US-Wahl 2024

Donald Trump
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Trump wird wieder US-Präsident War Desinformation entscheidend bei der Wahl?

Stand: 07.11.2024 14:44 Uhr

Der US-Wahlkampf wurde von vielen falschen Behauptungen begleitet - auch Wahlsieger Trump verbreitete selbst strategische Lügen. Doch hat Desinformation tatsächlich den Ausgang der Wahl beeinflusst?

Von Carla Reveland und Julia Kuttner, ARD-faktenfinder

Donald Trump hat die US-Präsidentschaftswahl gewonnen, sein Wahlkampf war mitunter dominiert davon, ein düsteres Bild von den Vereinigten Staaten zu zeichnen und die Stimmung mit falschen oder irreführenden Behauptungen und Verschwörungsnarrativen anzuheizen. Noch am Wahltag postete Trump Beiträge auf dem sozialen Netzwerk X, die einen vermeintlichen Wahlbetrug nahelegen.

Mit seinem Sieg sind ein Großteil der Stimmen, die einen vermeintlichen Wahlbetrug bereits vor dem Ausgang der Wahl gewittert hatten, verstummt. Denn das Narrativ der Wahlmanipulation durch die Demokraten wurde mit zahlreichen falschen Behauptungen über angeblich illegal wählende Ausländer, nicht funktionierende Wahlcomputer oder im großen Stil vernichtete Briefwahlstimmen maßgeblich von Seiten der Republikaner, Trump-Anhängern und Trump selbst verbreitet.

Weder Desinformation noch Fakten ausschlaggebend

Das Wahlergebnis wirft die Frage auf, wieviel Fakten noch wert sind und inwiefern Desinformation einen Anteil an der Wahlentscheidung hat. Noch gibt es keine belastbaren Zahlen, die diese Frage empirisch beantworten können. Doch erste Einschätzungen von Desinformationsforschenden liefern zumindest erste Erkenntnisse. "Ich würde den Ausgang dieser Wahl so interpretieren, dass Desinformation nicht ausschlaggebend ist, aber auch Fakten sind nicht ausschlaggebend", sagt Curd Knüpfer, Associate Professor für politische Kommunikation am Digital Democracy Centre der Süddänische Universität in Odense im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder.

Wenn man wollte, hätte man Zugriff auf Fakten gehabt, sagt er. "Man kann jetzt nicht so tun und sagen, dass nun im Jahr 2024 Menschen hinters Licht geführt worden sind und Trump gar nicht das ist, was er sagt." Trump habe zwar sehr viele Lügen verbreitet, aber er habe ziemlich offen artikuliert, was er will und wofür er steht.

"Vielleicht müssen wir uns jetzt kollektiv ein bisschen an den Kopf fassen und darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn das den Wählern egal ist und woher das kommt", so Knüpfer. Einflüsse wie Zugehörigkeit, Stereotypen, die man im Kopf habe, Narrative und Bedrohungen, die wir durch andere Gruppen empfinden, seien wichtig zu betrachten.

Viele Faktoren spielen eine Rolle

Das sieht Katja Muñoz, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), ähnlich: "Desinformation an sich hat natürlich eine große Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende. Lügen sind verbreitet worden, aber der Fokus sollte nicht so sehr auf die verschiedenen Narrative gesetzt werden, sondern auch auf die Strategien dahinter." Denn die einzelnen Narrative hätten vermutlich nicht viele Personen in ihrer Wahlentscheidung umgestimmt, sondern es seien dadurch bestehende Annahmen verstärkt oder bestätigt worden, erläutert Muñoz gegenüber dem ARD-faktenfinder.

Das Problem liege tiefer. "Es sind viele Dynamiken, Kausalitäten, die auch eine wichtige Rolle gespielt haben." Ein wichtiger Aspekt sei, dass Elon Musk durch die Übernahme von X eine Kommunikationsinfrastruktur gekauft habe. "Seitdem kann man dort sehen, wie von bestimmten Akteuren mehr Content und mehr Visibilität gefördert wird, so dass man einen Eindruck von bestimmten Dingen bekommen kann, die so vielleicht nicht den Tatsachen entsprechen. Es werden alternative Realitäten suggeriert", so Muñoz.

