Ausländische und politische Gefangene Zu Unrecht inhaftiert und als Geiseln missbraucht
Ob Ausländer oder politische Gefangene - Regime wie Russland, Belarus und der Iran nutzen sie für Repression und Erpressung. Wie können Diktaturen davon abgebracht werden, sie als Geiseln zu missbrauchen?
Behandelt wird er wie ein Schwerverbrecher, untergebracht im Hochsicherheitstrakt eines Moskauer Gefängnisses, drei Schlösser sichern seine Zelle, zu den Gerichtsverhandlungen wurde er in Fesseln abgeführt, begleitet von mehreren Wärtern und einem Wachhund.
Dabei könne ihr Mann kaum noch laufen. Nach zwei Giftanschlägen durch das russische Regime breite sich in seinen Beinen Taubheit aus, sagt Jewgenija Kara-Mursa verbittert bei einer Veranstaltung in Berlin. Ihr Mann Wladimir wurde im April wegen angeblichen Hochverrats zu 25 Jahren Straflager verurteilt. Dass er auch einen britischen Pass hat, half ihm nicht. Sie fürchtet, dass er die Haft nicht überleben wird. Er ist nur einer von unzähligen politischen Gefangenen diktatorisch geführter Staaten. Im benachbarten Belarus fehlt von einigen, auch international bekannten Gefangenen jedes Lebenszeichen.
Ausländer im Visier
Ausländische Staatsbürger sind eben so wenig sicher. So wartet derzeit der US-Journalist Evan Gershkovich vom "Wall Street Journal" in einem Moskauer Gefängnis auf sein Urteil. Wegen angeblicher Spionage drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Festgenommen worden war er von Mitarbeitern einer Spionageabwehr-Abteilung des Inlandsgeheimdienstes FSB. Diese ist offenbar spezialisiert darauf, Ausländern nachzustellen, wie das "Wall Street Journal" herausfand. Sie soll auch an der Festnahme der US-Amerikaner Trevor Reed und Paul Whelan beteiligt gewesen sein.
Auch Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft sitzen in Russland, dem Iran und der Türkei ein. Das Auswärtige Amt warnt vor "willkürlichen Festnahmen" in Russland und der Türkei, wo auch Einreiseverbote und Ausreisesperren drohten. Die türkischen Strafverfolgungsbehörden führten offenbar umfangreiche Listen von Personen mit Wohnsitz in Deutschland, "die auch ohne hinreichende Vorermittlungen zum Ziel von Strafverfolgungsmaßnahmen werden können", heißt es auf der Website des Ministeriums.
Gravierend fällt die Warnung für den Iran aus: "In jüngster Vergangenheit kam es zu einer Vielzahl willkürlicher Verhaftungen ausländischer Staatsangehöriger." Es bestehe die konkrete Gefahr, "festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden".
Ein Büro für zu Unrecht Inhaftierte?
Neben Repression gegen die eigene Bevölkerung geht es um Erpressung anderer Regierungen. Von "staatlichen Geiselnahmen" spricht der britische Investor Bill Browder, einst erfolgreicher Geschäftsmann in Russland, bis er mit dem Machtzirkel um Präsident Wladimir Putin in Konflikt geriet. 2013 und 2017 wurde er in Abwesenheit wegen Steuerhinterziehung zu Lagerhaft verurteilt. Interpol wies die russischen Fahndungsbefehle gegen ihn jedoch zurück. Browders Wirtschaftprüfer Sergej Magnitski starb 2009 im Gefängnis, nachdem ihm medizinische Behandlung verwehrt worden war.
Browder engagiert sich mit Kara-Mursas Ehefrau Jewgenija, um internationale Aufmerksamkeit auf das Schicksal ihres Mannes und der anderen Gefangenen zu lenken und deren Freilassung zu erwirken. "Staatliche Geiselnahmen" seien weltweit ein zunehmender Trend, so Browder im Interview mit tagesschau.de. Er sieht eine Lösung in der Eröffnung von Büros, die sich für willkürlich Inhaftierte einsetzen. Ein entsprechendes Büro gibt es in den USA. Diese an das Außenministerium angebundene Abteilung bewertet die Fälle von US-Bürgern in ausländischen Gefängnissen. Werden sie als zu Unrecht inhaftiert oder als Geiseln eingestuft, kann die US-Regierung zusätzliche Ressourcen für deren Freilassung einsetzen.
Während eines Aufenthalts in Berlin sprachen Browder und Jewgenija Kara-Mursa mit Bundestagsabgeordneten und schlugen eine Debatte im Bundestag vor, womit sie auf Unterstützung getroffen seien, so Browder. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter hält die Idee für nachvollziehbar, gerade mit Blick auf das Leid politischer Gefangener und ihrer Familien. Dennoch ist er skeptisch: Länder wie der Iran hätten "Geiseldiplomatie" geradezu zum Geschäftsmodell gemacht. Wenn die EU oder Nationalstaaten darauf eingingen, würden die Unrechtsregime damit de facto legitimiert.
