Screenshot einer "Deven-Schuller"-Anzeige bei Waz.de
Kontext

Bezahlte Lobeshymnen auf Influencer Wie Medien ihre Glaubwürdigkeit riskieren

Stand: 29.08.2024 09:01 Uhr

Sogenannte Finfluencer versprechen oft viel und halten wenig. Die meisten nutzen soziale Netzwerke für die Werbung. Einer von ihnen setzt auch auf klassische Medien - die dadurch womöglich ihren Ruf gefährden.

Es ist eine Geschichte, die selbst als Plot für einen Trivialroman als zu unglaubwürdig abgelehnt würde: Deven Schuller, ein gelernter Maurer, erleidet einen schweren Autounfall, leidet unter einer schweren Krankheit, verliert einen Teil seines Gedächtnisses, sitzt in einem Rollstuhl und ist auf Medikamente angewiesen. Zudem wird er von seiner Partnerin verlassen und von seinem Versicherungsberater um seine finanzielle Absicherung betrogen.

Als dann auch noch sein bester Freund stirbt, wird er in okkulte Gemeinschaften aufgenommen, die ihm den Zugang zu geheimem Wissen eröffnen und es ermöglichen, in die Welt der sogenannten Finanzelite einzudringen. Nachdem er in diesen Kreisen zunächst Erfolg hatte und zu Wohlstand gelangte, beschlichen ihn moralische Bedenken und er beschloss, auszusteigen und sein exklusives Wissen künftig zum Wohle aller zu teilen.

Daher sei er in der Lage, jedem zu erklären, wie man mit 4.000 Euro Einsatz innerhalb weniger Wochen für den Rest seines Lebens aussorgen könne, erzählt Schuller in seinen omnipräsenten Werbevideos - seit einigen Tagen jedoch mit einer Einblendung am unteren Rand, die auf Englisch erklärt: "The product advertised is a book. Stated claims are neither guaranteed nor average." (Bei dem beworbenen Produkt handelt es sich um ein Buch. Die angeführten Behauptungen sind weder garantiert noch Durchschnittswerte.)

Screenshot einer "Deven-Schuller"-Anzeige bei unternehmen.welt.de

Eine redaktionelle Anmutung und eine "Welt"-Autorin als Autorin - man muss schon sehr genau hinschauen, um oben rechts den diskreten Hinweis "Anzeige" zu entdecken.

Lobeshymnen in seriösen Medien

Eigentlich könnte man Deven Schuller als ein besonders bizarres Beispiel eines sogenannten Finfluencers abtun, der mit einer Mischung aus emotionalen Erzählungen, Verschwörungsideologie und Reichtumsfantasien leichtgläubige Kunden für obskure oder riskante Anlagemodelle gewinnen will. Was bei Schuller jedoch anders ist: Man findet seine Behauptungen nicht nur in seinen YouTube-Videos und in Anzeigen, sondern auch auf Seiten renommierter Medien wie der "Welt", der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", der "Sächsischen Zeitung" und der "Thüringer Allgemeinen".

Manche dieser Artikel geben sich zunächst scheinbar kritisch mit Überschriften wie "Achtung: Deven Schuller ist kein Genie" oder "Ist Deven Schuller seriös?", stellen sich dann jedoch als Lobeshymnen auf den vermeintlichen Finanzexperten heraus. Will man sich über den Influencer informieren, sind das oft die ersten Ergebnisse, die die Suchmaschinen herausgeben.

Screenshot eines Werbevideos von Deven Schuller

Seine Erfolge hätten ihn in die Zeitungen gebracht, behauptet Schuller in einem seiner Werbevideos. Dass er dafür auch bezahlt hat, verschweigt er.

Bezahlte Anzeigen in redaktionellem Stil - diskret gekennzeichnet

Wie kann es sein, dass sich seriöse Medien für solche Aktionen hergeben? Die Texte sehen im Layout und Erscheinungsbild zwar komplett wie redaktionelle Artikel aus, aber bei einem genaueren Blick stellt man fest, dass es sich um sogenannte Advertorials, also um bezahlte Inhalte, handelt. Die "sächsische.de" erklärt noch transparent vor dem Text, warum das so ist:

Bei diesem Artikel handelt es sich um ein Advertorial ohne journalistisch-redaktionellen Inhalt von sächsische.de. Für den Inhalt und alle externen Links ist allein der Anbieter verantwortlich.

