Rentenreform in Frankreich in Kraft Macrons nächtliche Unterschrift sorgt für Unmut
In der Nacht zu Samstag hat Präsident Macron das Gesetz zur Rentenreform unterzeichnet - und damit für neue Kritik gesorgt. Die Gewerkschaften schlugen ein Gesprächsangebot aus und planen weitere Proteste.
Was wird der Präsident am Montagabend im Fernsehen erklären, fragen Journalisten den Haushaltsminister Gabriel Attal. "Da kann ich Ihnen derzeit gar nicht mehr dazu sagen. Salut! Wie geht’s?", erwidert der und begrüßt Küsschen rechts, Küsschen links eine Parteifreundin.
Attal eilt in eine Judo-Sporthalle, angemietet für ein Krisentreffen der Präsidenten-Partei Renaissance. Im Vorfeld hatte Regierungschefin Elisabeth Borne erklärt, am wichtigsten sei ihr, die Lage zu beruhigen. Schwierig, wenn der Präsident in der Nacht zu Samstag das Rentenreformgesetz unterzeichnet, wo er doch zwei Wochen Zeit gehabt hätte. Die Eilmeldungen kamen kurz nach sechs, unterschrieben haben soll er noch früher.
Auch vom Gewerkschafter Cyril Chabanier von der CFTC kommt Kritik. "Einmal mehr provoziert er. Er hört nicht und unterschreibt früh um vier, als wäre es ein Notfall. Und der Verfassungsrat hat noch das Positivste, was wir durchgekämpft haben, das Zuckerbrot, rausgestrichen. Und dann sollen wir Dienstag bei ihm antanzen - das geht gar nicht!"
"So machen es Diebe"
So machen es Diebe, sagt die Opposition. Kommunisten-Chef Fabien Roussel hatte gewarnt, Emmanuel Macrons Wahl bedeute, "das Land in Brand zu setzen, was niemand wolle."
Auch die Bitte des gemäßigten Gewerkschaftschefs Laurent Berger blieb ungehört. "Man kann aus dieser Krise herauskommen. Die Weisheit gebietet, dieses Gesetz nicht zu unterschreiben. Denn sechs Punkte wurden gestrichen. Es waren die positivsten für die Arbeitnehmer. Und in dem Fall sieht die Verfassung vor, dass man den Text erneut ins Parlament einbringen kann. Ich bitte den Präsidenten, unterschreiben Sie nicht dieses Wochenende", sagte Berger, noch bevor es zur Unterzeichnung kam.
Höheres Einstiegsalter und entfallende Sonderrenten
Der Verfassungsrat hatte die wichtigsten Reformpunkte gebilligt - das neue Einstiegsalter wird künftig bei 64 statt 62 Jahren liegen. Fast alle Sonderrentensysteme - etwa für Angestellte des Stromkonzerns EDF, der Banque de France oder der Pariser Verkehrsbetriebe - entfallen. Die 43 Beitragsjahre kommen schneller. Und für gerade 1,5 Prozent der Rentner mit Niedrigrenten werden diese aufgestockt.
Die gestrichenen Punkte aber fielen heraus, weil sie nicht in einen Nachtragshaushalt für die Sozialversicherung passen. Genau dahin aber hatte die Regierung ihren Text gepackt. Kein Medizincheck mit 60 für alle, die in Risikoberufen arbeiten, kein Umschulungsfonds für sie, kein Seniorenindex, mit dem Betriebe mitteilen müssen, wie viele Ältere sie beschäftigen, und kein unbefristeter Arbeitsvertrag für Senioren mit weniger Sozialabgaben.
Falschaussagen im Parlament
Zudem wurde die Reform fragwürdig durchs Parlament gebracht. Verfassungsrechtler Dominique Rousseau von der Pariser Sorbonne wirkte im Nachrichtenfernsehen BFM-TV ratlos: "Der parlamentarische Weg ist ein Qualitätsgarant für ein Gesetz. Der Verfassungsrat hat aber bestätigt, dass Minister im Parlament falsche Aussagen gemacht haben und dass es schon ungewöhnlich sei, wie viele Artikel die Regierung bemüht hat, um die Debatte zu straffen. Wie erkläre ich meinen Studenten, dass die Reform gebilligt wurde? Man sollte sich nicht wundern, dass die Menschen Gesetzen nicht folgen, die hingeschludert worden sind!"
Ab 1. September wird das Einstiegsalter jedes Jahr um drei Monate steigen. Der Jahrgang 1968 wird der erste sein, der bei 64 Jahren landet. Für Herve Sauzay, Chef des Französischen Senioren-Instituts, hat die Reform vor allem Defizite aufgedeckt. "Nämlich das schlechte Management der Arbeit von Senioren. Das Ende des Berufslebens wird von vielen als schmerzhaft empfunden. Im privaten Bereich geht einer von zwei Franzosen als Arbeitsloser in die Rente."
Neue Massenproteste am 1. Mai geplant
Doch die Gewerkschaften, die eine Einladung in den Elysée für Dienstag ausgeschlagen haben und sich verhöhnt fühlen, wollen den 1. Mai zum Großkampftag machen. Sie halten überdimensionale Schecks in die Kameras: 60.000 bis 80.000 Euro. Eine Internet-Sammelplattform bestätigt: Seit Mitte Januar seien fast 150 Sammelkassen eingerichtet und schon mehr als 1,6 Millionen Euro gespendet worden. Dreimal mehr als bei Macrons erstem Rentenreformversuch vor gut drei Jahren. Und die Kasse der Intersyndicale, in der alle Fäden des Kampfes zusammenlaufen, nähert sich der Vier-Millionen-Spendenmarke. "Die Streikkassen zeigen, die Menschen vertrauen uns, dass wir für alle etwas erkämpfen wollen", sagt Eisenbahner Anthony stolz.
Nach der Entscheidung des Verfassungsrates hatte es in der Nacht zu Samstag landesweite Demonstrationen gegeben. Allein in Paris gab es rund 140 Festnahmen. Besonders angespannt war die Lage in Rennes, wo ein Polizeikommissariat und ein Jakobinerkonvent brannten. Einer jungen Anwohnerin ist das zu viel: "Ich bin hoffnungslos. Das ist zu viel Gewalt. Wofür? Bei manchem Kampf verstehe ich den Sinn nicht. Das geht doch Richtung Anarchie und führt zu nichts."
Am Samstag wurden deshalb Sonderkommandos in die bretonische Studentenstadt geschickt. Trotzdem flogen Brandsätze, Autos brannten lichterloh.