US-Wahl 2024
Desinformation vor US-Wahl Die Mär der gestohlenen Wählerstimmen
Im Zentrum der Desinformation vor der US-Wahl stehen Narrative, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit schüren sollen. In vielen Fällen wird den Demokraten vorgeworfen, das Ergebnis zu manipulieren.
"Sie importieren Wähler", schreibt Elon Musk auf seiner Plattform X. US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump postet in seinem sozialen Netzwerk "Truth Social": "Wir haben sie beim GROSSEN BETRUG in Pennsylvania erwischt." Und in einem viral gehenden Video heißt es: "Die Wahlmaschinen in Kentucky WEIGERN sich, den Namen von Donald Trump anzuwählen und wählen stattdessen automatisch Kamala Harris aus."
Dies sind Beispiele dafür, wie kurz vor der US-Wahl im Netz Stimmung mit Falschbehauptungen gemacht wird, die das Vertrauen in das Wahlprozedere unterwandern sollen. Seit dem ersten September hat die Organisation NewsGuard knapp 70 Falschbehauptungen identifiziert, die falsche Narrative zur US-Wahl beinhalten.
Die New York Times schreibt unter Berufung auf Forschende und Beamte, die Desinformationen dokumentieren, die Flut an Halbwahrheiten, Lügen und Fälschungen vor dieser Wahl übertreffe alles Dagewesene.
Video vermeintlicher Haitianer sorgt für Wirbel
Das Narrativ, dass Personen ohne US-Staatsbürgerschaft illegal wählen und damit das Wahlergebnis manipulieren würden, wird mit besonders vielen unterschiedlichen Falschbehauptungen verbreitet. Mal werden angeblich "illegale Einwanderer" in die sogenannten Swing States geflogen, um den Demokraten zum Sieg zu verhelfen, mal kommen vermeintliche Kanadier über die US-amerikanische Grenze, um Donald Trump zu wählen.
Aktuell kursiert ein 20-sekündiges Video, das Hunderttausende Male angeschaut wurde und angeblich zwei Männer aus Haiti zeigen soll, die nach ihrer Ankunft in den USA innerhalb von sechs Monaten die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hätten. Einer der Männer behauptet, mithilfe verschiedener Führerscheine des Bundesstaates Georgia mehrmals für Kamala Harris gestimmt zu haben.
"Gestern haben wir in Gwinnett County gewählt und heute wählen wir in Fulton County", sagt er in dem Clip und ruft andere Haitianer dazu auf, in die Vereinigten Staaten zu kommen. Das Video ist jedoch eine Fälschung. Die Adressen auf den Führerscheinen sind keine Wohnadressen und bei dem Passbild handelt es sich um ein Stockfoto, wie das britische Faktencheckteam "BBC Verify" herausfand.
Auch US-Geheimdienste und der republikanische Staatssekretär und Wahlleiter des Bundesstaates Georgia, Brad Raffensperger, halten das Video nicht für authentisch. Raffensperger erklärt: "Das ist falsch und ein Beispiel für gezielte Desinformation, die wir bei dieser Wahl erlebt haben." Es handele sich "wahrscheinlich um ausländische Einmischung", mit der versucht werde, kurz vor der Wahl "Zwietracht und Chaos zu säen".
Forscher der Clemson University stützen diese These und konnten Merkmale einer russischen Desinformationskampagne finden. Sie sehen eine Verbindung zu dem mit dem Kreml verbundenen Desinformationsnetzwerk Storm-1516. Desinformationsforschern zufolge hat Storm-1516 bereits zuvor gefälschte Videos produziert. Die russische Botschaft in den USA widerspricht jedoch und bezeichnete die Anschuldigungen als "unbegründet".
Republikaner und Medien befeuern das Narrativ
Doch nicht nur aus dem Ausland wird das Narrativ der Wähler ohne US-Staatsbürgerschaft gestreut. Innerhalb von drei Wochen zwischen September und Oktober haben "Media Matters" zufolge "Fox News", "Fox Business" und "Newsmax" mindestens 141 falsche Behauptungen über die Wahlbeteiligung von Nicht-Staatsbürgern verbreitet. Außerdem teilten mehr als 200 republikanische Kongressmitglieder laut "Advance Democracy", einer gemeinnützigen Forschungseinrichtung, in diesem Jahr bei X Inhalte dazu.