Andere Medien wie "Welt" und "WAZ" begnügen sich dagegen mit einem in kleinen hellgrauen Buchstaben gehaltenen Hinweis, dass es sich um eine bezahlte Anzeige handelt. Der ARD-faktenfinder hat unter anderem die Redaktionen von "Welt", "Thüringer Allgemeine", "WAZ", "Dülmener Zeitung" und dem österreichischen "Kurier" gefragt, ob sie diese Kennzeichnung für ausreichend halten, ob sie die in den Advertorials enthaltenen Informationen überprüfen und ob sie befürchten, dass solche Beiträge ihre Glaubwürdigkeit gefährden könnten.

Eine Sprecherin der "Welt" erklärte dazu: "Die inhaltliche Verantwortung für die Seite liegt bei unserem Partner AD 2.0.. Dies ist durch das Impressum ersichtlich. Darüber hinaus handelt es sich bei den Texten um Advertorials, daher sind sie als 'Anzeige' gekennzeichnet." Der Artikel auf "welt.de" über Deven Schuller war nach der Anfrage nicht mehr abrufbar. Die "Dülmener Zeitung" räumte ein, der Artikel hätte deutlicher gekennzeichnet werden müssen und nahm ihn offline, "um weiteren Missverständnissen vorzubeugen".

Ein Sprecher der Funke Mediengruppe, die unter anderem die Portale "waz.de" und "thueringer-allgemeine.de" betreibt, antwortete, die erschienenen Texte seien automatisiert aus dem ots-Presseportal übernommen worden, über das PR-Nachrichten versandt werden. Ursprünglich habe man die entsprechende Unterrubrik initiiert, um Kunden die Möglichkeit zu geben, dort Advertorials zu veröffentlichen. "Dies hat aber nie stattgefunden." Diese Form der Anzeigenkennung ist nicht unüblich in der Branche, man werde den Service jedoch überprüfen. "Einen Negativeffekt sehen wir aufgrund von insgesamt etwas mehr als 1.000 Seitenaufrufen in einem Jahr nicht."

Wettbewerbszentrale verweist auf strenge Regeln

Marvin Dinges, Jurist bei der Wettbewerbszentrale, erklärt gegenüber dem ARD-faktenfinder, dass Advertorials eine legitime Werbeform darstellen - sofern sie bestimmten Regeln folgen: So müsse der Hinweis, dass es sich um Werbung handle, so deutlich erfolgen, dass der kommerzielle Zweck aus Sicht eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers auf den ersten Blick und zweifelsfrei erkennbar ist - wie der Bundesgerichtshof in einem Urteil entschieden hat. Andernfalls handle es sich um als Information getarnte Werbung, vulgo: um Schleichwerbung.

Ob eine Kennzeichnung ausreichend sei, müsse im Einzelfall entschieden und gegebenenfalls gerichtlich geklärt werden, so Dinges. Die Frage beschäftige aktuell die unterschiedlichsten Branchen. Die Wettbewerbszentrale hat hierzu erst kürzlich zur Orientierung einen Kennzeichnungsleitfaden veröffentlicht, der die Auffassung der Organisation zu ausreichender Werbekennzeichnung darlegt.

Enge Beziehungen zu einem Medienhaus

Besonders präsent ist Schuller in den Medien des Backhaus Finanzverlags. So erschien in dem "Founders"-Magazin des Hauses ein Artikel mit dem Titel "Ein kritischer Blick auf Deven Schuller", der zwar als Anzeige, aber als von der Redaktion erstellt gekennzeichnet ist. Was der Titel verspricht, hält der Beitrag entsprechend nicht: Vielmehr stellt er eine einzige Lobeshymne auf den Influencer dar.

Ähnlich verhält es sich mit einem Beitrag unter dem Titel "Warum Deven Schuller kritisiert wird", der auf dem Portal "Wirtschaft TV" des Backhaus-Verlags erschienen ist. Ein Interview des "Erfolg"-Magazins aus dem gleichen Haus ist zwar nicht als Anzeige gekennzeichnet. Der ausschließlich mit PR-Fotos illustrierte Beitrag wird aber kaum als Beispiel für eine kritische Hinterfragung dienen können. Alle drei Beiträge wurden nach einer Anfrage des ARD-faktenfinders zu den Hintergründen offline genommen.

Für den YouTube-Kanal von "Wirtschaft TV" gab Schuller sogar ein Interview auf dem Parkett der Frankfurter Börse, was einen kleinen Skandal ausgelöst hat: Wie die "Wirtschaftswoche", berichtet, bietet der Backhaus-Verlag an, dass Talkgäste seines "Wirtschaft TV Börsen-Talks" gegen 4.500 Euro Nutzungsrechte von Gesprächen vor der renommierten Kulisse für eigene Werbemaßnahmen erwerben können - was der Influencer bis heute auch tut.

