Machtübergabe in Syrien Ungewissheit nach dem Sturz Assads
Wie geht es nach dem Sturz der Assad-Regierung in Syrien weiter? US-Präsident Biden bot bereits Hilfe für die Machtübergabe an. Vieles bleibt aber noch unklar: Die Ungewissheit sorge auch die Syrer, sagt eine Expertin.
Nach dem Sturz der Assad-Regierung in Syrien sind noch viele Fragen offen. Direkt nach dem Einmarsch der islamistischen Kämpfer in die Hauptstadt Damaskus am Sonntag hatte Regierungschef Mohamed al-Dschalali seine Bereitschaft für eine Machtübergabe erklärt. Wie könnte die aussehen?
Der Anführer der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), Abu Muhammad al-Dscholani, verhandelt nach übereinstimmenden Berichten bereits mit der Regierung über die Ausgestaltung des Machtwechsels. Ein von den Rebellen veröffentlichtes Video zeigt, wie bewaffnete Kämpfer einen telefonierenden Ministerpräsidenten al-Dschalali abholen.
"Im Gespräch ist eine Übergangsregierung mit vier Köpfen", erklärte ARD-Korrespondent Ramin Sina in den tagesthemen. "Wer da konkret drin sitzen soll und ob das auch wirklich kommt, das ist nicht bestätigt." Auch ob Minderheiten dabei berücksichtigt würden, sei unklar. Für den Moment müssten die Milizen erstmal Damaskus richtig kontrollieren, sagt er. Es habe zahlreiche Plünderungen gegeben, Gebäude seien in Brand gesetzt und eine Ausgangssperre verhängt worden. "Und wie es politisch konkret weitergeht, da werden die nächsten Tage zumindest mal eine Richtung geben."
"Gemeinsame Leistung der Syrerinnen und Syrer"
Trotz des vielen Jubels gibt es auch Unsicherheit unter den Syrern, sagte Bente Scheller, Politikwissenschaftlerin bei der Heinrich-Böll-Stiftung in den tagesthemen. "Ich kenne keine Syrerinnen und Syrer, die nicht auch von Angst erfüllt sind vor der Ungewissheit, vor der möglichen Herrschaft von Islamisten."
Doch der Versuch, ein neues Regime aufzubauen, dürfte auf deutlichen Widerstand stoßen: "Ich glaube, dass selbst, wenn man versuchen wollte, Syrien wieder so zu beherrschen - autoritär und mit nur einer Ideologie, wie es unter den Assads war - dann dürfte das schwierig sein", so die Syrienexpertin. "In der Bevölkerung, von der über den Krieg hinweg die Hälfte vertrieben wurde, ist so viel Widerstandsgeist." Nach Ansicht vieler sei das auch kein Sieg allein der Islamisten, sagte Scheller. "Es ist eine gemeinsame Leistung der Syrerinnen und Syrer, das hier geschafft zu haben."
Biden: Eine "historische Gelegenheit"
US-Präsident Joe Biden bot Hilfe für die Machtübergabe in Syrien an. Die USA würden "mit allen syrischen Gruppen" Kontakt suchen, um unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen "einen Übergang weg vom Assad-Regime hin zu einem unabhängigen, souveränen" Syrien mit einer neuen Verfassung zu schaffen, sagte er.
"Der Sturz des Regimes ist ein fundamentaler Akt der Gerechtigkeit", sagte Biden weiter. Nun habe das syrische Volk die "historische Gelegenheit", eine bessere Zukunft aufzubauen. Assad müsse zur Rechenschaft gezogen werden, so der scheidende US-Präsident. "Wir sind nicht sicher, wo er sich aufhält, aber es heißt, er sei in Moskau." Zuvor hatten russische Nachrichtenagenturen gemeldet, Assad und seine Familien hätten Zuflucht in Moskau gefunden.
Iran: "Wir wurden niemals um Hilfe gebeten"
Neben Russland gilt auch der Iran als engster Verbündeter Assads. Doch an die Führung in Teheran habe der langjährige Machthaber Syriens sich wohl nicht gewendet: "Wir wurden niemals um Hilfe gebeten", sagte der iranische Außenminister Abbas Araghtschi. Der Iran hatte ihm zufolge in Syrien zwar mit einem langfristigen Bürgerkrieg, nicht aber mit einem solch rasanten Umsturz gerechnet. Und auch wenn Assad ein strategisch wichtiger Alliierter in der Widerstandsfront gegen Irans Erzfeind Israel gewesen ist, würde das den weiteren Kurs gegen Israel nicht stoppen, so Araghtschi.
Am Sonntag hatten islamistische Kämpfer unter Führung der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) ohne erkennbaren Widerstand die Kontrolle über Damaskus übernommen und den seit Jahrzehnten herrschenden Machthaber Assad gestürzt. Weltweit wurde der Sturz des Regimes gefeiert - unter anderem in Deutschland.