Krieg gegen die Ukraine Krywyj Rih sitzt teilweise auf dem Trockenen
Die Katastrophe am Kachowka-Stausee wirkt sich auch auf das 60 Kilometer entfernte Krywyj Rih aus. 70 Prozent der Wasserversorgung dort hing vom Stausee ab. In Teilen der Stadt fließt derzeit kein Wasser aus dem Hahn.
Swetlana steht inmitten einer Hochhaussiedlung und dreht einen Hahn auf, der durch einen Schlauch mit einer Zapfstelle verbunden ist. Dann lässt sie ihre beiden Eimer randvoll mit Wasser volllaufen.
"Ich werde gleich die Badewanne auffüllen", sagt sie. "Dann habe ich Wasser, um die Toilette zu spülen oder abzuwaschen. Immerhin wohne ich allein, meine Kinder haben ihr eigenes Haus. Um Wäsche zu waschen, muss ich zu ihnen gehen."
Trinkwasser ein kostbares Gut
Swetlana wohnt in Krywyj Rih, im Südosten der Ukraine, und hat derzeit kein fließendes Wasser. Seit der Zerstörung des Damms am Kachowka-Stausee kommt es in Teilen der 600.000-Einwohner-Stadt zu Wasserengpässen - vor allem in höhergelegenen Wohnungen, da durch einen verringerten Wasserdruck dort Hähne trocken bleiben.
Nach Swetlana ist Mykola an der Zapfstelle an der Reihe. "Wir wohnen im neunten Stock", erzählt sie. "Wasser haben wir nicht, das ist schon ein Problem, denn wir müssen uns waschen, das Geschirr spülen. Und wir sind zu viert. Dafür muss ich jetzt mindestens sechs Eimer holen."
Auch Trinkwasser ist im immer heißer werdenden Frühsommer ein kostbares Gut. Anwohnerin Swetlana hat hiervon immerhin momentan genug: "Trinkwasser kaufe ich schon länger im Haustierladen um die Ecke. Dort gibt es noch genügend Vorräte, und es ist günstig. Für sechs Liter gebe ich nicht viel Geld aus."
Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Konstante Nachfrage
In einem Raum einer Schule in Krywyj Rih reißt Anastasija Sechserpacks Mineralwasser auf und sortiert die Flaschen der Menge nach. 80 Liter zählt sie. Anastasija gehört zu einer Freiwilligengruppe, die Trinkwasser an direkte Anwohner verteilt.
Es gibt eine konstante Nachfrage, sagt die junge Frau: "Manchmal kommen mehr als 30 Menschen am Tag, manchmal sind es weniger. Es kommt auf den Wochentag an. An Wochenenden ist die Nachfrage oft noch höher."
Aufruf zum Wassersparen
Hilfsmaßnahmen wie diese könnten aber zu wenig sein. In Krywyj Rih ist die Bevölkerung zum Wassersparen aufgerufen. Helferin Anastasija ärgert sich, dass sich noch nicht alle daran halten.
Je mehr Wasser wir heute sparen, desto mehr bleibt für morgen übrig. Ohne Internet oder sogar Strom kommen wir klar. Ohne Wasser können wir schlicht nicht überleben. Leider haben noch nicht alle in der Stadt verinnerlicht, dass wir in der jetzigen Lage Wasser sparen müssen.
Es gibt die Sorge, dass bis Sommerende zwei Drittel von Krywyj Rih ohne Wasserversorgung dastehen könnten. Laut Yevhen Sytnychenko, Leiter der Militäradministration der Stadt, sei die Situation unter Kontrolle. Für die Mindestversorgung könne die Stadt auf einen anderen Stausee zurückgreifen.
In etwa zwei Monaten, so Sytnychenko, sollen die derzeitigen Engpässe behoben sein: "Wir hatten bereits Notfallpläne, die wir jetzt umsetzen", sagt er. "In der Region gibt es weitere Quellen, zum Beispiel den Fluss Inhulez. Seit mehr als einer Woche laufen Arbeiten, um sie technisch zu erschließen."
Ökologen schlagen Alarm
Die Ökologin Anna Ambrasova ist weniger optimistisch. Krywyj Rih leide wegen des hohen Bedarfs etwa der Industrie schon seit Jahren im Sommer an Wassermangel. Sie hält die Pläne zur Erschließung neuer Quellen für verspätet und nicht durchdacht: "Ein großer Teil des Inhulez fließt durchs Industriegebiet. Er hat eine hohe Konzentration chemischer Stoffe. Um das dortige Wasser stärker zu nutzen, müssen wir die Aufbereitung verbessern - das dauert aber und kostet viel Geld."
Hinzu komme, so die Ökologin, dass etwa der Inhulez allein ohnehin nicht als Alternative herhalten könne, weil seine Wassermenge stark begrenzt sei. Notwendig sei eine umfassende Untersuchung, an welchen Stellen in der Region auf sichere Weise neue Quellen erschlossen werden können.
Konsequenzen auch in umliegenden Gegenden zu spüren
Konsequenzen der Katastrophe am Kachowka-Stausee sind auch in der umliegenden Gegend zu spüren, wie Dmytro Nevesyoly berichtet. In seiner Gemeinde, so der Bürgermeister von Zelenodolsk südöstlich von Krywyj Rih, sei die Wasserversorgung für sechs Monate gesichert. Doch auch Zelenodolsk muss neue Quellen erschließen. Deutlich schlechter ergeht es hingegen anderen Dörfern, erzählt Nevesyoly.
Ein Nachbarort lebte bisher zu 90 Prozent von der Landwirtschaft. Dort wurden Pfirsiche, Zuckermais und Kohl angebaut. Jetzt gibt es für die Felder keine ausreichende Bewässerung. Die Menschen verlieren ihre Existenz - und Lebensmittelpreise steigen.
An der Zapfstelle in der Hochhaussiedlung in Krywyj Rih greift Swetlana ihre beiden Wassereimer und begibt sich nach Hause. Sie hofft, dass sie nicht mehr allzu lange herkommen muss: "Man verspricht uns, dass in zwei Monaten alles wieder in Ordnung ist. Wir werden sehen. Ein paar Tage in diesem Zustand sind kein Problem - mal schauen, was ich in einem Monat sage."
Betroffene behalten Zuversicht
Mykola nimmt die Situation betont nüchtern. Wassertragen kann ihn angesichts der Erfahrungen der vergangenen 16 Monate nicht erschüttern: "Wir werden es überleben. Was soll man auch tun? Hauptsache, es fliegen keine Raketen."
Anastasija, die als Freiwillige Trinkwasser an bedürftige Anwohner verteilt, ist zuversichtlich, dass die Versorgungslage in Krywyj Rih nicht außer Kontrolle gerät. Sie ermutigt, dass auch in der neuerlichen Krisensituation die Solidarität insgesamt groß ist.
"Wir versuchen, nicht an den schlimmsten Fall zu denken", sagt sie. "Trinkwasser ist in Geschäften reichlich verfügbar. Für die kommende Zeit sollte das reichen. Und wir merken, wie wir in der Stadt enger zusammenrücken - man unterstützt sich, mit Taten oder einfach freundlichen Worten."