Auch Trump selbst befeuert die Erzählung seit Jahren und auch aktuell immer wieder - ob in den sozialen Netzwerken mit Postings wie diesen: "Kamalas illegale Migranten. Das ist die größte Kriminalgeschichte unserer Zeit." Oder bei der TV-Debatte mit Kamala Harris im September, wo er sagte: "Unsere Wahlen sind schlecht und viele dieser illegalen Einwanderer, die hierher kommen, versuchen sie (Anmerkung der Redaktion: die Demokraten) dazu zu bringen, zu wählen."
Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Demokraten derlei Praktiken verfolgen. Personen, die keine US-Staatsbürgerschaft haben, dürfen in den USA nicht an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Sollten sie dies dennoch tun, drohen Geld- und/oder Haftstrafen sowie die Abschiebung. Die Anzahl der Fälle ist marginal.
Seltene Fälle von Nicht-Staatsbürgern, die gewählt haben
Eine landesweite Untersuchung des Brennan Center for Justice zur Wahlbeteiligung von Nicht-Staatsbürgern bei der Präsidentschaftswahl 2016 hat insgesamt 30 Fälle identifiziert, in denen der Verdacht bestand, dass ein Nicht-Staatsbürger gewählt habe - 23,5 Mio haben rechtmäßig gewählt. Demnach liegt die Häufigkeit bei 0,0001 Prozent.
Der Bundesstaat Georgia hat eigenen Untersuchungen zufolge von 8,2 Millionen registrierten Wählenden 20 Personen identifiziert, die keine US-Staatsangehörigkeit hatten. Die Washington Post hat die Datenbank der Heritage Foundation untersucht, die Fälle von Wahlbetrug verzeichnet, und hat zwischen den Jahren 2002 und 2023 insgesamt 85 Fälle gefunden, in denen Nicht-Staatsbürger an der Wahl teilgenommen haben sollen.
"Grundstein, um Wahlergebnis infrage zu stellen"
"Die Erzählung, dass Personen, die keine US-amerikanischen Staatsbürger sind, illegal für die Demokraten wählen und somit den Wahlausgang beeinflussen, ist die dominierende Desinformation der Konservativen vor der Wahl", sagt Jared Holt, Senior Researcher am Institute for Strategic Dialogue (ISD).
Das Narrativ werde genutzt, um den Zugang zur Wahl für Einwanderer und bestimmte Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Afroamerikaner oder Latinos zu erschweren. "Und es soll den Grundstein dafür legen, die Legitimität der Wahlen 2024 schon vor dem Wahlergebnis infrage zu stellen", so Holt.
Auch Politikwissenschaftler Johannes Thimm, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), beobachtet Ähnliches. Beide Parteien in den USA verfolgten eine Agenda, erklärt er. So gehöre es längst zum "Standardrepertoire" der Republikaner, Zweifel daran zu säen, dass es bei den Wahlen mit rechten Dingen zugehe.
"Da werden bereits Klagen vorbereitet, die die Republikaner dann einreichen können in den einzelnen Staaten, um gegen diesen oder jenen Aspekt der Wahl Einwände zu erheben", führt Thimm weiter aus. Damit wolle die Partei den Verdacht von Wahlbetrug schüren und das Vertrauen in die Wahlen untergraben.
Zudem gehöre es zur republikanischen Strategie, die demokratische Kandidatin Harris als Linksradikale darzustellen, erklärt Thimm. Die Demokraten befeuerten das Narrativ, Trump sei eine Bedrohung für die Demokratie und ein Faschist. Dieser Vorwurf komme allerdings nicht allein vonseiten der Demokraten, ordnet Thimm ein. "Der Vorwurf des Faschismus kommt auch von Trumps engen Mitarbeitern aus der ersten Administration."
