Ein syrisches Rebellenmitglied zeigt Amphetamintabletten, die als Captagon bekannt sind, versteckt in einem elektrischen Bauteil in einem Lagerhaus in Douma bei der Stadt Damaskus Syrien.

Syriens Captagon-Produktion Was wird aus Assads Drogen-Imperium?

Stand: 15.12.2024 12:30 Uhr

Unter Machthaber Assad hatte sich Syrien in einen Narco-Staat verwandelt. Herstellung und Handel mit der Droge Captagon wurde zu einer seiner wichtigsten Geldquellen. Nun werden die Details bekannt. 

Von Katharina Köll, WDR

Ein Reporter des arabischen TV-Senders Al-Arabiya steht vor einer großen Lagerhalle auf dem Militärflughafen Mazzeh bei Damaskus. Die Kamera schwenkt auf einen schwarzen Aschehaufen.

Kleine durchsichtige Tüten, gefüllt mit weißen Tabletten liegen zwischen den verkohlten Überresten: "Hier haben wir diese Tabletten gefunden. Es handelt sich um Captagon", hört man den Reporter sagen.

Drogen-Geschäft unter Aufsicht von Assads Bruder

Angeblich sollen Rebellengruppen nach dem Sturz des Regimes eine der Hauptproduktionsstätten der Droge Captagon entdeckt haben, nachdem sie dort Lagerhallen, Produktionsequipment und Container mit den Tabletten gefunden hatten.

Auf dem Militärflughafen hatte auch die Eliteeinheit "4. Division" ihren Stützpunkt, die unter der Aufsicht des jüngeren Bruders von Syriens Ex-Präsidenten Baschar al-Assad stand. Maher al-Assad soll eine führende Rolle im Captagon-Business bekleidet haben. 

Captagon ist ein Amphetamin, mit dessen Handel der Assad-Clan Syrien in eine Art Narco-Staat verwandelte. Der Handel mit der Droge wurde also zu einer der wichtigsten Geldquellen und dem entscheidenden Wirtschaftsfaktor, der den von Bürgerkrieg und Sanktionen finanziell am Boden liegenden syrischen Staat am Leben hielt.

Billiger Amphetamin-Rausch

Captagon ist eine synthetische Droge in Tablettenform, die vor allem in arabischen Ländern konsumiert wird. Ursprünglich in den 1960er-Jahren in Deutschland als ein Medikament gegen ADHS hergestellt, wurde es später wegen gefährlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen.

Captagon ist in der Regel ein Amphetamin-Koffein-Gemisch, es gibt inzwischen aber verschiedene Nachahmungen auf dem Markt. Ein ehemaliger Abhängiger aus Syrien beschreibt die Wirkung von Captagon dem WDR gegenüber so: "Erst fühlt man sich gut, man hat auf einmal viel Selbstbewusstsein, kann viel reden. Doch dann kommen Depressionen und Halluzinationen."

Schon für ein paar Dollar ist eine Tablette in Syrien und anderswo auf dem Drogenmarkt erhältlich: Ein billiges High mit schweren gesundheitlichen Folgen. 

Netz aus Kartellen, Milizen und dem Regime

In den frühen 2000er-Jahren verlagerte sich die illegale Produktion von Captagon zunehmend in den Nahen Osten, heißt es in einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2010 wird zuerst der Libanon zu einem Hauptproduktionsland.

Der stimulierende Wachmacher wurde dann auch gerne von verschiedenen Milizen im Kampf eingesetzt, unter anderem von der schiitischen Hisbollah. Die vom Iran unterstützte Organisation, ein enger Verbündeter des gestürzten Assad-Regimes, war tief verwickelt in die Produktion und den Handel mit Captagon.

Durch den syrischen Bürgerkrieg und die darauffolgenden Sanktionen sowie den Kontrollverlust über bedeutende Landesteile, suchte sich das Regime neue Quellen für dringend benötigte Einnahmen. Der Captagon-Handel diente nicht nur als stetiger Geldfluss, mit der der Assad-Clan Milliarden einnahm, sondern auch zur Konsolidierung seiner Macht. 

Captagon-Imperium reicht bis nach Deutschland

Seit einigen Jahren überschwemmt die Droge die arabische Halbinsel, vor allem Saudi-Arabien. Doch nachdem Ermittler dort immer mehr den Captagon-Handel über die sonst üblichen Routen von Syrien nach Jordanien und dem Irak überwachten, mussten neue Wege für die Schmuggler her: Über Europa.

So hat sich unter anderem auch Deutschland immer mehr zum Captagon-Umschlagsplatz in den vergangenen Jahren entwickelt. Um die Ursprungsorte Syrien oder Libanon zu verschleiern, wird das Captagon über bereits existierende Drogenkartelle und kleinere Zellen umgeleitet.

Wie sehr Deutschland inzwischen im Fokus steht, zeigt ein aktueller Fall vor dem Landgericht Aachen. Vier Männer mit syrischer Herkunft sind angeklagt: Sie sollen in großen Stil Captagon von Deutschland nach Saudi-Arabien, Bahrain, Katar und Australien verschickt haben. Das Captagon war in Tischen, Rolläden, Heizöfen und Bremszylindern versteckt worden.

Es ist der bisher größte Captagon-Fund in Deutschland, der ahnen lässt, wie enorm der Handel in Europa damit wirklich ist. Dabei funktioniert dieser dezentral durch viele verschiedene kleine Organisationen und Hintermänner, die lose miteinander unter anderem in Deutschland, Holland und Italien zusammenarbeiten.

Rebellen zeigen Materialien zur Herstellung von Amphetamintabletten, bekannt als Captagon, in einem Lagerhaus in Douma Syrien.

Rebellen zeigen Materialien zur Herstellung von Amphetamintabletten, bekannt als Captagon, in einem Lagerhaus in Douma Syrien.

Ende Assads wohl kein Ende von Captagon

Mahmoud Jabara, Experte für Clan- und organisierte Kriminalität am Forschungszentrum für Islam und Recht in Europa meint, dass der Fall des Assad-Regimes neue Einblicke in das verzweigte Captagon-Netzwerk bringen und wichtige Informationen über Strukturen, Logistik und Akteure liefern könnte. Dadurch sei eine gezieltere Bekämpfung möglich.

Doch inwieweit internationale Behörden mit der neuen syrischen Regierung zusammenarbeiten werden, ist noch nicht absehbar. Auch wenn das Assad-Regime erst einmal Vergangenheit ist und die verbündete Hisbollah durch den Krieg mit Israel erheblich geschwächt zurückbleibt, "wäre eine Verlagerung nach Europa, einschließlich Deutschland, durchaus denkbar", meint der Experte.

Er hegt den Verdacht, dass mit dem Sturz des Regimes auch frühere Assad-Anhänger nach Europa flüchten könnten, darunter auch Personen, die "direkt oder indirekt in die Produktion und den Handel involviert waren". Ein Ende des Captagon-Handels bedeute der Zusammenbruch des Assad-Regimes also vermutlich nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. Dezember 2024 um 10:22 Uhr.