Mehr als 17 Milliarden Aufrufe für Musks politische Postings

Musks politische Postings, die er seit seiner offiziellen Unterstützung von Trump gepostet hat, wurden über 17 Milliarden Mal gesehen, wie eine Studie der NGO "Center for Countering Digital Hate" herausgefunden hat. Das sind mehr als zwei Mal so viele Aufrufe wie alle US-amerikanischen "politischen Wahlkampfanzeigen", die X in seinem Datensatz zur Offenlegung politischer Anzeigen im gleichen Zeitraum erfasst hat. Eine vergleichbare Kampagne hätte laut der NGO rund 24 Millionen Dollar gekostet.

Mindestens 87 von Musks Beiträgen haben Behauptungen über die US-Wahlen verbreitet, die von Faktenprüfern als falsch oder irreführend eingestuft wurden und allein schon zwei Milliarden Aufrufe erzielten. Keiner dieser Beiträge enthielt allerdings eine sogenannte Community Note, die auf X Falschbehauptungen durch Nutzende markiert und richtigstellt.

"Inhalt wird immer unwichtiger"

In einer über acht Jahre angelegten Studie fand ein internationales Forscherteam Gründe, weshalb Trump wie im Jahr 2016 als Wahlsieger hervorging. In der kürzlich veröffentlichten Analyse wurden mehr als 200 Millionen Postings in den sozialen Netzwerken im Zusammenhang mit den US-Wahlkämpfen seit 2016 untersucht. Die Studie zeigt einen "erheblichen Einfluss von Desinformation auf das politische System" auf.

Schon zwischen 2016 und 2020 hat sich die Anzahl von Desinformation vervierfacht. Desinformation beeinflusst laut der Studie nicht nur die Wahlentscheidung, sondern ist oft auch Auslöser von Medienberichterstattung und findet so seinen Weg in gesellschaftspolitische Debatten. In diesem Jahr spielten Falschbehauptungen über Migranten und die Entschädigung der Hurrikan-Opfer eine große Rolle, was Trump in die Karten gespielt hat.

Auch drehten sich viele Falschbehauptungen um die Spitzenkandidaten. Es sei nebensächlich, ob ein Kampagne gegen den anderen geführt werde oder die eigene Person in den Mittelpunkt rücke. "Das Wichtige ist, dass man Debatte schafft", so einer der Studienautoren Raoul Kübler. "Inhalt wird immer unwichtiger", erklärt er. Trumps Vorsprung in den sozialen Medien basiere auch darauf, dass er mit polarisierenden Themen immer wieder Diskussionen auslöse.

Die Washington Post hat während Trumps erster Amtszeit seine falschen oder irreführenden Behauptungen gezählt - und ist auf die Zahl 30.573 gekommen. Erhebungen dazu, wie viele es während seines jetzigen Wahlkampfes waren, liegen noch nicht vor. Doch stellt Knüpfer die Sinnhaftigkeit dessen infrage: "Wenn wir uns jetzt irgendwie noch weiterhin hinstellen und aufzählen, wie oft Trump lügt und darüber eine Strichliste führen - das hatten wir ja alles schon. Und man muss sich jetzt fragen: Was hat das gebracht?"

US-Informationslandschaft Ursache für Verbreitung

Ursache für die immense Verbreitung solcher Falschbehauptungen ist auch die Informationslandschaft in den USA. "Wir haben es in den USA schon seit längerem mit einem medialen Apparat zu tun, der nicht nach den Regeln des professionellen Journalismus funktioniert", erklärt Knüpfer. Das bedeute, "dass die Nachrichten, die Menschen bekommen, nicht unbedingt geprägt sind von den Normen und Werten, die wir mit dem Rundfunkjournalismus oder auch dem Printjournalismus des 20. Jahrhunderts verbinden". "Wir haben es mit einem gewaltigen medialen Apparat zu tun, der auch pro-republikanisch ist und diese Ideologien teilt. Es gibt wahnsinnig viele Online-Seiten, die eben diese Narrative befeuern."