An den Wandel im internationalen Sicherheitsumfeld müssten die Kompetenzen und Strukturen der deutschen Behörden angepasst werden, sagt der Außenpolitiker der Grünen, Robin Wagener. "Dennoch sehe ich aktuell noch keinen Handlungsbedarf für zusätzliche Strukturen in diesem Bereich", so der Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südlichen Kaukasus, der Republik Moldau sowie Zentralasien.
Einreisesperren und eingefrorene Konten
Kiesewetter geht davon aus, dass nur Druck eine Verhaltensänderung bei Unrechtsregimen herbeiführen wird. Als effektiv hätten sich Sanktionen gegen repressiv agierende Eliten erwiesen. Verhängt werden solche Maßnahmen zum Beispiel im Rahmen von Magnitski-Gesetzen.
Deren Einführung in den USA, weiteren Staaten und der EU geht auf das Engagement des inhaftierten Kara-Mursas und Browders zurück. Sie richten sich gegen die Verantwortlichen für den Tod von Browders Buchhalter Magnitski sowie für Verantwortliche anderer Menschenrechtsverletzungen. Die Sanktionen ermöglichen Einreisesperren und das Einfrieren von Konten dieser Personen.
Als einen Akt persönlicher Vergeltung lässt sich das hohe Strafmaß von 25 Jahren Haft für Wladimir Kara-Mursa lesen: Der Richter, der diese Haftstrafe verhängte, steht auf der Magnitski-Liste der USA.
Strafrechtliche Verfolgung
Auch die deutsche Justiz kann gegen Verantwortliche in Diktaturen vorgehen. Grundlage ist das Weltrechtsprinzip nach Paragraf 1 des Völkerstrafgesetzbuchs. Er ermöglicht der Bundesanwaltschaft, bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit Ermittlungen gegen staatliche Unrechtsstrukturen einzuleiten.
Diesen Weg geht Gazelle Sharmad. Ihr Vater Jamshid wurde als deutscher Staatsbürger im Iran wegen Terrorvorwürfen zum Tode verurteilt. Gegen eine Person aus dem Geheimdienstapparat sowie sieben Staatsanwälte und Richter erstattete sie deshalb Anzeige in Karlsruhe. Sie wird dabei von der Organisation "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) unterstützt.
"Wir erwarten im Ergebnis nicht unbedingt die Ausstellung von Haftbefehlen. Uns geht es darum, dass ein Strukturermittlungsverfahren eingeleitet wird, bzw. dass solche Ermittlungen vertieft werden, sofern es sie bereits gibt", erklärt Rechtsanwalt Patrick Kroker vom ECCHR. Dies ermögliche eine Vorbereitung auf später zu führende personenbezogene Ermittlungsverfahren, aus denen Haftbefehle resultieren können. Wichtig dafür sei das systematische Sammeln und Sichern von Beweisen.
Auf vergleichbare Weise werde bereits im Fall Syrien vorgegangen, wo seit Ende 2011 Ermittlungsverfahren geführt worden seien. In deren Ergebnis habe die Bundesanwaltschaft mindestens einen Haftbefehl gegen einen hochrangigen Angehörigen des syrischen Geheimdienstes ausgestellt, so Kroker. Ein solches strafrechtliches Vorgehen bei Verbrechen solchen Ausmaßes hält er für ein "schärferes Schwert" als persönliche Sanktionen, wobei beides auch kombiniert werden könne.
Finanzkriminelle, Agenten und Mörder
Dies erfordert jedoch Zeit, die viele Gefangene nicht haben, weil sie wie Jamshid Sharmad oder Wladimir Kara-Mursa nach Misshandlungen schwer krank sind. Auch wenn er gegen "Geiseldiplomatie" sei, solle im Einzelfall ein Gefangenenaustausch ermöglicht werden, sagt Kiesewetter. Eine Vielzahl verurteilter Straftäter käme dafür in Frage, zum Beispiel überführte Finanzkriminelle oder Agenten. Er verweist dabei auf die wachsende Zahl enttarnter russischer Spione. Allerdings seien viele "Hochwert"-Agenten bereits von den USA und den EU-Staaten ausgewiesen worden.
"Verurteilte Mörder halte ich dagegen eher für schwierig", sagt Kiesewetter mit Blick auf den Russen, der für den "Tiergartenmord" zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Es spiele auch eine Rolle, an welchen Gefangenen Putin aus welchen Gründen ein Interesse habe - wenn das Erwirken einer Freilassung beispielsweise die Loyalität im Sicherheitsapparat oder bei Oligarchen und Eliten stärken könne. Genau darin sehen Experten Gründe, warum Putin den Russen unbedingt freibekommen will, womöglich im Austausch für den Journalisten Gershkovich.
Auch Browder ist gegen einen Austausch solcher Verbrecher: "Er ist ein Mörder. Wenn er frei kommt, wird er einfach weiter für den russischen Staat töten und möglicherweise noch mehr Menschenleben in Gefahr bringen." Er arbeite mit seinen Mitstreitern an einer Liste verhafteter russischer Spione, die sie für einen Austausch vorschlagen würden.