Am Wohnhaus des getöteten russischen Generals Kirillow in Moskau sind ein verkohlter Scooter und die Folgen einer Explosion mit einer deformierten Tür und zerborstenen Fenstern zu sehen
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Russischer General Was über den Tod Kirillows bekannt ist

Stand: 17.12.2024 16:04 Uhr

Einer der führenden Vertreter der russischen Armee ist vor seinem Wohnhaus in Moskau offenbar durch einen Sprengsatz getötet worden. Wer war General Kirillow - und was ist über die Tat und mögliche Hintermänner bekannt?

Was genau ist in Moskau passiert?

Am Morgen kam es kurz nach sechs Uhr Ortszeit in einem Wohnhaus in Moskaus Südosten zu einer Explosion. Dabei wurden der russische General Igor Kirillow und ein Adjutant getötet. Sie sollen sich auf dem Weg zur Arbeit befunden haben. Nach Behördenangaben war am Hauseingang ein Sprengsatz detoniert, der mit Klebeband an einem E-Scooter befestigt war. Der Sprengsatz habe ein Gewicht von 300 Gramm gehabt. Der Sprengsatz sei von einem Mobiltelefon gezündet worden.

Bilder und Videos, die in Medien und sozialen Netzwerken verbreitet wurden, zeigen einen beschädigten und rußgeschwärzten Hauseingang, zerbrochene Fensterscheiben sowie Teile eines E-Scooters. Die BBC kommentierte die Bilder von dem E-Scooter mit der Feststellung, das Fortbewegungsmittel sei "weitgehend intakt" - ihm fehle nur der Lenker. Ob dies der Darstellung der russischen Ermittlungsbehörden widerspricht, kann aus der Ferne nicht beurteilt werden.

Vor dem Anschlagsort in Moskau (Russland) liegt ein beschädigter E-Scooter, der angeblich einen Sprengsatz enthalten haben soll.

Mit diesem E-Scooter soll angeblich per Fernzündung der Anschlag auf Kirillow und seinen Begleiter verübt worden sein.

Wer war General Kirillow?

Kirillow war ein hochrangiges Mitglied der russischen Streitkräfte. Als Chef der ABC-Abwehrtruppen des Landes war er zuständig für den Schutz vor Gefahren durch atomare, biologische und chemische Kampfmittel. Der 54-Jährige hatte diese Position seit 2017 inne.

Als Beteiligter an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stand Kirillow seit 2023 auf Sanktionslisten der Ukraine, Großbritanniens und Kanadas.

Erst am Vortag hatte der ukrainische Geheimdienst SBU Kirillow schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen und formell Ermittlungen gegen den General eingeleitet. Kirillow sei für die Stationierung und den Einsatz von chemischen Kampfmitteln in der Ukraine verantwortlich. Seit 2022 seien solche international geächteten Mittel mehr als 4.800 Mal auf ukrainischem Territorium eingesetzt worden.

Unter anderem hätten die Granaten, die von Drohnen abgeworfen worden seien, Reiz- oder Tränengas enthalten. Darunter sei auch der aus dem Ersten Weltkrieg berüchtigte Kampfstoff Chlorpirkin gewesen, auch bekannt als "Grünkreuz-1". Der Einsatz solcher Gase in Kriegen ist durch eine internationale Konvention verboten. Ziel sei es gewesen, die Atemwege und Schleimhäute von gegnerischen Soldaten zu schädigen und sie damit aus ihren Unterständen zu treiben. In Militärkrankenhäusern des Landes hätten mehr als 2.000 Soldaten mit chemischen Vergiftungen behandelt werden müssen.

Kirillow seinerseits hatte die Ukraine beschuldigt, eine "dreckige Bombe", der radioaktive Stoffe beigemischt sind, zu entwickeln. Auch behauptete er, die Ukraine baue Labore für biologische Waffen und würden dabei von den USA unterstützt. Für beide Vorwürfe gibt es keine Belege. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, wiederholte sie aber nach dem Tod Kirillows.

Kirillow verbreitete solche und andere Thesen wiederholt auf Pressekonferenzen, die ihm eine größere Bekanntheit verschafften. Das britische Außenministerium nannte ihn im August ein "bedeutendes Sprachrohr russischer Desinformation".

