Krieg gegen die Ukraine Sorge um AKW Saporischschja
Ein Brand hat die letzte verbliebene Stromleitung im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja beschädigt, die Stromversorgung war vorübergehend abgeschnitten. Die Bürger vor Ort sorgen sich vor einem Atomunfall. Von Andrea Beer.
Ein Brand hat die letzte verbliebene Stromleitung im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja beschädigt, die Stromversorgung war vorübergehend abgeschnitten. Die Bürger vor Ort sorgen sich vor einem Atomunfall.
Das größte Atomkraftwerk Europas bei Saporischschja liegt im Ort Enerhodar. Ein Telegram-Video von dort sorgte am Donnerstag für Aufmerksamkeit. Es soll von Bürgern der russisch besetzten Kleinstadt aufgenommen worden sein. Die Qualität ist lausig - doch die Botschaft ist klar.
"Wir sind Bürger der Stadt Enerhodar", sagen die Vermummten mit verfremdeter Stimme, "und wir wenden uns voller Verzweiflung an Sie." Sie alle würden im besetzten Atomkraftwerk arbeiten und seien Geiseln russischer Soldaten, die sie terrorisieren würden.
Die drei Männer und eine Frau stehen vor einer hellen Wand, die von Einschlägen übersät ist. Enerhodar steht darauf in roter Farbe geschrieben. Die Ukraine befürchtet, dass Russland das AKW vom ukrainischen Netz kappen und den Strom auf die besetzte Krim umleiten könnte.
Vom Stromnetz getrennt
Die ukrainische Atomaufsichtsbehörde Enerhoatom machte am Donnerstag eine besorgniserregende Mitteilung: Das Atomkraftwerk Saporischschja sei vom ukrainischen Stromnetzwerk getrennt. In Folge eines Brandes sei die vierte und letzte Verbindungsleitung zwischen dem Kraftwerk und dem ukrainischen Energiesystem beschädigt worden. Die drei weiteren Leitungen seien bereits zuvor durch russischen Beschuss zerstört gewesen.
Die Automatisierungs- und Sicherheitssysteme seien derzeit aber nicht gestört, teilte Enerhoatom beim Messengerdienst Telegram mit. Der eigene Strombedarf des AKW werde nun durch das ukrainische Energiesystem gedeckt.
Nur zwei von sechs Reaktorblöcken am Netz
Der ukrainische Energieexperte Hennadij Rjabzew sieht es in einer ersten Einschätzung so: "Die vorübergehende Unterbrechung der Stromversorgung sollte nicht zu weiteren negativen Folgen im AKW Saporischschja führen. Da hat das automatische Schutzsystem reagiert und es wurde von der Stromversorgung vorübergehend getrennt."
In Saporischschja waren zurzeit nur zwei von insgesamt sechs Reaktorblöcken am Netz. Ein Vertreter der russischen Besatzer vor Ort gab an, einer dieser beiden würde inzwischen wieder laufen.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Stundenlanger Stromausfall
Zuvor war in den russischen besetzten Städten Enerhodar, Melitopol und Cherson stundenlang der Strom ausgefallen. Auch die Wasserversorgung soll unterbrochen gewesen sein.
Auch dies bestätigten die russischen Besatzungsbehörden. Grund dafür seien "Provokationen durch Selenskyjs Kämpfer". Mittlerweile haben man die Stromversorgung in den betroffenen Städten aber wiederhergestellt, berichtet die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti.
Gegenseitige Vorwürfe aus Moskau und Kiew
Das Atomkraftwerk Saporischschja liegt am Fluss Dnjepr und die gegenüberliegende Seite ist nicht besetzt. Für den Beschuss der Anlage machen sich die Ukraine und Russland gegenseitig verantwortlich.
Die oft beschossene Stadt Nikopol liegt auf der nicht besetzten Uferseite und hatte am Donnerstag Strom. Miroslav Zhukovsky arbeitet dort im Heimatmuseum. Er macht sich trotzdem große Sorgen:
Besonders beunruhigend für uns ist die Möglichkeit eines Atomunfalls. Nicht nur im Zusammenhang mit dem Atomkraftwerk, sondern in erster Linie durch angeblich "versehentlichen" Beschuss durch russische Truppen, die sich dort auf diesem Gebiet befinden. Das würde nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland betreffen - oder die Türkei und die Balkanstaaten.
IAEA will Experten ins AKW schicken
Seit Monaten versuchen Vertreter der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), auf die Anlage zu kommen. Sowohl die Ukraine als auch Russland sind grundsätzlich einverstanden - doch schon Organisation und Anreiselogistik ist ein Politikum.
Menschen würden von der Straße einfach verschwinden, sie trauten sich nicht einkaufen und Wasser holen zu gehen, sagen unterdessen die vier Bürger von Enerhodar in dem Video. Die Russen würden auf die Atomanlage schießen. "Bitte", flehen sie, "bitte befreit unsere Stadt!"