Banner in Paris nach der französischen Parlamentswahl

Frankreichs Linksbündnis gewinnt Der Rechtsruck bleibt aus

Stand: 07.07.2024 23:10 Uhr

Nach dem überraschenden Wahlsieg des Linksbündnisses in Frankreich hat Premierminister Attal seinen Rücktritt angekündigt. Der rechtsradikale RN muss sich mit Platz drei begnügen.

Nach der zweiten und entscheidenden Runde der Parlamentswahl zieht Premierminister Gabriel Attal die Konsequenzen: Er kündigte für morgen seinen Rücktritt an. Das Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron verfüge über keine Mehrheit mehr, teilte Attal nach Bekanntwerden erster Hochrechnungen mit. "Gemäß der republikanischen Tradition und meinen Prinzipien entsprechend reiche ich morgen meinen Rücktritt beim Präsidenten ein."

Der von vielen Beobachtern für möglich gehaltene Rechtsruck blieb indes aus. Der rechtsradikale Rassemblement National (RN) von Marine le Pen hat die Wahl verloren und landet voraussichtlich nur auf Platz drei - hinter dem Regierungslager der Mitte und der Wahlsiegerin, der linken Neuen Volksfront.

Hochrechnungen zufolge kommt das Linksbündnis auf 177 bis 198 der 577 Sitze und ist damit stärkste Kraft, verpasst allerdings eine absolute Mehrheit. Macrons Mitte-Lager erhält voraussichtlich 152 bis 169 Mandate und büßt seine bisherige Mehrheit ein. Zwar schnitt das Regierungslager besser ab als erwartet, doch Macrons Kalkül, die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte in der Nationalversammlung mit der vorgezogenen Parlamentswahl auszubauen, ging nicht auf. Der RN gewinnt Sitze hinzu, kommt aber lediglich auf 135 bis 145 Abgeordnete und landet somit aller Voraussicht nach auf dem dritten Platz.

"Für Frankreich, für Europa", Sabine Rau, ARD Paris, zu den Ergebnissen der Stichwahlen in Frankreich

tagesschau, 07.07.2024 20:00 Uhr

Linke reklamiert Wahlsieg für sich

Der Vorsitzende der französischen Linken, Jean-Luc Mélenchon, beschrieb das Ergebnis als eine große Erleichterung für die Mehrheit der Menschen im Land. Mélenchon ist der prominenteste Vertreter der Linken, die sich vor der Wahl zu einem Bündnis zusammengefunden hatten. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte er. "Wir haben gewonnen", skandierten Unterstützer des Linksbündnisses. Mélenchon schloss Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit Macrons Lager aus.

Sozialisten-Chef Olivier Faure sprach sich ausdrücklich gegen eine Koalition mit dem Regierungslager aus. "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen", sagte Faure. Das Bündnis habe eine "immense Verantwortung". Faure betonte, dass die Rentenreform, die das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hatte, abgeschafft werden solle. "Es ist an der Zeit, die Superreichen und die Supergewinne zu besteuern", erklärte er. 

RN überraschend deutlich auf die Plätze verwiesen

Marine Le Pen sprach von einem "aufgeschobenen" Sieg ihrer Partei. "Die Flut steigt. Sie ist dieses Mal nicht hoch genug gestiegen, aber sie steigt weiter und deshalb ist unser Sieg nur aufgeschoben", sagte Le Pen im Fernsehsender TF1. "Ich habe zu viel Erfahrung, um von einem Ergebnis enttäuscht zu sein, bei dem wir unsere Anzahl an Abgeordneten verdoppeln", sagte Le Pen weiter mit Blick auf das Resultat. Der RN sei "die stärkste" Partei in Frankreich.

Der Chef des Rassemblement National, Jordan Bardella, sagte, Macron habe Frankreich "in die Arme der Linksradikalen gestoßen". "Nachdem er freiwillig unsere Institutionen gelähmt hat, treibt Macron das Land in die Unsicherheit und Instabilität", so Bardella. "Das Bündnis der Schande und die Wahlabsprachen, die Macron mit linksradikalen Gruppen getroffen hat, berauben die Franzosen heute Abend einer Politik des Aufschwungs, die sie mit großer Mehrheit befürwortet hatten." Er kündigte an, seine Partei werde ihre Arbeit weiter verstärken.

