Erdbeben in Syrien Mit jeder Stunde wird das Leid größer
Nach den verheerenden Erdbeben mangelt es an Versorgung von Betroffenen in Syrien. Im Vergleich zur Türkei kommt die Hilfe deutlich schwerer voran. Trotzdem gibt es kleine Momente, die Hoffnung machen.
Es sind die kleinen Momente, die ein wenig Hoffnung geben: Die Helfer der syrischen Weißhelme haben im Ort Jandaris ein kleines Mädchen unter den Trümmern entdeckt, Nour heißt die Kleine, das heißt Licht. Das Kind lebt.
"Schau zu Papa", rufen die Helfer in dem Video, das die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlicht hat. "Schau Papa an." Das Kind steckt bis zu den Schultern in Geröll, in einer winzigen Spalte zwischen zusammengestürzten Hauswänden. Es gelingt den Männern, das Kind auszugraben, es wirkt äußerlich unverletzt. Freudenrufe werden laut, die Kleine ist gerettet.
Mangelnde Versorgung der Betroffenen
Auch wenn das Video nicht unabhängig verifiziert werden kann, scheint es doch wie ein Lichtblick in der dürftigen Informationslage aus dem bürgerkriegsgeschundenen Syrien, das nun im Nordwesten mit den Folgen der verheerenden Naturkatastrophe kämpft. Helfer berichten, es mangele an medizinischer Versorgung für die Verletzten, an schwerem Gerät, um die Trümmer zu beseitigen, an Zelten und Decken für die nun obdachlosen Familien.
"Was die Menschen am dringendsten benötigen ist das, was man benötigt, wenn man nachts im Schlafanzug aus dem Haus rennt und danach das Haus nicht mehr betreten kann", sagt Jesco Weickert, Nothilfekoordinator der deutschen Welthungerhilfe in der Region. Er versucht jetzt, von der Türkei aus die Hilfe für Syrien anzukurbeln.
Es gehe um warme Kleidung, Trinkwasser, Nahrung, Hygieneprodukte. Die komplette Versorgung von Nordwestsyrien laufe über die Türkei, momentan gebe es noch Vorräte. "Aber wenn die zur Neige gehen, muss die Grenze sehr schnell wieder aufgehen, sonst wird die Versorgung sehr schnell sehr knapp", sagt Weickert.
Idlib scheint kaum Hilfe zu bekommen
Hilfe für Syrien ist alles andere als einfach: Das Land ist in verschiedene Machtbereiche zersplittert. In den Teilen der Erdbebenregion, die von Präsident Baschar al-Assad kontrolliert werden, läuft die internationale Hilfe langsam an, erste Hilfsflugzeuge landeten auf den Flughäfen von Aleppo und Damaskus. Doch ob die Hilfsgüter auch in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten im Nordwesten Syriens ankommen werden, ist völlig unklar.
Vor allem die Stadt Idlib scheint derzeit kaum Hilfe zu erhalten. Durch den einzigen offenen Grenzübergang von der Türkei kommen keine Hilfslieferungen. Die Straßen seien zerstört, Verbindungsrouten unterbrochen, meldeten die Vereinten Nationen. Auch in anderen Teilen Syriens gestalten sich die Bergungsarbeiten offenbar als schwierig.
Ein Mann trägt die Leiche eines Kindes aus den Trümmern in der Stadt Harim in der von Rebellen gehaltenen syrischen Provinz Idlib.
Hinter Forderungen steckt auch Propaganda
Der Leiter des Syrischen Roten Halbmonds, Chaled Habubati, forderte den Westen dringend auf, die verhängten Sanktionen gegen Syrien aufzuheben, um bessere Hilfe zu ermöglichen. "Wir beim Roten Halbmond besitzen keine schweren Rettungsgeräte und der Zivilschutz auch nicht. Sollte es ein weiteres Erdbeben geben, dann stehen wir mit nichts da", sagte Habubati. Die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien müssten aufgehoben werden, das sei im Moment das Wichtigste.
Doch hinter den Forderungen steckt auch politische Propaganda. Das Staatsfernsehen veröffentlichte Forderungen, der Westen und seine Verbündeten müssten jetzt für die Schäden in Syrien zahlen - schließlich seien sie als Unterstützer der Opposition schuld an der Zerstörung Syriens durch den Bürgerkrieg.
Rhetorik, die den Menschen in Syrien in ihrer verzweifelten Lage alles andere als hilft. Und das Leid wird derzeit mit jeder verstrichenen, verlorenen Stunde größer. Hunderte Menschen sind offenbar immer noch verschüttet.
"Wir können ihre Stimmen hören"
"Die Menschen unter den Trümmern schreien nach Hilfe, wir können ihre Stimmen hören", erzählt Weißhelm-Helferin Nada al-Rashed dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira.
Es sind die kleinen Geschichten, die dem Grauen ein Gesicht geben, die Wunder und Schrecken in einem sind. Im Ort Dschandairis in der Region Afrin wurde offenbar ein neugeborenes Baby lebend aus den Ruinen geborgen - mit der Nabelschnur war es noch mit seiner toten Mutter verbunden. Auch der Rest der Familie starb in dem eingestürzten Haus. Das staubbedeckte Neugeborene überlebte - inmitten der Trümmer nach dem Erdbeben in Syrien.