Protest gegen das Gesetz über "ausländische Einflussnahme" am 28. Mai 2024 in Georgiens Hauptstadt Tiflis.

Wahlkampf im Südkaukasusstaat Ein georgischer Albtraum

Stand: 12.09.2024 06:34 Uhr

Lange galt er als Strippenzieher im Hintergrund, nun tritt der georgische Milliardär Iwanischwili als Kandidat bei der Parlamentswahl an. Sein Plan: die liberale Opposition abschaffen. Georgien steht ein unruhiger Herbst bevor.

Zwei Drittel der Sitze im Parlament, um die Verfassung ändern zu können - das ist das erklärte Ziel der Regierungspartei "Georgischer Traum" bei der Parlamentswahl am 26. Oktober. Ausgerufen hat es ihr Gründer und Ehrenvorsitzender Bidsina Iwanischwili. Die Umsetzung überlässt der schwerreiche Geschäftsmann nicht mehr seinen Untergebenen: Er kommt nun aus der jahrelangen Deckung als Strippenzieher im Hintergrund und tritt selbst als Kandidat an.

Denn Iwanischwili will das "politische System grundlegend erneuern". Er meint damit, die liberale Opposition abschaffen zu wollen, die er als "kollektive UNM" bezeichnet. UNM ist die frühere Regierungspartei, die Iwanischwili bei der Parlamentswahl 2012 mit seinem "Georgischen Traum" von der Macht ablöste.

Zwar ist die UNM schwächer denn je: Ihr einstiger Anführer Michail Saakaschwili sitzt als Schatten seiner selbst in Haft, die Partei erlebte mehrere Abspaltungen. Doch Iwanischwili beschreibt sie weiter als größten Feind des Landes und zählt andere pro-westliche Parteien, NGOs und sogar Präsidentin Salome Surabschwili hinzu, seit sie sich von ihm distanziert und der Opposition ein Bündnis vorgeschlagen hat.

"Nürnberger Prozess" für die Opposition

Die Parlamentswahl müsse zu einem "Nürnberger Prozess" für "die vaterlandslosen Gesellen" und "ausländischen Agenten" werden, erklärte Iwanischwili bei einer Veranstaltung am 21. August. Nötige Verfassungsänderungen will er mit der angestrebten Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Partei durchsetzen.

Um die überwiegend konservative Bevölkerung hinter sich zu scharen, verspricht Iwanischwili weitere Verfassungsänderungen: Er schlug vor, den christlich-orthodoxen Glauben zur Staatsreligion zu erheben. Hochrangige Kirchenvertreter reagierten jedoch keinesfalls begeistert. Sie befürchten staatliche Einflussnahme auf ihre Institution, die bereits über reichlich Macht verfügt. Daraufhin versprach Iwanischwili, den christlich-orthodoxen Glauben als "Säule der georgischen Identität" in die Verfassung aufzunehmen. Dort will er auch "die Familienwerte und den Schutz von Minderjährigen" und ein Verbot von "LGBT-Propaganda" verankern.

Deal mit Russland?

Bei einem weiteren Anlass für Verfassungsänderungen blieb Iwanischwili vage: Im Falle einer friedlichen Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens solle "das georgische Regierungssystem und die territoriale Staatsordnung mit der neuen Realität in Einklang" gebracht werden.

Dies nährt seit Monaten gestreute Spekulationen, Iwanischwili könnte sich mit Russland auf einen Deal einlassen. Demnach würde Georgien die Kontrolle über die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien erlangen oder eine Föderation mit beiden Gebieten eingehen. Im Gegenzug müsste Georgien auf das in der Verfassung verankerte Ziel der transatlantischen Integration, der Mitgliedschaft in EU und NATO, verzichten. Vor die Wahl zwischen beidem gestellt, zog in einer Umfrage im Jahr 2021 eine Mehrheit die Rückholung der Gebiete vor.

Stigma als "ausländische Agenten"

Während bei diesem Thema unklar bleibt, was Iwanischwili anstrebt, zeigt er offen seine geradezu obsessive Absicht, die immer noch sehr lebendige liberale Opposition zu zerschlagen. Ein diesem Zweck dienliches Gesetz über "ausländische Einflussnahme" ist bereits in Kraft. Bis zum 2. September mussten sich alle Organisationen und Medien beim Justizministerium registrierten, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten.

Nach Angaben des Ministeriums kamen 476 Organisationen dieser Forderung nach - ein kleiner Teil der existierenden Organisationen: Dem Nationalen Statistikamt zufolge sind etwas mehr als 4.000 Organisationen als aktiv anerkannt, 40 bis 60 gelten als öffentlich bekannt. Den Verweigerern droht nun die Zwangsregistrierung und Strafzahlungen in Höhe von umgerechnet 8.000 Euro.

Wer sich hingegen registriert, soll mit einer Finanzierung durch die Regierung belohnt werden - was viele NGOs empört zurückweisen, schließlich wollen sie unabhängig bleiben.

EU-Beitrittsprozess gestoppt

Anders als im NGO-Sektor gelang es Iwanischwili und seinen Mitstreitern während der vergangenen zwölf Jahre an der Macht, Kontrolle über die wesentlichen Institutionen im Land zu erlangen. Umfragen ergeben immer noch komfortable Mehrheiten für die Regierungspartei, während viele Oppositionsparteien darum bangen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.

Mehrere Politikerinnen und Politiker stellten deshalb ihre Vorbehalte zurück und schlossen sich zusammen. Sie unterschrieben auch die von Präsidentin Surabischwili vorgelegte Charta für Georgien. Es ist ein Plan, das Land nach der Wahl wieder in Richtung EU zu bewegen. Die Union hatte den laufenden Beitrittsprozess nach der Verabschiedung des Gesetzes über "ausländische Einflussnahme" eingefroren.

An den Sorgen der Menschen vorbei

Iwanischwili versucht, die Schuld der EU und der Opposition zuzuschieben und wirbt im Wahlkampf mit EU-Symbolik - spricht sich doch seit Jahren eine Mehrheit der Bevölkerung für die Aufnahme in die Union aus.

Fraglich ist, wie glaubwürdig er damit auf die Bevölkerung wirkt. Hinzu kommt, dass laut Umfragen für die Mehrheit der Menschen seit langem andere Sorgen im Vordergrund stehen: niedrige Einkommen und die soziale Lage. Immer häufiger kommt es zu Ausständen. Seit Wochen streiken die Mitarbeiter eines Casinos und eines Bergwerks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Aus Verzweiflung gingen Frauen in Hungerstreik. Bergarbeiter ließen sich den Mund zunähen.

Wie bei vergangenen Wahlen werden sich viele genötigt sehen, ihre Stimme an die Regierungspartei zu verkaufen, um ihren Job zu behalten oder um ein Wahlgeschenk zu bekommen. Lokalen und internationalen Wahlbeobachtern unterstellt die Regierungspartei bereits jetzt die Absicht, mit angeblich falschen Vorwürfen Gewalt provozieren und einen Umsturz herbeiführen zu wollen. Russlands Auslandsgeheimdienst SWR stimmte ein und behauptet, die USA wollten sich in die Wahl einmischen und dazu die OSZE-Wahlbeobachterorganisation ODIHR nutzen. Georgien stehen unruhige Wochen bevor.