Screenshot eines Werbevideos von Deven Schuller

Auch nachdem "Wirtschaft TV" das Video aus Qualitätsgründen von allen Plattformen gelöscht hat, wirbt Schuller weiter mit seinem "Experten"-Auftritt in der Frankfurter Börse.

Video wurde gelöscht

Nach Beschwerden über das Schuller-Interview von "Wirtschaft TV" überprüfte die Deutsche Börse den Beitrag anhand der geltenden Kriterien zur Berichterstattung vom Börsenparkett und veranlasste, den eindeutig werblichen Beitrag zu löschen. Gegenüber dem Magazin bestritt Verleger Julien Backhaus, dass es eine Gegenleistung Schullers für das TV-Interview gab.

Allerdings wurde das Video nach der Berichterstattung von sämtlichen Kanälen und Servern entfernt. Gegenüber der "Wirtschaftswoche" erklärte Backhaus dazu: "In der redaktionellen Nachbetrachtung wurde eine weitere Abrufbarkeit nicht für geboten erachtet." Das mag letztlich auch im Interesse Schullers sein, der sich nicht nur in seinem angeblichen Fachgebiet Leerverkäufe um Kopf und Kragen redete, bis der Moderator das Gespräch mit der Bemerkung "und hier beenden wir das auch" abbrach.

Auf die Anfrage des ARD-faktenfinders, ob Schuller das Video von ihm erworben hat, erklärte Verleger Backhaus: "Wir lizenzieren unsere Inhalte u.a. an große Fernsehsender, Nachrichtenportale und Streaming-Anbieter, hingegen können wir einzelne Fälle nicht kommentieren."

Zu der Frage, warum das Video inzwischen gelöscht wurde, schrieb er: "So wie viele Medienhäuser haben auch wir unsere ersten Erfahrungen mit Influencer-Interviews gesammelt. Überwiegend bewerten wir dies als positiv, damit neue Zielgruppen zu erreichen und manche Themen in einfacher Sprache vermitteln zu können. Aber es gibt natürlich auch Fälle, wo wir mit dem Endergebnis nicht zufrieden sind."

Wer zahlt, entscheidet über Bewertungen

Zudem wirbt Schuller mit seinen Auszeichnungen und Top-Bewertungen, die von ProvenExpert verliehen wurden - ein Bewertungsportal, das immer wieder in der Kritik steht. So häufen sich auf dem Konkurrenzportal trustpilot Beschwerden, dass auf ProvenExpert negative Bewertungen oft nicht angezeigt werden.

Zwar erklärt ProvenExpert: "Authentische Bewertungen sind die wirkungsvollste Werbung der Welt." Allerdings heißt es dort auch für die Kunden: "Sie entscheiden - in jeder Hinsicht: Wer Feedback geben darf, ob und welche Bewertungen Sie veröffentlichen und noch vieles mehr."

Die zu bewertenden Firmen können sich zudem gegen Gebühr Funktionen freischalten lassen, die die Relevanz der Bewertungen weiter infrage stellen. So enthält das ab 99,99 Euro pro Monat erhältliche "Premium"-Paket eine Funktion, mit dem der Zahlende Bewertungen aus anderen Quellen hinzufügen kann, die dann von ProvenExpert nicht mehr überprüft werden.

Screenshot von provenexpert.com

Nur Bestnoten trotz erkennbaren negativen Bewertungen - ProvenExpert will diesen Widerspruch nicht erklären.

Widersprüche bei den Top-Noten

Schuller hat auf ProvenExpert die Bestnote 5,0 - nicht nur als Gesamtbewertung, sondern auch in den Einzelkategorien Qualität, Nutzen, Leistungen, Ausführung, Beratung, Kundenservice, Persönliches Auftreten, Leistungsspektrum und Fachkompetenz. Das verwundert umso mehr, da es durchaus auch negative Bewertungen Schullers auf dem Portal gibt. Diese sind aber offenbar nicht in die Berechnung eingegangen.

Auf Anfrage des ARD-faktenfinders, warum die negativen Bewertungen nicht in die Gesamtnote eingingen und wie überprüft wird, ob es sich um Einschätzungen von echten Kunden handelt, antwortete das Unternehmen nicht - ebenso wenig dazu, nach welchen Kriterien das Siegel "Proven Expert" verliehen wird und wie man auf die Kritik von Anwendern reagiert, dass ihre negativen Bewertungen nicht angezeigt wird: "Selbstverständlich können wir weder zu Interna des betrieblichen Ablaufs noch zu unseren Kunden Auskünfte erteilen, dass verstehen Sie sicherlich."