Die unabhängige Behörde zur Kontrolle von chemischen Waffen OPCW teilte im November mit, sie habe bei einer Untersuchungsmission im Oblast Dnipropetrowsk Spuren des Reizgases CS gefunden. Der Einsatz auch solcher Waffen sei laut Chemiewaffenkonvention in kriegerischen Auseinandersetzungen verboten, so das OPCW.

Igor Kirillow

Igor Kirillow war seit sieben Jahren für die russischen ABC-Abwehr und Kampfführung verantwortlich - in der Ukraine galt er als Kriegsverbrecher.

Gibt es Hinweise auf die Täter und Hinterleute?

Offiziell hat sich bislang niemand zu der Tat bekannt. Mehrere ukrainische Medien zitieren aber von ihnen kontaktierte und nicht näher benannte Quellen aus dem SBU, die übereinstimmend gesagt haben sollen, der ukrainische Geheimdienst stecke hinter dem Attentat. Kirillow sei ein "legitimes Ziel" gewesen, heißt es in mehreren Berichten weiter.

Überprüft werden können diese Aussagen nicht. Der SBU selbst äußerte sich nicht zum Tod Kirillows.

Für die russische Regierung ist klar, dass die Ukraine für den Tod Kirillows verantwortlich ist. Ein Vertreter der Ermitlungsbehörden sprach von einem "Terrorakt", Ex-Präsident Dmitri Medwedew, heute stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats, sagte, die Ukraine wolle damit von ihren militärischen Misserfolgen ablenken. Er drohte der ukrainischen Führung mit Rache.

Der stellvertretende Vorsitzende der Duma, Andrej Guruljow, machte auf seinem Telegram-Kanal die "Angelsachsen" für die Tat verantwortlich - ein häufig von der russischen Führung benutzter Begriff, der die USA und Großbritannien umfasst und ihnen eine Führungsrolle im Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg zuschreibt. Guruljow sagte, die einzige Antwort darauf könnten nur Angriffe auf Offizielle der "Angel-Sachsen" sein.

Die Zeitung "Kommersant" schrieb, der General sei als Ziel höchstwahrscheinlich wegen seiner Bekanntheit ausgewählt worden. Laut der Zeitung wollte sich Kirillow am Tag seines Todes erneut auch vor Journalisten äußern.

Männer machen Aufnahmen am Wohnhaus des getöteten russischen Generals Kirillow in Moskau, vor dem die abgedeckten Leichen der Anschlagsopfer liegen.

Die Wucht der Explosion ist am Eingang des Wohnhauses von Kirillow deutlich zu sehen - die Eingangstür und das Mauerwerk sind verformt und beschädigt und zeigen Rauchspuren auf.

Gab es schon vorher ähnliche Anschläge?

Seit dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine sind wiederholt Propagandisten Ziel von Anschlägen geworden oder Militärs unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Zumeist machen die russischen Behörden die Ukraine dafür verantwortlich. In manchen Fällen richtet sich der Verdacht aber auf den russischen Machtapparat selbst.

Der prominenteste Fall ist Jewgenij Prigoschin, ehemals Chef der Söldnergruppe Wagner. Prigoschin hatte sich 2023 gegen die russische Armeeführung und den damaligen Verteidigungsminister Sergej Schoigu aufgelehnt und seine Soldaten von der Grenze der Ukraine in Richtung Moskau geschickt. Der Coup scheiterte, und Prigoschin starb kurz darauf bei einem Flugzeugabsturz.

2023 wurde Darja Dugina, Tochter des rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin, bei der Explosion einer Autobombe in der Nähe von Moskau getötet. Ob der Anschlag ihr oder ihrem Vater galt, ist unklar.

Kurz zuvor war der russische Militärblogger Maxim Fomin, genannt Wladlen Tatarski, bei der Zündung eines Sprengsatzes in einem Café in St. Petersburg getötet worden. Ebenfalls im Frühjahr gab es einen Anschlag auf den bekannten kremlnahen Schriftsteller Sachar Prilepin. Dessen Fahrer starb, Prilepin selbst wurde schwer verletzt. Der russische Geheimdienst verhaftete später mehrere Mitglieder einer neonazistischen Gruppe, die mit der Tat in Zusammenhang gestanden haben sollen.

Mit Informationen von Björn Blaschke, ARD Moskau, zurzeit Tiflis.

Björn Blaschke, ARD Moskau, zzt. in Tiflis, tagesschau, 17.12.2024 14:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Dezember 2024 um 12:00 Uhr.