Geplatzte Koalitionsverhandlungen Schuldzuweisungen in Österreich
Nach dem Ausstieg der liberalen NEOS aus den Koalitionsverhandlungen in Österreich schieben sich die Parteien gegenseitig die Schuld zu. Ob es zu Neuwahlen kommt, ist noch unklar.
96 Tage nach der Wahl sind die Verhandlungen für eine Dreier-Koalition in Österreich gescheitert: Eigentlich hatten ÖVP, SPÖ und NEOS weiter über die Regierungsbildung verhandeln wollen. Doch am Vormittag trat NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger vor die Öffentlichkeit - und ließ die seit Mitte November laufenden Verhandlungen platzen.
Meinl-Reisinger verglich die Gespräche mit dem Feilschen auf einem Bazar: "In den letzten Tagen aber ist der Eindruck in uns entstanden, dass in den zentralen Fragen - Sie wissen, dass es vor allem um die budgetären Fragen geht - leider nicht nur keine Fortschritte erzielt wurden, sondern eigentlich Rückschritte gemacht wurden."
Der größte Knackpunkt war der Haushalt. Österreich steckt in einer Rezession, die Wirtschaft muss angekurbelt werden. Doch dafür fehlt das Geld, das Land hat hohe Schulden. Die NEOS wollten deshalb die Ausgaben kürzen, die SPÖ wollte hingegen die Einnahmen erhöhen - durch die Einführung neuer Steuern.
ÖVP hat Schuldigen ausgemacht
Der Generalsekretär der konservativen ÖVP, Christian Stocker, sieht deshalb die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen bei den Sozialdemokraten: "Es hat sich leider gezeigt, dass wir durchaus in vielen Dingen mit den NEOS Übereinstimmung gefunden hätten, aber in der SPÖ sich Kräfte durchgesetzt haben, die halt eine Politik verfolgt haben, die mit linken Gedanken verbunden waren. Das hat letztlich dazu geführt, dass sich die NEOS zurückgezogen haben."
Die Sozialdemokraten weisen die Verantwortung für das Scheitern der Koalitionsgespräche von sich. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim: "Den NEOS ist offensichtlich die Verantwortung etwas zu groß geworden und deshalb sind sie vom Verhandlungstisch aufgestanden."
FPÖ liegt in Umfragen vorne
Wie es mit der Regierungsbildung weitergeht, ist offen. Im Raum stehen unter anderem Neuwahlen. Dann wäre wohl mit einem erneuten Wahlsieg der rechtsradikalen FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl zu rechnen. Die FPÖ führt die Umfragen aktuell deutlich an.
Ihr Generalsekretär Michael Schnedlitz betonte, dass die Partei bereit sei zu regieren: "Wir Freiheitliche, wir stehen in alle Richtungen bereit. Denn wir wissen, dass nur ein Kanzler Herbert Kickl, ein freiheitlicher Kanzler, diesem Chaos ein Ende bereiten kann."
Dreier-Koalition wollte Kickl verhindern
Schnedlitz forderte den Rücktritt von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer. Dieser hatte sich stets gegen eine Koalition mit der FPÖ unter Kickl ausgesprochen. Kickl von der Macht fernzuhalten, galt als ein Ziel der anvisierten Dreier-Koalition. Denkbar ist daher auch, dass ÖVP und SPÖ zu zweit weiterverhandeln, um die FPÖ zu verhindern. Ein solches Zweier-Bündnis wäre aber instabil: Die beiden Parteien verfügen nur über eine Stimme Mehrheit im Parlament.
Ihnen hänge zudem der Makel an, dass sie bei der Wahl Stimmen eingebüßt hätten, so die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle: "Was natürlich schon bitter ist für die verbliebenen Regierungsverhandler: Sie sind beide keine Wahlgewinner. Insofern lässt sich kein Regierungsauftrag wirklich ableiten aus dem Wahlergebnis. Diese Botschaft trommelt auch die FPÖ."
Für jede Koalition wäre außerdem der Haushalt weiterhin ein großes Problem. Käme es hingegen zu einer Neuwahl, wäre damit wohl nicht vor Mai zu rechnen. Wie es weitergeht, darauf hat auch der Bundespräsident großen Einfluss. Alexander Van der Bellen hat sich aber bislang noch nicht geäußert.