Ein Mann lehnt im Sednaya-Gefängnis bei Damaskus (Syrien) an einem Gitter.
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Umsturz in Syrien Wie kann Assad für seine Taten bestraft werden?

Stand: 12.12.2024 17:55 Uhr

Syriens neue Herrscher wollen die vielen Verbrechen des Assad-Regimes aufarbeiten. Es geht um Menschenrechtsverletzungen, Folter und Kriegsverbrechen. Kommen Assad und seine Schergen vor Gericht?

Von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion

Was wird Assad und seinen Gefolgsleuten vorgeworfen?

Als 2011 der Arabische Frühling zu Protesten auch in Syrien führte, ließ Baschar al-Assad diese brutal niederschlagen. Es brach ein Bürgerkrieg aus, in dem rund eine halbe Millionen Menschen starben. Die syrische Armee soll unter anderem Giftgas eingesetzt haben. Außerdem hat das Assad-Regime systematisch Gegner weggesperrt, gefoltert und getötet.

Auch der syrische Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni saß von 2006 bis 2011 in einem syrischen Gefängnis. Heute lebt er in Deutschland. Er berichtet von unzähligen Gefängnissen, und geheimen Kerkern. "Der Geheimdienst kannte mehr als 80 Arten der Folter", sagte Bunni der Süddeutschen Zeitung.

Wärter hätten neue Häftlinge teils mit "Willkommenspartys" begrüßt, bei denen sie auf neue Gefangene mit Kabeln oder Stöcken einschlugen. Im wohl bekanntesten Gefängnis, Sednaya, wurden am Samstag von den Milizen tausende Häftlinge befreit, darunter viele politische Gefangene. Außerdem wurden zahlreiche Leichen entdeckt.

Blick auf das Sednaya-Gefängnis aus der Luft bei Damaskus (Syrien)

Eine Luftaufnahme zeigt die ganze Dimension des berüchtigten Sednaya-Gefängnisses bei Damaskus.

Könnten diese Taten künftig in Syrien strafrechtlich verfolgt werden?

Das hängt davon ab, wie sich die Lage in Syrien nun sortiert und entwickelt. "Ich würde die Menschen in Syrien erstmal machen lassen", sagt Christoph Safferling, Professor für internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Die neuen Machthaber in Syrien wollen nach ersten Bekundungen die Taten ahnden. Ob das dann so abläuft, wie nach europäischen Maßstäben ein rechtsstaatliches Verfahren aussieht, lässt sich noch nicht absehen.

Der Menschenrechtsanwalt Bunni wirbt für Gerichte, die zur Hälfte mit syrischen und zur anderen Hälfte mit internationalen Richtern besetzt sind. Ob es dazu kommen wird, scheint völlig unklar. Die Rebellen wollen aber wohl gezielt nach Folterschergen des alten Regimes suchen.

Kann der Internationale Strafgerichtshof tätig werden?

Bislang nicht. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wird ohnehin nur tätig, wenn eine Strafverfolgung im betroffenen Land nicht möglich ist. Außerdem muss sich ein Land, aus dem Täter kommen oder in dem die Taten begangen werden, der Gerichtsbarkeit unterworfen haben. Das hat Syrien bislang nicht, da es das Römische Statut nicht unterzeichnet hat, das die rechtliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ist. Bei Fällen, die so einen Nicht-Mitgliedstaat betreffen, kann der IStGH grundsätzlich nicht tätig werden.

Es gibt aber zwei Ausnahmen: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann dem Gerichtshof eine "Situation unterbreiten". Damit überträgt er der Anklagebehörde des Gerichts quasi die Zuständigkeit für einen Sachverhalt. Dass der Sicherheitsrat das macht, erscheint aktuell aber sehr unwahrscheinlich. Russland hat ein Vetorecht in dem wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen und ist wichtiger Unterstützer von Assad.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine sogenannte ad hoc-Anerkennung. Dafür müsste Syrien sich kurzfristig der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs unterwerfen. Der Gerichtshof könnte dann die konkreten Taten - auch für die Vergangenheit - aufarbeiten. Damit Syrien aber die ad-hoc-Anerkennung abgeben kann, bräuchte es eine geordnete und international anerkannte Machtstruktur.

