Belarus Sorge um politische Gefangene
Fast 1500 politische Gefangene gibt es in Belarus. Oft wissen Angehörige nicht, wie es den Inhaftierten geht - oder ob sie überhaupt noch leben. Das hat System, meinen Beobachter.
Noch zu Beginn des Monats hatte die belarusische Frauenrechtlerin Olga Gorbunowa auf die Lage der politischen Häftlinge in ihrem Land hingewiesen.
Sie selbst lebt im Exil. Vom Ausland aus hält sie Kontakt zu Angehörigen und Freunden der Inhaftierten, die oftmals in belarusischen Gefängnissen verschwinden, ohne dass man weiß, was dort mit ihnen passiert.
In einer Diskussionsrunde auf YouTube sagte Gorbunowa: "Sehr viele Verwandte, Freunde, Kollegen haben Angst um ihre inhaftierten Nächsten." Und sie hätten Angst um sich selbst und um ihre Familien: "Ob es ihnen gelingt, auf freiem Fuß zu bleiben." Und gleichzeitig ihre Nächsten in der Haft zu unterstützen, Pakete zu überbringen, Anwälte einzuschalten.
Tod des inhaftierten Künstlers Puschkin
Nach UN-Angaben gibt es fast 1500 politische Gefangene in Belarus. Der Protestkünstler Ales Puschkin war einer von ihnen. Er hatte über Jahre mit spektakulären Kunstaktionen die Gewalt der Regierung des belarusischen Machthabers Alexander Lukaschenko angeprangert.
2021 wurde er festgenommen und später zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Vor wenigen Tagen starb Puschkin in der Haft - unter ungeklärten Umständen auf einer Intensivstation. Es wird spekuliert, dass ein Magengeschwür nicht rechtzeitig behandelt wurde.
"Nicht natürlichen Todes gestorben"
Der mit ihm befreundete belarusische Dichter Andrej Chodanowitsch glaubt, dass Puschkin nicht eines natürlichen Todes gestorben ist: "Weder heute, noch morgen werden wir erfahren, was mit ihm wirklich passiert ist."
Dabei müsse man bedenken, dass es auch indirekte Arten der Tötung gibt. "Man muss jemanden nicht unbedingt mit einem Hammerschlag ermorden. Man kann auch Bedingungen schaffen, die das Leben unmöglich machen."
Sorge um Schicksal anderer Inhaftierter
Der Tod Puschkins schürt auch die Sorge um das Schicksal weiterer politischer Gefangener, wie etwa um Viktor Babariko. Seit fast drei Monaten gibt es von ihm kein Lebenszeichen mehr.
Der ehemalige Bankier wollte bei der Präsidentschaftswahl 2020 gegen Lukaschenko antreten, war aber vorher festgenommen und 2021 wegen Korruptionsvorwürfen zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Sein Gesundheitszustand hatte sich Ende April so verschlechtert, dass er in ein Krankenhaus gebracht und dort operiert werden musste.
Oppositioneller Babariko auch tot?
Der regierungskritische belarusische Politologe Artjom Schrajbman hält es für möglich, dass Babariko durch die Umstände der Haft, möglicherweise Misshandlungen, in so schlechtem Zustand ist, dass die Behörden ihn nicht zeigen wollen.
Es könnte ihm aber auch Schlimmeres zugestoßen sein - es sei möglich, dass er tot sei, denkt Schrajbman. "Wir denken zwar, dass das nicht passieren kann. Aber es sind schon viele Sachen in Belarus passiert, die man früher für unvorstellbar gehalten hat. Dass das Regime noch viele Schritte in Richtung Nordkorea unternehmen kann, ist ziemlich offensichtlich." Und dazu gehöre die Vernichtung der politischen Gegner im Gefängnis.
Anonyme Briefe zum Tod des Bloggers Tichanowski
Auch von dem inhaftierten Blogger Sergej Tichanowski, der ebenfalls Lukaschenko herausfordern wollte und inhaftiert wurde, gab es lange kein Lebenszeichen. Seine Frau Swetlana Tichanowskaja hatte anonyme Briefe erhalten, dass ihr Mann gestorben sei. Dann gab es plötzlich ein Video von ihrem Mann, das ihn in gutem Zustand zeigte.
Es war eine Ausnahme: In der Regel würden Angehörige der Inhaftierten - wenn überhaupt - nur allgemeine Aussagen von den Behörden erhalten. Tatiana Chomitsch, Schwester der inhaftierten Gallionsfigur der Proteste, Maria Kolesnikowa, sagt, man bekomme stets relativ standardisierte Antworten auf Anfragen zum Zustand Kolesnikowas.
"Solche Antworten gibt es auch bei anderen politischen Gefangenen, mit denen es keine Kommunikation gibt. Es heißt dann, die Inhaftierten seien vor Ort in dem Straflager gemäß der vorgeschriebenen Haftregelungen", beschreibt Chomitsch.
"Inhaftierte sollen in Vergessenheit geraten"
Darüber, in welchem Zustand die Inhaftierten sind, wie es ihnen geht, erfahre man nichts. Es sei eine große psychische Belastung für die Angehörigen. Und durchaus gewollt vom Regime Lukaschenko, meint Politologe Schrajbman.
Denn dieses wolle, dass die Inhaftierten in Vergessenheit geraten. Wenn man nicht über sie spreche und nichts aus den Gefängnissen höre, so sei das vielleicht ein oder zwei Mal eine Nachricht wert, erklärt Schrajbman die Logik. "Aber dann vergessen es alle. Von Babariko hört man 60 Tage lang nichts, 70 Tage. Aber mit 80 Tagen ist das keine Nachricht mehr."