Stacheldraht an der Grenze zwischen der abtrünnigen georgischen Region Südossetien und Georgien.
analyse

Südkaukasus Wie prorussisch ist Georgiens Führung?

Stand: 30.12.2024 11:15 Uhr

Georgiens Opposition wirft der Regierungspartei vor, Marionette Putins zu sein. Die USA sanktionieren ihren Anführer, weil er im Interesse Russlands handele. Wie Kreml-hörig ist die Führung Georgiens?

Von Silvia Stöber, zzt. Tiflis

"Russen, Russen, Russen" – Nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten Micheil Kawelaschwili riefen die Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis noch einmal ihre Wut heraus. Sie richtete sich gegen die Partei Georgischer Traum, der sie Verrat und die Unterwerfung unter den übermächtigen Nachbarn im Norden vorwerfen.

Die scheidende Amtsinhaberin Salome Surabischwili sagte vor Verlassen des Präsidentenpalasts, die Regierung bringe Georgien wieder in die "russische Umlaufbahn" und erleichtere durch "totale Isolierung des Landes die Installation einer russischen Diktatur". Surabischwili bezog sich auf die Ankündigung der Regierung, den Beitrittsprozess mit der EU bis Ende 2028 auszusetzen, was eine landesweite Protestwelle ausgelöst hat.

Russischer Agent

Am Vortag hatte die US-Regierung den Geschäftsmann und Anführer der Regierungspartei, Bidsina Iwanischwili, als russischen Agenten sanktioniert. Die entsprechende Durchführungsanordnung E.O. 14024 sieht vor, dass "Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen verhängt werden können, die bestimmte schädliche ausländische Aktivitäten der Russischen Föderation fördern".

US-Außenminister Antony Blinken erläuterte: Iwanischwili habe mit seiner Partei die demokratischen Institutionen untergraben, Menschenrechtsverletzungen ermöglicht, die Grundfreiheiten eingeschränkt und Georgien vom euro-atlantischen Weg abgebracht. Das mache das Land verwundbar gegenüber Russland.

Repressive Gesetze

Die EU hatte bereits im Juni nach der Verabschiedung repressiver Gesetze den Beitrittsprozess ausgesetzt. Dass Iwanischwili dennoch weitermacht, zeigt die erste Amtshandlung des neu installierten Präsidenten. Kawelaschwili unterzeichnete noch am Abend Gesetzesänderungen mit erheblichen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit.

So kann bei Demonstrationen das Tragen von Masken, auch zum Schutz vor Tränengas, mit einer Geldstrafe von 2.000 Lari (677 Euro) bestraft werden. Zudem kann die Polizei nun vorbeugend Personen festnehmen oder auch in Gewahrsam nehmen, um ihr Erscheinen vor Gericht sicherzustellen.

Das erhöht den Druck insbesondere in der EU, Iwanischwili und seine Getreuen zu sanktionieren und zu isolieren. Von Russland erhalten sie derweil Applaus und das Angebot zur Normalisierung der Beziehungen.

Keine diplomatischen Beziehungen

Seit dem Krieg 2008 unterhalten beide Länder keine diplomatischen Beziehungen mehr. Damals hatte Russland Georgien angegriffen. Nach einem fünftägigen Krieg erkannte Moskau die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten an. Völkerrechtlich gehören beide aber weiter zu Georgien. Direkte Gespräche gibt es zwischen Sonderbeauftragten und bei international vermittelten Verhandlungen in Genf zur Beilegung der Konflikte.

Anders als etwa Ungarns Premier Viktor Orban oder der slowakische Regierungschef Robert Fico reisen georgische Regierungsmitglieder nicht zu offiziellen Gesprächen nach Moskau. Die Regierung widerstand bislang auch der Aufforderung, an den Treffen des regionalen 3+3-Formats teilzunehmen, dem neben Russland der Iran, die Türkei sowie Armenien und Aserbaidschan angehören.