Mythos der gestohlenen Wahl
Seit Beginn der Möglichkeit, seine Stimme für die Präsidentschaftswahl 2024 abzugeben, wird zudem der Mythos der gestohlenen Wahl mit zahlreichen Falschbehauptungen gestreut. So kursieren beispielsweise aktuell verschiedene Videos, die in diversen Bundesstaaten zeigen sollen, dass elektronische Wahlmaschinen die Stimmabgabe für Trump verweigern und in eine Stimme für Harris umwandeln.
"Einige Wahlmaschinen in Kentucky erlauben es den Wählern NICHT, Präsident Trump zu wählen", heißt es etwa in einem Video bei X, das millionenfach gesehen wurde. "Wenn sie stattdessen auf 'Trump' tippen, wird am Ende Kamala Harris ausgewählt."
Michael Adams, Staatssekretär des Bundesstaates Kentucky, erklärt bei X, dass es keine "Stimmenverschiebung" gegeben habe. Auch die erwähnte Wählerin habe bestätigt, dass ihr Stimmzettel korrekt gedruckt und für den Kandidaten ihrer Wahl gekennzeichnet war.
Die Stimmzettelmarkierungsgeräte seien so eingestellt, dass die Wählenden das gesamte Feld mit dem Namen des Kandidaten berühren müssen, erklärt der Bezirkswahlleiter von Laurel. Der Fehler sei zustande gekommen, da die Wählerin in dem Video nicht tatsächlich Trumps Namen berührt habe, sondern ein Leerzeichen zwischen Trumps und Harris Namen - weshalb die Maschine die Wahl zunächst nicht erkannte.
Wenn der Wählende einen Fehler macht oder der Stimmzettel fehlerhaft ist, kann demnach der Stimmzettel verworfen und ein neuer verwendet werden. Die Wählerin habe laut den Behörden schlussendlich korrekt gewählt.
Brennende Wahlbriefkästen
Auch halten sich Gerüchte hartnäckig, dass Briefwahlzettel im großen Stil vernichtet werden. Tatsächlich wurden im Nordwesten der USA zwei Wahlbriefkästen in Brand gesetzt, das FBI sieht eine Verbindung zwischen den Taten und ermittelt. In Portland im Bundesstaat Oregon sind die meisten Stimmzettel intakt geblieben. In der Nachbarstadt Vancouver, die zum Bundesstaat Washington gehört, wurden jedoch Hunderte Briefwahlzettel beschädigt.
Die Behörden in Washington forderten die Wählenden auf, den Zustellungsstatus ihrer Stimmzettel online zu überprüfen und falls ein abgegebener Stimmzettel nicht als eingegangen gekennzeichnet sei, Ersatz anzufordern.
Video vernichteter Briefwahlzettel wohl russische Desinformation
Neben den durch Brandsätze tatsächlich vernichteten Briefwahlstimmen mischen sich jedoch auch zahlreiche falsche Behauptungen und gefälschte Videos. Eines der meist geteilten Videos ist vermutlich auf dasselbe russische Desinformationsnetzwerk zurückzuführen wie das Video der angeblichen haitianischen Einwanderer.
Das millionenfach angesehene Video zeigt angeblich, wie eine Person Stimmzettel für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Trump im US-Bundesstaat Pennsylvania vernichtet. Die Person sagt im Video "Fuck Donald Trump" und zerreißt die Briefwahlunterlagen, deren Kreuze für Trump gemacht wurden.
Der Wahlvorstand von Bucks County schreibt: "Die Umschläge haben beispielsweise den falschen Grünton, das Papier ist nicht von der Qualität, die das Bucks County Board of Elections verwendet, die Umschläge haben keine Absenderadresse und keiner der Mitarbeiter des Bucks County Board of Election entspricht der Beschreibung der Person im Video." Darüber hinaus würden bis zum Wahltag am 5. November keine Briefwahlstimmen geöffnet und gezählt werden.
Misstrauen in das politische System schüren
Nach Angaben der US-Bundespolizei FBI, der Nationalen Geheimdienstdirektion (Odni) und der Behörde für Cybersicherheit (Cisa) stecken hinter dem Video russische Akteure. Diese hätten das Video produziert und verbreitet. "Diese russische Aktivität ist Teil der umfassenderen Bemühungen Moskaus, unbegründete Fragen über die Integrität der US-Wahl aufzuwerfen und die Spaltung unter den Amerikanern zu schüren", hieß es in der Erklärung von FBI, Odni und Cisa weiter.
