Konservative in Großbritannien Wie richten die Tories sich neu aus?
Auf dem Parteitag der Tories präsentieren sich vier Kandidaten im Rennen um die Parteiführung. Dabei geht es um eine grundlegende Ausrichtung: Zurück zum klassischen, britischen Konservatismus - oder weiter mit Rechtspopulismus?
"Wir haben bei den wichtigsten Themen in diesem Land nicht geliefert", sagt der Abgeordnete Robert Jenrick selbstkritisch in einem Saal vor gut 200 Parteimitgliedern. "Bei der Wirtschaft, dem Gesundheitsdienst, der Migration." Dann hebt er die Stimme an: "Das darf nie wieder passieren."
Jenrick versucht auf Tuchfühlung zu gehen mit der Seele der Basis. Er war Bauminister unter dem ehemaligen Premier Boris Johnson. Nun möchte er Parteichef werden.
Der Parteitag in Birmingham ist die letzte Chance für Jenrick, die Abgeordneten und die Basis von sich zu überzeugen. Wie auch für seine drei Kontrahenten, bevor Ende Oktober die eine Person bestimmt wird, die die Partei aus der Krise führen soll. Und Einsicht, da scheinen sich alle einig zu sein, ist der erste Weg zur Besserung.
Robert Jenrick ist einer der beiden rechten Kandidaten für die Parteiführung bei den Tories. Viele Beobachter gehen davon aus, dass er das Rennen machen wird.
"Völlig richtungslos"
Doch um die harten politischen Themen geht es beim Parteitag dann nur am Rande. "Review and Rebuild" ist das Motto: aufarbeiten und neu starten. Nach dem verpatzten Brexit, zahlreichen Skandalen und Streits sowie fünf Premierministern in kürzester Zeit wirkt es, als bräuchte die Partei einen Neustart. Das spürt auch die Basis. Aber wie das gelingen soll, dazu hört sie wenig. Vielmehr entsteht der Eindruck, als sei die Wahlniederlage ein Betriebsunfall gewesen.
Kemi Badenoch, zweite aussichtsreiche Anwärterin auf den obersten Parteiposten, spricht schon von sich selbst als künftiger Premierministerin. Dabei stehen für die Tories noch fünf Jahre Oppositionsarbeit an.
Damals, bei Margaret Thatcher, sei klar gewesen, was sie sagen werde, noch bevor sie den Mund aufgemacht habe, sagt Parteimitglied Jeremy Maddox aus London. Nun seien die Konservativen völlig richtungslos. "Wir müssen erstmal uns selbst und unsere Werte wiederfinden."
Auch Kemi Badenoch ist eine rechte Anwärterin für die Parteiführung der Konservativen.
Rechte Kandidaten liefern Populismus
Dass die vier Kandidaten für den Spitzenposten der Tories das Zeug dazu haben, der Partei wieder Sinn einzuhauchen und einen Weg, wieder Wahlen zu gewinnen, bezweifeln manche. Beim Buhlen um die Wählergunst überbieten sich gerade die zwei rechten Kandidaten mit populistischen Klassikern.
Jenrick betonte zum Beispiel auf einer Veranstaltung, er wolle aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aussteigen, weil auf britischen Straßen sonst Terroristen herumliefen. Ex-Wirtschaftsministerin Badenoch sagte in einem Interview, dass "nicht alle Kulturen gleich viel wert sind". Im parteiinternen Wettstreit liegt Jenrick bei den Mandatsträgern der Tories vorn, Badenoch hingegen bei der Parteibasis.
Manche altgedienten Torymitglieder halten den Rechtsruck für einen Fehler. Gareth Lawrence etwa, Rentner aus Chester, warnt, die Kandidaten müssten beim Anbiedern an die Boulevardzeitungen aufpassen. Was viele Briten wirklich interessiere, seien nicht die Kulturkampfthemen, sondern wie viel Geld sie im Portemonnaie hätten.
Der Kulturkampf eint
Damit ist er nicht in der Mehrheit. Die Parteimitglieder gelten als äußerst rechts im konservativen Spektrum. Deshalb ist es auf dem Parteitag der Kulturkampf, der die Tories trotz Wahldebakel emotional vereint. Die Meinungsfreiheit sei gefährdet, ist von vielen Parteitagsbesuchern zu hören, die öffentlich-rechtliche BBC sei der verlängerte Arm der regierenden Labour-Partei, der öffentliche Dienst und die Unis seien von Sozialisten infiltriert worden.
In den Fragerunden mit den Kandidaten wollen die Zuschauer dann auch weniger wissen, wie sie mehr Häuser bauen, Züge auf die Schienen oder den nationalen Gesundheitsdienst NHS stärken wollen. Wichtiger ist ihnen zum Beispiel die Frage, "ab wann eine Frau eine Frau" sei.
Kandidaten der Mitte liegen hinten
Nuanciertere Antworten versucht der ehemalige Außenminister James Cleverly beim Thema Migration zu liefern. Eine einfache Antwort auf Migration gebe es nicht, erklärt der 55-Jährige. Cleverly und Tom Tugendhat, früher Staatsminister für Sicherheit, gelten als Kandidaten der Mitte, moderater. Tugendhat repräsentiert die einst mächtige Gruppe der moderaten "One Nation"-Tories. Doch die beiden liegen bislang hinten im Rennen.
Jenrick wird von einigen bereits als potenzieller Sieger gehandelt. Passend zum Wahlkampf scheint er sich das Haar neu frisiert und ein paar Gürtelgrößen Gewicht verloren zu haben. Doch wie viel frischen Wind der charismatische 42-Jährige wirklich bringen kann, darf hinterfragt werden. Zu Regierungszeiten soll er selbst in den ein oder anderen Tory-Skandal verwickelt gewesen sein. So wurde ihm etwa vorgeworfen, bei einem Bauvorhaben einen Parteispender begünstigt zu haben.
Tom Tugendhat repräsentiert die Gruppe der moderaten "One Nation"-Tories.
Das Problem mit der rechten Parteibasis
Der politische Druck auf die Konservativen auf der Suche nach einer Neuausrichtung ist jedenfalls immens. Und dabei stecken sie in einem Dilemma. Wahlen gewinnen sie in der Mitte. Die Parteibasis ist aber rechtsgerichtet - und empfänglich für Populismus.
Die rechtspopulistische Partei Reform UK könnte Stimmen am rechten Rand abgraben. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov können sich sogar etwa 40 Prozent der Tory-Mitglieder vorstellen, sich mit Reform UK zusammenzuschließen. Das wiederum lehnen alle vier Kandidaten ab. Es wäre wie ein Sargnagel für die Partei.
Für die Parteiführung wäre es aber riskant, bei der Wahl zum Parteichef die eigene Basis zu vergrätzen. Die Abgeordneten entscheiden demnächst, welche Kandidaten im Finale sind. Anschließend küren die Parteimitglieder aus den verbleibenden zwei Kandidaten den neuen Parteichef oder die Chefin - und damit den oder die Oppositionsführerin.
Insgesamt ist die Stimmung auf dem Parteitag keineswegs schlecht. Eines gebe ihm Hoffnung, sagt Mitglied Jeremy Maddox aus London: Labour habe in den ersten drei Monaten Regierungszeit schon so viele Fehler gemacht, sei jetzt schon so unpopulär - das sei regelrecht erquickend.