Militärische Ziele Russlands

Russland bietet zudem an, bei der "Normalisierung der Beziehungen" mit den abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien zu helfen, ebenso bei der Festlegung der Grenzverläufe zu den beiden Gebieten, die völkerrechtlich nach wie vor zu Georgien gehören. Es würde auch darauf hinauslaufen, dass die georgische Führung die Präsenz einer Vielzahl russischer Militärbasen und Stützpunkte mit Tausenden Soldaten dort anerkennt.

Doch schon die Ankündigung Iwanischwilis, er wolle sich im Namen Georgiens bei den Südosseten für den Krieg im Jahr 2008 entschuldigen, sorgte für heftige Proteste. Dass er Ex-Präsident Michael Saakaschwili die Schuld für den Krieg gibt, trägt dazu bei, dass viele ihn als Marionette Putins sehen.

Russische Militärbasen

Undenkbar wäre jede weitergehende Forderung Russlands, zwei Militärbasen auf georgischem Kernland wiederzueröffnen, die erst 2007 auf internationalen Druck hin geschlossen worden waren. Auch russische Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse innerhalb der innersten Sicherheitsstrukturen Georgiens erscheint wenig wahrscheinlich.

Selbst westliche Militärs, die das Verteidigungsministerium in Tiflis im Rahmen der NATO-Partnerschaft berieten, berichteten, dass die Georgier ihre innersten Strukturen verschlossen hielten - offenbar als historische Lehre aus jahrhundertelanger Fremdherrschaft.

Umgehung von Sanktionen

Worauf sich Iwanischwili und seine Getreuen jedoch auch zum eigenen Vorteil einlassen, ist die Unterwanderung westlicher Sanktionspolitik gegen Russland. So profitieren beide Seiten von Direktflügen russischer und georgischer Fluggesellschaften, die in Georgien mit Anschlussflügen in westeuropäische Staaten verbunden sind.

Auch können russische Geschäftsleute von kürzlich beschlossenen Steuersenkungen beim Transfer von Vermögenswerten auf Konten in Georgien profitieren. Bereits im Juni erreichte die Zahl in Georgien registrierter russischer Unternehmen einen historischen Höchststand von 37.400, während immer wieder russischen Dissidenten ohne Angaben von Gründen die Einreise verboten wird.

Außerdem verhängten die USA im September 2023 Sanktionen gegen einen Mann aus dem familiären und politischen Umfeld Iwanischwilis. Die USA werfen Otar Partskhaladze vor, Kontakte zu einem Offizier des russischen Geheimdienstes FSB zu pflegen und im Interesse Russlands zu agieren.

Schaukelpolitik

Iwanischwili sei allerdings bewusst, dass er sich durch enge Verbindungen zu Russland in eine Sackgasse begeben würde, sagt Giorgi Gacharia, früher in der Regierung Iwanischwilis und jetzt in der Opposition. Er versuche sich an einer außenpolitischen Schaukelpolitik.

Diese beinhaltet eine strategische Partnerschaft mit China, politische Verbindungen zum Iran sowie die Einbindung in ein ultrakonservatives und autoritäres Netzwerk mit dem ungarischen Premier Orban und Aserbaidschans Präsidenten Ilham Alijew.

Dies dient auch dazu, den Forderungen nach demokratischer Entwicklung der USA und der EU zu widerstehen, die in den Augen Iwanischwilis seinen Machterhalt und seine Sicherheit gefährden. Das hält die Regierung allerdings nicht von immer neuen Beteuerungen ab, Georgien in die EU führen zu wollen, so auch gestern nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten.

Doch die Menschen, die seit Monaten immer wieder zum Protest auf die Straße gehen, wollen weder in einem autoritär geführten Staat leben. Noch wollen sie, dass ihr Land wie eine Figur auf einem internationalen Schachbrett hin- und hergeschoben wird - und dabei zum Bauernopfer wird.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. April 2024 um 17:00 Uhr in den Nachrichten.