Ladengeschäft eines syrischen Handwerkers
reportage

Syrien nach Assad Zwischen Zuversicht und Ungewissheit

Stand: 31.12.2024 20:32 Uhr

In Syriens Hauptstadt Damaskus bereiten sich die Menschen auf das erste Neujahr nach Assad vor. Die Stimmung ist geprägt von Hoffnung, aber auch Unsicherheit über die Pläne der neuen islamistischen Machthaber.

Von Moritz Behrendt, ARD Kairo, zurzeit in Damaskus

Mohamed Ezzo sitzt vor dem kleinen Geschäft seines Onkels in der Altstadt von Damaskus. Geduldig und gleichmäßig schlägt der Kunstschmied mit einem kleinen Hammer auf eine Kupferkanne ein - die winzigen Kerben sollen später mit Silber ausgegossen werden.

2025, so hofft er, wird ein gutes Jahr für die Syrer. Die Dinge könnten nur besser werden: "Wir hatten so viele Ängste in den vergangen Tagen - eigentlich in den letzten anderthalb Jahrzehnten. So Gott will, wird es besser - wir beten dafür."

Syrischer Handwerker bei der Arbeit

"So Gott will, wird es besser", sagt Kunstschmied Mohamed Ezzo.

Am Straßenrand stehen Vermummte mit Gewehren

Auf den Straßen ist trotz tristem Wetter viel los, die Stimmung ist weitgehend ausgelassen. Einige Jugendliche haben schon an den Abenden vor Silvester ein bisschen geböllert. Dass am Straßenrand auch vermummte Männer mit automatischen Gewehren stehen, scheint die Wenigsten zu stören.

Für Sicherheit und Ordnung sind jetzt in Syrien die Islamisten des Milizenbündnisses Hayat Tahrir al-Shamder (HTS) zuständig. Kunstschmied Ezzo sieht darin keinen Grund zur Sorge: "Nein, nein, das ist eher eine Erleichterung. Die Atmosphäre ist für alle eher entspannt."

Straßenszene in Damaskus mit Bewaffneten

Straßenszene in Damaskus mit Bewaffneten. Beunruhigt sind die Menschen davon eher nicht.

"Schon jetzt beginnen die Preise zu sinken"

Auch Bäcker Samer al-Haj blickt optimistisch ins Neue Jahr. Vor seiner Bäckerei stehen Dutzende Menschen Schlange. "Die Leute sind dabei, das Leben im Land zu verbessern", sagt al-Haj. "Schon jetzt beginnen die Preise zu sinken."

In der Zeit des Assad-Regimes, sagt er, sei es kaum möglich gewesen, Ersatzteile für die Maschinen in seinem Laden zu bekommen. Auch da erhofft er sich Verbesserungen.

Frau mit Brotstapel in Damaskus

Anstehen für Brot in Damaskus. Die Preise beginnen bereits zu sinken.

Versprechen oder Drohung?

Ahmed al-Sharaa, der neue starke Mann im Land, hat am Wochenende in seinem ersten großen Interview versucht, die Erwartungen seiner Landsleute zu dämpfen. Grundlegende Änderungen würden erst in einem Jahr zu spüren sein, sagte der Anführer des HTS.

Nicht alle Syrer sind sicher, ob das eher ein Versprechen ist oder doch eine Drohung. Musiker aus dem Opernhaus sagen, sie hängen gerade in der Luft. Kultur habe für die neuen Machthaber noch keine Priorität.

Und der Franziskaner-Pater Firas Lutfi hat vor allem Fragen an den De-facto-Machthaber al-Sharaa:

Was ist seine Vision für Syrien? Was denkt er über die christliche Präsenz im Land, über christliche Regeln, über die Stellung der Frau in der Gesellschaft?
Firas Lutfi, Franziskaner-Pater

Lutfi und andere christliche Würdenträger hatten sich am letzten Tag des Jahres noch mit al-Sharaa getroffen. Vor dem Gespräch sagte der Mönch, er hoffe, dass der langjährige Milizenführer zuhören könne. Denn das müsse er, wenn er die Wandlung zum Politiker wirklich schaffen wolle.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 31. Dezember 2024 um 20:00 Uhr.