Europas größter Hafen Rotterdam - Ready for Brexit
40 Millionen Tonnen Waren verlassen jährlich Europas größten Hafen in Richtung Großbritannien. Mit dem Brexit wird sich hier einiges ändern - doch Rotterdam ist gut vorbereitet.
Wie bei einem Tetris-Spiel bugsiert ein Hafenarbeiter im Blaumann einen großen Lkw-Anhänger mit einem Schubwagen zentimetergenau in die Lücke auf der Frachtfähre "Selandia Seaways", dann schließt sich der Rumpf des riesigen Schiffes. "Sieben Minuten zu spät" runzelt Logistiker Lucien Stötefalk die Stirn. Zeit ist Geld in seiner Branche.
Das Fracht-Terminal der dänischen Reederei DFDS gehört zu den Großen im Rotterdamer Hafen. 27 Frachtfähren legen hier jede Woche ab in Richtung Großbritannien - nach Felixstowe, wo der größte Containerhafen auf der britischen Insel angesiedelt ist. 280 Lkw-Anhänger passen im Schnitt auf so ein Schiff. Hauptsächlich Gebrauchsgüter, Lebensmittel und Luxusgüter wie beispielsweise Blumen werden hier täglich über den Ärmelkanal gefahren. Und Stötefalk ist überzeugt, dass das auch so bleibt, auch wenn irgendwann einmal der Brexit kommt.
Parkplätze für gestrandete Trucker
Mehr als zwei Jahre haben sie den Ernstfall vorbereitet, sich alle 14 Tage mit den Verantwortlichen von Regierung, Hafenverwaltung, anderen Reedereien getroffen und ausgetauscht. Mehrfach haben sie in Übungen simuliert, wie es wohl sein wird, wenn Großbritannien die EU verlässt. 1,5 Millionen Euro hat die Hafengesellschaft Rotterdam bisher in die Brexit-Vorbereitungen investiert.
Rotterdam ist nicht nur der größte Hafen Europas, er ist auch die zentrale Drehscheibe für den Handel mit Großbritannien. 40 Millionen Tonnen Waren werden jedes Jahr zwischen Rotterdam und der britischen Insel verschifft. Noch funktioniert das problemlos. Doch sobald Großbritannien den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlässt, müssen alle Waren verzollt und kontrolliert werden. Eine bürokratische Mammut-Aufgabe, die vor allem online gesteuert werden soll.
27 Frachtfähren mit bis zu 280 Lkw legen jede Woche in Richtung Großbritannien ab.
Hafen-Manager Mark Dijk befürchtet trotzdem, dass täglich bis zu 400 Lkw an einem der England-Terminals zurückbleiben könnten, weil sie ihre Ware nicht korrekt für den Übertritt der neuen EU-Außengrenze registriert haben. Um riesige Rückstaus zu vermeiden, wurden extra Stellplätze eingerichtet. Bei DFDS sind es 160 Parkplätze für gestrandete Trucker in der Nähe des Terminals. "Ich rechne damit, dass es bis zu sechs Wochen dauern wird, bis alle Firmen begriffen haben, wie sie die neuen Regeln anwenden und umsetzen müssen" schätzt Stötefalk.
Es mangelt an Fachpersonal
Auf großen Plakaten und auf Flyern in mehreren Sprachen werden Firmen und Fahrer informiert, was sich künftig ändert. Aber man hat nicht nur in Infokampagnen investiert, sondern auch in Kontrollsysteme. Denn künftig muss der Hafen prüfen, ob britische Waren den europäischen Produktstandards entsprechen - zumindest stichprobenartig. Und Einfuhrzölle kassieren. Das beträfe allein in Rotterdam 10.500 Schiffe jedes Jahr. Dafür werden zusätzliche 900 Zöllner gebraucht, bislang konnten allerdings nur 600 ausgebildet werden.
Noch schwieriger ist es bei den Veterinär-Medizinern und der Lebensmittelaufsicht. Zwischen Rotterdam und Großbritannien werden meist Waren gehandelt, die besonders kontrolliert werden müssen, wie etwa Fleisch, Tiefkühlkost oder Blumen. Doch die 140 dafür neu geschaffenen Stellen können die Niederländer gar nicht besetzen und gehen dafür jetzt in Osteuropa auf Werbetour.
Das Hafen-Management befürchtet, dass nach dem Brexit bis zu 400 Lkw täglich in Rotterdam zurückbleiben könnten.
Brexit als Chance?
Trotz der Angst, dass sich die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und dem Kontinent durch den Bürokratie-Wahnsinn abkühlen könnten, sehen einige Firmen im Brexit auch Chancen: Die Reederei DFDS etwa erhöht ihre Kapazitäten auf der Strecke Rotterdam - Felixstowe um satte 40 Prozent. Sie ist auf den Transport von Trailern spezialisiert: Dabei überquert nur der Container die Nordsee, der Fahrer bleibt in Europa. Es ist eine Zeit- und Kostenersparnis für viele Speditionen, die sich dann nicht mit Visa-Angelegenheiten aufhalten müssen.
Die Fahrer der Schubwagen, die wie Ameisen zwischen den langen Parkstreifen der LKW-Anhänger hin- und herdüsen, werden in Zukunft also noch mehr zu tun bekommen als bisher. Egal ob und wann der Brexit kommt - "wir sind auf alle Eventualitäten bestens vorbereitet", freut sich Stötefalk, während er auf die großen Frachter blickt, in die die Trailer gestapelt werden.