Flugzeuge am Flughafen Ankara, mit denen wahrscheinlich die ausgetauschten Gefangenen transportiert wurden

Die Türkei als Vermittler Ein Schlüsselland für den Frieden?

Stand: 02.08.2024 02:04 Uhr

Die türkische Regierung reklamiert für sich, einen maßgeblichen Anteil am Gefangenenaustausch zu haben. Sie hofft nun, von ihrem Ruf als verlässlicher Vermittler zu profitieren - trotz diplomatischer Misserfolge im Nahost-Krieg.

Von Paul Jens, ARD-Studio Istanbul

Es ist ein diplomatischer Coup der Türkei, sagt der MIT selbst. Der türkische Geheimdienst hat nach eigenen Angaben den Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen koordiniert und eine wichtige Vermittlerrolle gespielt. Ein türkischer Fernsehsender zeigte Live-Bilder vom Flughafen in Ankara, die den Austausch zeigen sollen.

Der außenpolitische Chefredakteur des Senders stellt die Rolle der Türkei noch einmal heraus: "Wir sind an folgendem Punkt angekommen: Die Türkei hat Kontakt zu mehreren Parteien aufgenommen, von Slowenien bis Polen, von Norwegen bis Russland, insbesondere aber zwischen Russland und den USA." Sie hätten einen Gesprächskanal aufgebaut, über den die Forderungen beider Seiten vermittelt werden, so der Journalist. "Das ist sehr wertvoll - mindestens so wertvoll wie die Vereinbarung über den Getreidekorridor."

Ankara will als verlässlicher Vermittler gelten

Der angesprochene Getreidekorridor - ein Deal zwischen Russland und der Ukraine über die Ausfuhr von Getreide - steht beispielhaft für die Rolle, die die Türkei gerne auf der internationalen Bühne einnehmen möchte: als verlässlicher Vermittler zwischen Konfliktparteien. So schreibt es auch der Sprecher der türkischen Regierung, Omer Celik, in einem Statement:

Die Türkei stärkt ihre Position als Schlüsselland für den regionalen und weltweiten Frieden. Der multidimensionale politische Ansatz unseres Präsidenten hat die diplomatische Problemlösungskapazität der Türkei zum zuverlässigsten Boden der Welt gemacht. In einer Zeit, in der der Frieden in der Region und in der Welt auf dem Spiel steht, ist die Rolle der Türkei noch viel wichtiger geworden.

Die Türkei hatte sich auch als Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern angeboten, jedoch ohne Erfolg. Die Freilassung von 16 in Russland inhaftierten Menschen, darunter der Deutsche Rico K., ist dagegen ein erneuter Gewinn für die Türkei.

Amnesty International kritisiert Deal

Dass im Umkehrschluss allerdings auch im Westen verurteilte Personen freikommen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International: "Ein Mörder und andere Verbrecher, die in einem fairen Prozess verurteilt wurden, kommen nun frei im Austausch für Menschen, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben. Der Gefangenenaustausch ist somit auch ein Schritt in Richtung Ausweitung der Straflosigkeit."

Amnesty International spielt damit auf den sogenannten Tiergarten-Mörder Vadim Krassikow an. Der Mann war 2021 zu lebenslanger Haft in Deutschland verurteilt worden. Er soll im Auftrag des russischen Staats einen Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen haben. Für die Türkei zählt jedoch vor allem die erfolgreiche Vermittlung.

Hoffnung auf weitere diplomatische Erfolge

Politikwissenschaftler Murat Arslan, der die Bilder des Gefangenenaustauschs im türkischen Fernsehen kommentierte, hält sogar weitere Deals für möglich: "Der türkische Nachrichtendienst hat in einer Gegenüberstellung zu den Geheimdiensten anderer Staaten einen großen Kredit gewonnen. Es wird dem MIT fortan leichter fallen, die beteiligten Länder zu einer anderen Austauschaktion zu überreden", sagt er. "Und es gibt sicherlich noch weitere Geiseln, über die noch verhandelt wird. Denn es sind heute nicht alle Gefangenen ausgetauscht worden. Gut möglich, dass es durch die Vermittlung des MIT zu weiteren solcher Aktionen kommt." Zunächst aber kehren die jetzt freigekommenen Menschen in ihre Heimatländer zurück.

Paul Jens, ARD Istanbul , tagesschau, 01.08.2024 21:08 Uhr