht ein Motorrad. Doch dahinter stehen auf dem metallenen Boden ein paar Klappstühle, es gibt eine kleine Bar, ein paar Getränke. Und es hängen Bilder an der Wand: Fotoportraits von Menschen, begleitet von kurzen Texten, die eine Geschichte erzählen von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender in China.
LGBTQ - diesen Schriftzug sieht man hier nicht. Das wäre zu offensichtlich. Offiziell für die chinesischen Behörden geht es um Geschichten von Frauen. Feminismus. Das geht, LGBTQ nicht.
"Was wir hier ausstellen, haben wir vorher ausgewählt, selbstzensiert", sagt eine junge Frau. 80 Prozent der Sachen, die man ausstelle, seien tatsächlich über Frauen. "So konnten wir überhaupt die Ausstellung möglich machen - in diesem Raum, der relativ versteckt ist. Es ist ein Gefühl, dass wenn wir heute nicht von den Behörden entdeckt werden, es eines Tages vielleicht soweit ist." Genau deshalb will sie unerkannt bleiben.
"Es ist doch etwas ganz Alltägliches"
Ihre Anonymität soll helfen, den Ort so lange wie möglich zu erhalten. Gemeinsam mit anderen Frauen hat sie ihn erst Mitte Mai gegründet, etwa zur selben Zeit als in der chinesischen Hauptstadt Peking die Schließung des bekannten LGBTQ-Zentrums Beitong für Schlagzeilen sorgte. Dieses hatte sich für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender eingesetzt und beratende Unterstützung angeboten.
Es sei sehr schade, es gebe keinen Weg so etwas zu verhindern, sagt sie. "Wir wollen jetzt trotzdem so viel wie möglich machen. Wir hoffen, dass wir eine Utopie schaffen können - und das nicht nur hier - in diesem Land. Sondern auf der ganzen Welt."
Die junge Frau spricht von der Utopie, dass die Liebe zwischen Menschen, ungeachtet ihrer Geschlechtsidentität, einfach normal ist. Sie schaut auf die Bilder an der Wand. Eines zeigt zwei chinesische Frauen, die sich küssen - mitten auf einer Straße in China. Im Hintergrund gehen Passanten ihres Weges, ein Essenslieferant fährt mit seinem Motorroller an dem Paar vorbei. Das ist ihr Lieblingsbild.
"Ihren Kuss, obwohl er in einer lebhaften, Alltagssituation stattfindet, kann ich fühlen. Um alles, was drumherum passiert, muss ich mir keine Sorgen machen", sagt sie. Jeder lebe weiter als wäre nichts gewesen, gehe vorbei, liefere Essen aus. Sie frage sich, ob das eines Tages zur Normalität werden wird. "Es ist doch einfach etwas ganz Alltägliches."
Homosexualität in Familien oft tabu
Doch in China ist es das nicht. Auch wenn Homosexualität in der Volksrepublik im Jahr 1997 entkriminalisiert wurde, ist das Thema in vielen Familien tabu. Manche berichten, dass sie nach einem Outing ihre Freunde verloren haben. Und auch am Arbeitsplatz werden viele Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Daher verschweigen sie häufig, wenn sie nicht heterosexuell sind.
Seit der Machtübernahme von Staats- und Parteichef Xi Jinping geht der Staat verstärkt gegen die LGBTQ-Community vor. An Universitäten sind in den vergangenen Jahren zum Beispiel entsprechende Gruppen geschlossen worden, Profile in Online-Netzwerken wurden zensiert, Veranstaltungen teilweise eingestellt und zahlreiche LGBTQ-Dating-Apps nach und nach verboten. In diesem Jahr sind im Pride Monat Juni mehrere LGBTQ-Veranstaltungen kurzfristig abgesagt worden oder finden in einem deutlich kleineren Rahmen statt als zuvor.
LGBTQ-Lauf in Shanghai
"Wir können natürlich keine Paraden in China machen, also ist Laufen unsere Art", sagt eine Taiwanerin, die seit vier Jahren einen internationalen Sechs-Kilometer-LGBTQ-Lauf in Shanghai organisiert. Um ihre Identität zu schützen, wird auch ihr Namen nicht genannt. Dieses Jahr hat sie die Teilnehmenden gebeten, keine Regenbogen-Accessoires zu tragen. Das war in den vergangenen Jahren nicht so. Die Teilnehmerzahl hat sie auf 50 begrenzt, denn in China gibt es keine Versammlungsfreiheit.
"Als wir das Ganze organisiert haben, haben wir keine Poster gemacht", sagt sie. Das Ganze würde sich zu leicht verbreiten, zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sie hätten es nicht in ihre öffentlichen Online-Netzwerken gepostet. Von Anfang bis Ende habe es sich einfach von Mund zu Mund rumgesprochen.
Deshalb, sagt sie, habe sie gar nicht viel erwartet in diesem Jahr. Alle seien aktuell besonders vorsichtig. Doch dann kamen 45 Leute zusammen. Manche haben sich doch getraut, etwa ein Regenbogenschweißband anzuziehen oder eine Anstecknadel, auch eine Regenbogenfahne war dabei. "Es war wirklich bewegend und zeigt mir, dass die Aktivität erfolgreich war", sagt sie. Ob die Aktion Konsequenzen hatte, darüber will sie öffentlich nicht sprechen.