Tschechien Landesweite Proteste gegen Sparkurs
Spätere Rente, weniger Ausgaben und höhere Steuern - die Mitte-Rechts-Regierung Tschechiens setzt auf einen rigiden Sparkurs. Bei den Tschechen stößt das auf Widerstand, landesweit gab es Proteste.
Das Datum ihres Protesttags haben die tschechischen Gewerkschaften bewusst gewählt. Am 27. November 1989 hat ein Generalstreik am Beginn der Samtenen Revolution das Ende der kommunistischen Herrschaft eingeläutet. Vaclav Havel sprach zu Hunderttausenden Menschen, einen Monat später war er Präsident. Heute steht Gewerkschaftschef Josef Stredula vor wenigen Tausenden.
"Ich habe einige Fragen an euch", sagt Stredula. "Glaubt ihr, dass auch die Regierung daran schuld ist, dass unser Lebensstandard so dramatisch gesunken ist? Seid Ihr zufrieden mit dem Vorschlag, dass wir später in Rente gehen sollen?"
Rentenreform und höhere Steuern
Rund um die Jahreswende will die tschechische Regierung eine Rentenreform vorlegen. Während des Kommunismus konnten Tschechinnen schon mit 58 Jahren in den Ruhestand gehen, Tschechen mit 62 - das soll weiter als bisher schon nach hinten verschoben werden.
Außerdem werden ab Januar Ausgaben gestrichen und Steuern erhöht - zum Beispiel auf Grundeigentum, Zigaretten oder Alkohol. Ein umfangreiches Sparpaket hat der tschechische Präsident vergangene Woche unterschrieben.
Die Inflation in Tschechien ist noch immer eine der höchsten in der EU. Vor allem für Ärmere seien die hohen Preise für Energie und Lebensmittel ein Problem, ist auf der Demo immer wieder zu hören. "Die Bedingungen im Niedriglohnsektor sind brutal", sagt eine Gewerkschafterin, die an dem Protest teilnimmt. "Die Regierung denkt überhaupt nicht an diese Menschen."
75 Prozent der Schulen nehmen an Protesten teil
Ein anderer Teilnehmer sagt: "Meine Mutter hat an einer Schule gearbeitet und ich weiß, wie es dort aussieht." In die Bildung werde zu wenig investiert, klagen die Gewerkschaften. Rund 75 Prozent aller Schulen beteiligten sich an den Protesten.
In zahlreichen Büros und Betrieben wurde kurzzeitig gestreikt, beim Autohersteller Skoda standen die Bänder zwei Stunden lang still.
Für Arbeitsminister Marian Jurecka ist das eine übertriebene Aktion. Schließlich habe Ex-Premier Andrej Babis das Rekord-Haushaltsloch hinterlassen. "Ich verstehe, dass die Menschen besorgt sind", sagt der Minister. "Wir haben anderthalb schwierige Jahre hinter uns." Nun sei die Inflation praktisch zum Stillstand gekommen.
"Nächstes Jahr werden die Reallöhne steigen, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU und wir haben die Energiekrise gelöst." Das Schlimmste habe das Land bereits hinter sich gebracht, meint Jurecka.
Zwei Drittel der Tschechen befürworten den Protest
Die Gewerkschaften wollen dennoch weiter protestieren, sollte die Mitte-Rechts-Regierung nicht auf sie zugehen. Laut einer Umfrage befürworten rund zwei Drittel der Tschechinnen und Tschechen den Streik. Doch nur ein kleiner Teil wollte sich beteiligen. 1989 waren bis zu 80 Prozent der Bevölkerung auf den Beinen.
Würde jedoch heute neu gewählt, dann wäre das Ende der Fünferkoalition eingeläutet. Sie hätte nach knapp der Hälfte ihrer Amtszeit keine Mehrheit im Parlament. Der Populist und Lebensmittel-Oligarch Babis legt in der Wählergunst dagegen weiter zu. Die Partei von Premier Petr Fiala fällt zum ersten Mal auf Platz Drei und landet damit hinter der Rechts-Außen-Kraft SPD.