Die Fragmentierung der Informationslandschaft habe unter anderem dazu geführt, dass Influencer zu alternativen Trusted Sources geworden sind, meint Muñoz. Diese hätten eine große Einflusskraft auf ihre Communitys. "Wenn man den produzierten Content über Jahre hört, dann bilden sich emotionale Verbindungen, sogenannte parasoziale Beziehungen, die dazu führen, dass Lügen oder Übertreibungen eher geglaubt werden als Faktenchecks traditioneller Medienhäuser."

Das zeigt sich auch in Studien. So beziehen laut dem Digital News Report 2024 des Reuters Instituts 48 Prozent der Amerikaner ihre Nachrichten aus den sozialen Netzwerken. Das Vertrauen in die Medien liegt nur bei 32 Prozent. Desinformation verstärkt dieses Misstrauen und wird strategisch eingesetzt.

"Man versucht Verunsicherung auszulösen und vor allen Dingen Vertrauen in Demokratie und in verschiedene Institutionen wie den Medien zu zerstören." Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die einzelnen Falschbehauptungen gar nicht verfangen. Es hätten sich bereits viele Leute von etablierten Medien abgewendet. "Insofern würde ich sagen, dass Desinformation das Meinungsbild beeinflusst - aber eher im Sekundärbereich, als dass alle Narrative geglaubt werden", schlussfolgert Muñoz.

Trump-Wähler hat Wahrnehmung der eigenen Situation motiviert

Für Muñoz ist klar, zum Wahlsieg Trumps habe beigetragen, "dass die Bevölkerung als größte Sorgen die Wirtschaft sah und sie Trump als kompetenter sehen - und das, obwohl sie ihn nicht persönlich mögen oder seine Kommentare abstoßend finden." Sie hätten den Eindruck, dass es ihnen unter Biden schlechter ging als vorher und Trump das besser machen könne als Harris. "Die Preise von Eiern sind zum Beispiel exorbitant gestiegen, die Benzinpreise sind auch sehr hoch. Und wenn man in einen Staat wie Michigan oder Pennsylvania lebt, muss man oft lange Distanzen zurücklegen. Dann merkt man den Benzinpreis."

Dem stimmt auch US-Expertin Cathryn Clüver Ashbrook im Interview mit tagesschau.de zu. Die Trump-Wähler werde vor allen Dingen die Wahrnehmung der eigenen Situation stark motiviert haben. Sie meint, dass ein Mix aus dem Empfinden, dass die USA einen neuen Weg einschlagen müssen, und aus der eigenen wirtschaftlichen Situation "die Wähler bewogen hat, für Trump zu stimmen".

Harris hätte versucht, "mit Fakten Klartext zu schaffen in einer Situation, in der die Amerikaner fast nur noch Bilder, Emotionen und Kurztext wollten". "Auf der anderen Seite konnte Trump mit ganz einfachen populistischen Botschaften weiterhin punkten: Er werde Amerika wieder groß machen, er werde Amerikas Wirtschaftskraft wiederbeleben. Wie er das machen will, scheint für seine Wähler zweitrangig gewesen zu sein", so Ashbrook.

Vertrauen in Übermittler überwiegt Nutzen von Fakten

Auch wenn zum momentanen Zeitpunkt nicht feststeht, in welchem Ausmaß Desinformationen die US-Wahl beeinflusst haben, warnt Jiore Craig, Resident Senior Fellow beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), dass "das Vertrauen in die Übermittler von Informationen - oder das Fehlen dessen - inzwischen den Nutzen von Fakten" überwiegt.

In der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie seien "böswillige Akteure den traditionellen Medien und Institutionen voraus, da sie die Wählerinnen und Wähler dort erreichen, wo sie online aktiv sind". Die etablierten Medien und Institutionen würden ihre Ansätze oft nicht ausreichend an diese neue Realität anpassen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. November 2024 um 10:00 Uhr.