Aus der ersten Wahlrunde vor einer Woche waren die Rechtsradikalen noch als stärkste Kraft hervorgegangen. Doch durch Absprachen der Kandidaten der Mitte und des Linksbündnisses in vielen Wahlkreisen verhinderten einen Durchmarsch des RN. Überhaupt schien ein drohender Wahlsieg der Le-Pen-Partei viele Französinnen und Franzosen zu mobilisieren: Früh zeichnete sich eine Wahlbeteiligung ab, die so hoch war wie seit 1981 nicht mehr.

Regierung könnte bis nach Olympia weitermachen

Der Präsident rief in einer ersten Reaktion zur Zurückhaltung bei der Interpretation der Wahlergebnisse auf. "Die Frage ist, wer regieren und wer eine Mehrheit bilden kann", hieß es aus dem Elysée-Palast. Gemäß der republikanischen Tradition werde Macron die Struktur der neuen Nationalversammlung abwarten, bevor er Entscheidungen treffe, hieß es weiter. Der Präsident sei der Garant der staatlichen Institutionen und werde darauf achten, "dass der Wählerwille respektiert werde". Die Frage werde sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden könne, um die 289 Abgeordneten zu erreichen. "Man hatte das Mitte-Lager für tot erklärt: Es ist da, auch nach sieben Jahren an der Macht."

Macron kann Attal und die Regierung bitten, für die laufenden Geschäfte zunächst kommissarisch im Amt zu bleiben, bis die Mehrheit für eine neue Regierung steht. Auch mit Blick auf die Olympischen Spiele, die am 26. Juli in Paris beginnen, kann es sein, dass die Regierung von Attal noch einige Wochen im Amt bleibt.

Macron hatte Attal im Januar zum Premierminister ernannt. Mit 34 Jahren wurde er der jüngste Premierminister in der jüngeren französischen Geschichte. Attal galt zwar als recht beliebt und hatte den Ruf, auch mit Vertretern anderer politischer Lager in der Sache diskutieren zu können. Dennoch konnte er die französische Regierung, die im Parlament unter Druck stand, nicht aus ihrer misslichen Lage befreien. Attal führte auch den Wahlkampf für die Parlamentswahl an.

Politischer Stillstand befürchtet

So oder so wird das Regieren in Frankreich künftig deutlich komplizierter, denn künftig gibt es in der Assemblée Nationale drei politische Blöcke: Rechtsextreme und Konservative, das Mitte-Lager der Regierung und das Linksbündnis. Neuwahlen sind binnen eines Jahres ausgeschlossen.

Attal hatte sich im Vorfeld der Wahl dafür ausgesprochen, Ad-hoc-Allianzen von Parteien der Mitte, der Linken und aus dem Kreis konservativer Abgeordneter zu bilden, um über einzelne Gesetzesvorhaben abzustimmen. Eine Koalitionsregierung wäre indes ein Novum. Solche Allianzen hat es in Frankreich wegen der starken politischen Polarisierung in der jüngeren politischen Geschichte des Landes bislang noch nicht gegeben.

Bei einem Regierungschef aus dem linken Lager müsste Macron, der bis 2027 gewählt ist, Macht teilen. Was dies für Deutschland und Europa hieße, ist unklar. Das Linksbündnis vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen. Klar scheint aber, dass Macron selbst in einer Koalition mit den Linken nicht ungehindert seinen Kurs fortfahren könnte, sondern gezwungen wäre, etliche Kompromisse einzugehen. Aus dem Regierungslager kamen bereits Absagen an einen Premierminister der Linken: Niemand könne vorerst sagen, dass er gewonnen hat, betonte Innenminister Gérald Darmanin - "vor allem nicht Monsieur Mélenchon".

Warnungen vor dem Erstarken der Rechten

Macron hatte die Neuwahl überraschend nach dem Triumph des RN bei der Europawahl am 9. Juni ausgerufen. Hätten die Rechtsradikalen die absolute Mehrheit geholt, wäre Macron wohl politisch gezwungen gewesen, deren Parteichef Jordan Bardella zum Regierungschef zu ernennen. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen.

Landes- und europaweit war vor einem Erstarken der Rechtsextremen in Frankreich gewarnt worden. Für Aufsehen sorgte unter anderem ein Appell des Kapitäns der französischen Fußball-Nationalmannschaft, Kylian Mbappé. Am Rande der Europameisterschaft in Deutschland hatte Mbappé seine Landsleute explizit dazu aufgerufen, dem RN die Stimme zu verweigern. "Es ist eine brenzlige Situation. Wir dürfen nicht erlauben, dass unser Land in die Hände dieser Leute fällt", hatte der 25-Jährige gesagt. "Ich hoffe, dass sich am Ergebnis noch etwas ändert und dass die Leute die richtigen Parteien wählen."