Zwei Personen stehen auf der Ladefläche eines Geländewagens, zwei Bewaffnete daneben

Ukrainische Fraueneinheit Wie die "Hexen von Butscha" den Himmel überwachen

Stand: 18.09.2024 08:23 Uhr

Sie sind Kindergärtnerinnen, Tierärztinnen und Lehrerinnen. Als "Hexen von Butscha" haben sie in einer rein weiblichen, mobilen Freiwilligeneinheit die Luftverteidigung rund um Butscha übernommen.

Von Birgit Virnich, ARD Kiew

Im wahren Leben ist Valentyna Tierärztin. Doch seit drei Monaten ist die 51-Jährige bei den "Hexen von Butscha", einer Freiwilligeneinheit, die den Himmel über Butscha vor russischen Drohnenangriffen überwacht.

Sie trainiert in einem Waldstück in der Nähe der Stadt. Noch übt sie dort auf der Ladefläche eines Pick-ups das Abschießen von Drohnen. Doch ihre Mitstreiterinnen haben ihr schon den Kampfnamen "Walküre" gegeben, weil sie so unbeirrbar sei. Wenn sie nur eine Drohne aus dem Himmel hole, wäre sie schon zufrieden, erklärt sie uns. Dann werde sich das harte Training im Bootcamp schon gelohnt haben.

Durchs Unterholz robben, mit militärischer Ausrüstung auf Bäume klettern - anfangs hatte sie gedacht, dass sie das rein körperlich nicht schaffen könne. Doch dann habe sie der Ehrgeiz gepackt.

Valentyna

In einem Keller versteckt überlebte Valentyna die Bombardierung und das Massaker von Butscha. Nun will sie die Stadt als eine der "Hexen von Butscha" verteidigen.

Russisches Massaker als Triebfeder für den Einsatz

Zu Beginn der Invasion 2022 versteckte sie sich in Butscha tagelang mit Freunden und Nachbarn in eisigen Kellern vor den russischen Truppen. Sie wussten, dass die Russen ukrainische Zivilisten, auch Frauen und Kinder, auf offener Straße erschießen.

In einem ihrer Verstecke musste Valentyna miterleben, wie die russischen Streitkräfte den Flughafen in der Nähe bombardierten. Den Beschuss von Irpin und Butscha werde sie nie vergessen, erzählt sie. Nach drei Wochen gelang ihr die Flucht, zusammen mit sieben anderen, zusammengepfercht in einem Auto. 

Das Massaker von Butscha ist zum Sinnbild für die Kriegsverbrechen der Russen in der Ukraine geworden - und für Valentyna zur Triebfeder für ihren Kampf in der Freiwilligeneinheit. 

Person in Tarnfarben bekleidet mit Waffe

Jeden Abend holen die "Hexen von Butscha" russische und iranische Shahed-Drohnen aus dem Himmel, erklärt ihr Trainer Andrii Verlaty. 

Nie wieder ausgeliefert fühlen

Das Gefühl der Hilflosigkeit hat sie lange gequält, bis ihr klar wurde, dass sie etwas dagegen tun muss. Irgendwann packte sie die Wut, und nach den jüngsten, massiven Angriffen auf ukrainische Städte begann sie mit dem Training.

Immer wieder setzt das russische Militär rund um Kiew Drohnen ein. Allein in der vergangenen Woche waren es 300 Drohnen, mit denen sie ukrainische Städte angriffen, so Präsident Wolodymyr Selenskyj.

"Sie kommen fast lautlos. Man hört keine Bomben, Explosionen oder Granaten", schärft ihnen Trainer Andrii Verlaty ein. Manchmal höre man sogar die Vögel singen. Doch jeden Abend holen die "Hexen von Butscha" russische und iranische Shahed-Drohnen aus dem Himmel, erklärt Verlaty stolz. 

Zwei Frauen in Tarnfarben gekleidet

Die "Hexen von Butscha" sind nicht Teil der Armee, sondern eine der Regionalregierung unterstellte Freiwilligeneinheit.

Einsatz wird immer wichtiger

Es melden sich ganz unterschiedliche Frauen bei ihm: kinderreiche, aber auch alleinstehende Frauen; alte und junge; Frauen mit gut bezahlten Jobs sowie Unternehmerinnen wollen Teil seiner freiwilligen, mobilen Flugabwehreinheit werden. 

Manche Frauen seien motivierter als Männer, erklärt Oberst Verlaty. Längst hat sich herumgesprochen, dass das Training hart, aber sehr gut ist. Die "Hexen" gehören nicht zur Armee. Als Freiwilligeneinheit sind sie der Regionalregierung unterstellt, erklärt er uns. Das Abschießen russischer und iranischer Drohnen werde immer wichtiger.

Die Frauen füllen Lücken, die entstehen, weil Männer an die Front geschickt werden. Die Frauen machen zwar nur einen Bruchteil der bewaffneten Kräfte des Landes aus, aber ihr Einsatz wird immer wichtiger. Längst ist den Frauen klar, dass sich der Krieg hinzieht und viele der Männer erschöpft sind, nach den langen Monaten und Jahren an der Front. Sie wollen Verantwortung übernehmen.

Wenn sie das Training absolviert hat, wird Valentyna zwei oder drei Tage die Woche dienen, damit sie sich um ihren jüngsten, den elfjährigen Sohn kümmern kann. Auch Maklerin Iryna will ihren Job beibehalten. Genau den verteidige sie ja hier, meint sie: "Ich will Drohnen zerstören, damit sie uns nicht zerstören." Ihre Einheit ist längst Teil ihres Lebens geworden.

Von ihren Ausbildern, erfahrenen Drohnenpiloten, lernen sie alles über das Flugverhalten von Drohnen und trainieren darüber hinaus, Waffen auseinanderzubauen und zu reinigen, den Häuserkampf sowie die Zusammenarbeit im Team.

 

Kameradschaft unter den Frauen

Nachts könne sie zwar selten ruhig schlafen, erzählt Valentyna, denn jetzt kenne sie die Gefahr, die von Drohnen ausgehe, viel genauer. "Mein Handy liegt immer neben meinem Kopfkissen", sagt sie. Aber das Training und die Kameradschaft unter den Frauen habe ihr geholfen, sich wieder stärker zu fühlen. Als Tierärztin habe sie angefangen, nebenbei noch taktische und Notfallmedizin zu studieren.

Andere Frauen aus ihrem Lehrgang haben sich zum Wehrdienst in der Armee gemeldet und schon unterschrieben. Eine der Frauen ist mittlerweile Zugführerin eines Angriffsbataillons. Eine andere wird jetzt zur Offizierin ausgebildet, um ein Team zu leiten, das mit Mehrfachraketenwerfern arbeitet.

Der Krieg wird noch lange dauern, glaubt Valentyna, und die Vorstädte von Kiew seien längst auch eine Front in diesem Krieg. Die gelte es zu schützen - so wie das die Männer an anderer Stelle machen.