Was wäre mit einem Sondertribunal?

Ein Sondertribunal ist eine Art Sondergerichtshof. Er könnte extra für die Aufarbeitung der Taten des Assad-Regimes gegründet werden. Ein solches Tribunal könnte der UN-Sicherheitsrat einberufen, wie er es 1994 für den Völkermord in Ruanda machte. Eine Rolle könnte auch die Europäische Union übernehmen.

Sie setzte sich stark in der Vergangenheit für die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen im Kosovo ein. Die sogenannten "kosovarischen Sonderkammern" wurden dann im Recht des Kosovos verankert. Sie arbeiten mit Unterstützung der Europäischen Union Taten aus der Zeit von 1998 bis 2000 auf.

Derartige Beispiele könnten ein Vorbild für die Verfolgung von Taten in Syrien sein. "Völkerrechtlich sind dem keine Grenzen gesetzt, man braucht aber jeweils Syrien als Kooperationspartner", sagt Völkerrechtsexperte Safferling. Und die hängen wiederum von den Entwicklungen vor Ort ab.

Können andere Staaten wie Deutschland die Taten verfolgen?

Ja, es gilt das sogenannte Weltrechtsprinzip. Dadurch können Staaten Menschenrechtsverletzungen verfolgen, die woanders und durch andere Staatsbürger begangen wurden. In Deutschland sind Details im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) geregelt.

Die Ermittlungen dazu führt der Generalbundesanwalt, der seinen Sitz in Karlsruhe hat. Gerade europäische Behörden kooperieren in solchen Fällen eng. Die Koordination übernimmt dann die EU-Agentur Eurojust, die etwa das "Genozid-Netzwerk" zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreibt.

Welche Taten könnten in Deutschland verfolgt werden?

Das Völkerstrafgesetzbuch stellt den Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe. Als solche gelten Taten, die "systematisch oder ausgedehnt" gegen die Zivilbevölkerung begangen werden. Dabei müssen etwa Zivilisten getötet, gefoltert oder vergewaltigt worden sein.

Auch das spurlose und längere Verschwindenlassen von Menschen, wie etwa politischen Gegnern, gilt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ist unter Strafe gestellt. In Deutschland drohen für derartige Taten mindestens mehrere Jahre Haft.

Ein Mann hält im Sednaya-Gefängnis bei Damaskus (Syrien) Schlingen vor einer Maschine hoch, die die Syrer als "Kompressor" bezeichnen und mit der vermutlich Menschen gefoltert werden.

Solche Schlingen in Kombination mit einer Maschine nannten die Syrer "Kompressor" - damit wurden vermutlich Menschen gefoltert.

Gab es in Deutschland bereits Verfahren rund um das Assad-Regime?

Ja, das Oberlandesgericht Koblenz hat 2021 und 2022 zwei Syrer zu mehrjähriger beziehungsweise lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Der Grund: ihre Rolle bei der syrischen Staatsfolter. Die Angeklagten waren als Geflüchtete nach Deutschland gekommen und wurden dann zufällig identifiziert.

Die Ermittler wiesen einem der Angeklagten Beihilfe zu mindestens 30 Foltertaten nach. Der zweite Syrer wurde wegen Mittäterschaft bei Folter und 27 Morden verurteilt. Es waren die weltweit ersten Prozesse rund um die syrische Staatsfolter. Die beiden Verurteilten gehörten den mittleren Hierachieebenen des syrischen Geheimdienstes an.

Diese Verfahren sind für Safferling Beleg dafür, dass die Bundesanwaltschaft Taten wo möglich verfolgt. "Priorität haben Fälle, wo die Tatverdächtigen hier in Deutschland sind", so der Rechtswissenschaftler. Die deutsche Justiz beschäftigt sich aber auch mit Tätern, die nicht in Deutschland sind.

Schon 2018 hat der Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen Dschamil Hassan verhängt, der weltweit vollstreckt werden kann. Hassan war Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes und soll für schwere Folter mitverantwortlich sein. Auch andere Staaten verfolgen Hassan.

