Krieg gegen die Ukraine Bewegen sich die USA in der Waffenfrage?
NATO-Chef Stoltenberg fordert weiter den Einsatz westlicher Waffen auf Ziele außerhalb der Ukraine. Die USA halten sich bedeckt, doch Äußerungen von Außenminister Blinken lassen aufhorchen.
Es sind immer noch die Vereinigten Staaten von Amerika, die in der NATO den Ton angeben, meistens jedenfalls. Und meistens steht der NATO-Generalsekretär auch ganz eng an der Seite des amerikanischen Präsidenten. Kritik kommt so gut wie nie vor, schon gar nicht auf offener Bühne.
Das scheint sich jetzt zu ändern. Ausgerechnet in einer für den Ukraine-Krieg zentralen Frage geht NATO-Generalsekretär Stoltenberg schrittweise auf Distanz. Stoltenberg macht sich seit einigen Tagen dafür stark, dass die Ukraine westliche Waffen auch gegen Ziele auf russischem Gebiet einsetzen kann.
"Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung beinhaltet auch Angriffe auf Ziele außerhalb der Ukraine", erklärte er kurz vor dem Treffen mit den Außenministern der Allianz in Prag, "auch auf militärische Ziele innerhalb Russlands". Einen solchen Einsatz amerikanischer Waffen jenseits der ukrainisch-russischen Grenze hat Präsident Joe Biden bisher ausgeschlossen.
Russische Geländegewinne beschleunigen Umdenken
Zu dem Richtungswechsel des NATO-Chefs dürften die jüngsten russischen Geländegewinne im Osten der Ukraine beigetragen haben. Die Selbstverteidigung der Ukraine werde hart und schwierig, zu diesem Urteil kommt Stoltenberg jetzt, "wenn sie nicht auch russische Ziele auf der anderen Seite der Grenze angreifen kann."
Es ist zwar schon jetzt so, dass die ukrainische Armee mit Drohnen Ziele in Russland angreift - Öllager und Raffinerien zum Beispiel, um den Nachschub für die russischen Truppen zu kappen. Aber das sind selbst hergestellte Drohnen. Zum Einsatz westlicher Waffen auf russischem Gebiet haben die meisten NATO-Partner sich bisher bedeckt gehalten.
Warten auf Reaktion Washingtons
Mit Stoltenbergs Vorstoß ist die Debatte über eine Lockerung der Einschränkungen nun auf höchster Ebene losgetreten - und damit stellt sich die Frage nach der Reaktion Washingtons.
Einen Tag vor dem Treffen der NATO-Außenminister in Prag ließ die amerikanische Botschafterin bei der NATO, Julianne Smith, noch keine Änderung der amerikanischen Strategie erkennen. "Ich habe keine Breaking News für Sie", erklärte sie gegenüber Journalisten, es gebe nichts Neues zum einem Einsatz amerikanischer Waffen gegen Ziele auf russischem Gebiet. "Da gibt es keine Änderung unserer Politik."
Blinken signalisiert Kompromissbereitschaft
Mit Spannung wird jetzt in Prag erwartet, ob US-Außenminister Antony Blinken sich für eine Lockerung der Regeln einsetzt - amerikanische Medien hatten darüber berichtet.
Bei einem Besuch in Moldau antwortete Blinken auf die Frage, ob Präsident Biden zu einer Aufhebung der bestehenden Einschränkungen bewegt werden könne: Ein Kennzeichen der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine in den mehr als zwei Jahren seit Kriegsbeginn sei es stets gewesen, "sich anzupassen, wenn die Bedingungen sich verändern, wenn das Schlachtfeld sich ändert, wenn Russland sein Handeln verändert (...). Wir haben uns ebenfalls daran angepasst und verändert, und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch weiterhin tun werden."
Von den NATO-Ländern, die weitreichende Waffensysteme an die Ukraine liefern, hat bisher nur Großbritannien öffentlich erklärt, dass Kiew die Waffen auch gegen Ziele in Russland einsetzen kann. Bundeskanzler Scholz vermeidet solche Aussagen genau wie der amerikanische Präsident, Diplomaten sprechen von einem Graubereich mit militärisch brisanten Informationen. Was auch bedeuten kann, dass der Einsatz von Waffen mit Blick auf strategische Bedenken nicht immer veröffentlicht wird. Hinzu kommt, dass im Bündnis weitgehend Einigkeit über das Ziel besteht, nicht in den Krieg hineingezogen zu werden.
Weiter Bemühungen um schnellere Waffenlieferungen
Die NATO-Außenminister werden in Prag auch über Munitionsnachschub sprechen, daran fehlt es nach wie vor. Aber die tschechische Regierung hat als Gastgeberin des Außenministertreffens Fortschritte vorzuweisen. Kiew könne mit "mehreren Zehntausend Granaten und Raketen schon in den kommenden Tagen rechnen", kündigte Tschechiens Regierungschef Fiala Anfang der Woche an. Weniger als angekündigt, kommentierte etwas mürrisch EU-Chefdiplomat Borrell, was aber nichts am Prager Erfolg ändert. Der Nachschub geht auf Tschechiens Initiative zurück, eingekauft wurde außerhalb der EU - das ging schneller. Auch Deutschland hat die Initiative unterstützt.
Die Bundesregierung ist bisher auch die einzige im Bündnis, die ein weiteres "Patriot"-System für die ukrainische Luftverteidigung zugesagt hat. Andere Länder halten sich bedeckt, obwohl Stoltenberg schon vor Wochen deutlich mehr in Aussicht gestellt hatte, die Rede war von sieben "Patriot"-Systemen aus unterschiedlichen Mitgliedsländern.
Dass bis heute nur ein einziges System gesichert ist, nährt im Bündnis Zweifel, ob die zugesagte Luftunterstützung für die Ukraine noch bis zum NATO-Jubiläumsgipfel zusammenkommt. Der findet im Juli in Washington statt. Das Außenministertreffen in Prag ist die letzte Gelegenheit vor dem Gipfel, auf Ministerebene noch einmal Bewegung in die festgefahrene Debatte zu bringen.