Solche Aktivitäten beobachtet auch Politikwissenschaftler Thimm. Auch er bestätigt, externe Akteure wie Russland - aber auch der Iran oder China - verfolgten ein bestimmtes Grundprinzip: die bestehenden Spaltungen zu verstärken. Dabei gehe es vor allem darum, Misstrauen den politischen Institutionen gegenüber zu schüren oder zu verstärken.
Ausländische wie auch inländische Desinformationsakteure hätten relativ leichtes Spiel, da es aktuell viel Raum gebe, falsche Behauptungen zu verbreiten, sagt Holt vom ISD. "Des- und Misinformation funktioniert nur, wenn sie auf fruchtbaren Boden stößt", erläutert er.
Ein grundlegendes soziales Problem in den USA sei das schwindende Vertrauen in maßgebliche Informationsquellen. "Die Menschen vertrauen den Medien nicht. Sie trauen ihren Regierungen nicht. Sie vertrauen einander nicht. Das lässt viel Spielraum für Leute, die aus welchen Gründen auch immer Falschbehauptungen streuen. Sei es, um Geld zu verdienen, Aufmerksamkeit zu erregen oder die Interessen feindlicher staatlicher Akteure zu verfolgen."
Fehlinformationen "Symptom" einer gesellschaftlichen Krankheit
Dass Desinformation verfangen, ist laut Holt ein tiefergehendes Problem. Fehlinformationen werden demnach häufig genutzt, um bestehende Ansichten zu verstärken. Sie seien das Symptom einer kranken Gesellschaft. Das Symptom müsse angegangen und behandelt werden, aber irgendwann müsse auch herausgefunden werden, warum jemand krank sei. "Man kann durch die Symptombehandlung etwas Leiden lindern und Falschbehauptungen widerlegen, aber das löst die Problematik nicht, denn die Gesellschaft ist immer noch krank."
Fakten seien im politischen Diskurs nicht mehr so wichtig, solange der Inhalt sich in eine größere Wahrheit oder Weltanschauung einfüge. Nicht jede Falschbehauptung müsse eins zu eins geglaubt werden, um Wirkung zu erzielen, erläutert Holt. "Wir sehen das häufig bei KI-generierten Bildern oder Videos."
Desinformation hinterlässt Verwirrung und Verunsicherung
So postete etwa die Vorsitzende des republikanischen Nationalkomitees in Georgia, Amy Kremer, das Bild eines fiktiven Mädchens, das sich in den Fluten des Hurrikans in einem Rettungsboot an einen Welpen klammert. Über drei Millionen Aufrufe erreichte der emotionale Post.
Als sie darauf hingewiesen wurde, dass dieses Bild KI-generiert ist, schrieb sie bei X: "Ich weiß nicht, woher dieses Foto stammt, und ehrlich gesagt ist es auch egal. Es hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt." Sie lasse es stehen, da es sinnbildlich für das Trauma und den Schmerz stehe, den die Menschen derzeit durchlebten.
Auch weniger harmlose Falschbehauptungen sind KI-generiert. So kursierten etwa Postings, in denen der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten der Demokraten, Tim Walz, fälschlicherweise mit Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht wurde. Mehrere Faktcheck-Organisationen haben diese Postings als Deepfake-Videos entlarvt. Auch diese Videos werden dem russischen Netzwerk Storm-1516 zugeschrieben.
Wie viel Einfluss Desinformation wie diese auf den Ausgang der Wahl haben wird, lässt sich noch nicht sagen. "Menschen können nur Entscheidungen treffen, die so gut sind wie die Informationen, auf denen ihre Überlegungen beruhen", sagt Holt. Fehlinformation und Desinformation schaffen Verwirrung darüber, welchen Informationen man trauen könne. "Und ich denke, das kann die Entscheidungsfindung für die Menschen ein wenig komplizierter machen", so Holt.