Für Ex-Machthaber Assad selbst gibt es ebenfalls einen internationalen Haftbefehl, ausgestellt von der französischen Justiz. Dieser müsste auch in Deutschland vollstreckt werden, wenn Assad einreist. Spätestens seit seinem Sturz genießt Assad in Deutschland keine Immunität mehr.

Was sind bei der Strafverfolgung die größten Hürden?

Die einzelnen Taten müssen nachgewiesen werden. In einem rechtsstaatlichen Verfahren benötigen die Anklagebehörden und Gerichte dafür Beweise. Diese könnten aber gut gesammelt werden, so Völkerrechts-Experte Safferling. Selbst wenn es keine Dokumente gebe oder diese nun bei der Machtübernahme zerstört würden, gebe es Videomaterial im Netz und unzählige Zeugen. Diese sind teils als Geflüchtete ins Ausland gereist und können sogar dort von ausländischen Ermittlungsbehörden befragt werden. Das geschehe schon seit 2010, etwa in Deutschland.

Durch den Sturz des Assad-Regimes habe sich an den Verfolgungschancen daher erstmal wenig geändert, so Safferling im Interview mit der ARD-Rechtsredaktion. Wie es nun weitergehe, hänge daher von den Entwicklungen in Syrien ab.

Denkbar wäre sogar, dass in Kooperation mit einer neuen syrischen Regierung internationale Ermittler in Syrien Beweise sichern. Das Bundeskriminalamt habe etwa in Ruanda zur Aufklärung des dortigen Völkermords vor Ort ermittelt. Bereits in den vergangenen Jahren wurden auch für Syrien Beweise zu Menschenrechtsverletzungen gesammelt. Das zeigen etwa die Urteile des OLG Koblenz.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen setzte Ende 2016 den "III-Mechanismus Syrien" ein. Damit sollen Beweise und Informationen zu Menschenrechtsverletzungen in Syrien gesammelt und analysiert werden, um sie für mögliche Strafverfolgung zugänglich zu machen.

Eine weitere Hürde für die Strafverfolgung: Die Verantwortlichen müssen gefasst werden.

Im befreiten Sednaya-Gefängnis bei Damaskus (Syrien) beobachten Bürger, wie Rebellen das Gebäude nach unterirdischen Zellen durchsuchen.

Gab es im Sednaya-Gefängnis auch unterirdische Zellen? Diese Syrer beobachten die Suche danach.

Warum verfolgen Staaten wie Deutschland Taten in Syrien?

Das Gesetz verpflichtet die deutsche Justiz dazu mittlerweile. Das ist auch historisch begründet. "Wir haben die Verpflichtung, internationale Verbrechen zu verfolgen. Das gilt letztlich für ganz Europa", sagt Safferling. Das folge aus der Tradition der Nürnberger Prozesse. In denen hatten die Siegermächte nach Ende des Zweiten Weltkriegs die wichtigsten Repräsentanten der Nazis zur Rechenschaft gezogen.

Durch die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdeutlichen Staaten wie Deutschland, dass die Taten von der Weltgemeinschaft nicht einfach hingenommen werden. "Das 'Römische Statut' bekräftigt, dass solche schwersten Verbrechen nicht unbestraft bleiben dürfen", heißt es auf der Seite des Generalbundesanwalts.

"Uns muss aber klar sein, dass das Geld kostet", sagt Safferling. Einfach nur aus gutem Willen werde die Strafverfolgung nicht funktionieren. Beim Bundeskriminalamt gebe es etwa extra Beamte für diese Aufgaben. Die Bundesanwaltschaft hat drei Referate, die sich nur um Völkerrechtsverletzungen kümmern.

Syrer machen sich nach der Öffnung des Sednaya-Gefängnisses bei Damaskus auf den Weg, um nach vermissten Angehörigen zu suchen.

Als das Sednaya-Gefängnis befreit wurde, machten sich viele Syrer auf den Weg, um in dem vor Damaskus gelegenen Gebäude nach Verwandten und Freunden zu suchen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Dezember 2024 um 17:00 Uhr.