Die Strafprozessordnung (StPO), das Strafrecht und das Strafgesetzbuch (StGB) stehen vor Gericht auf einem Tisch.
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Deal mit Russland Gefangenenaustausch rechtlich einwandfrei?

Stand: 01.08.2024 19:32 Uhr

Der "Tiergartenmörder" ist im Austausch mit deutschen und US-amerikanischen Gefangenen aus der Haft entlassen und nach Russland gebracht worden. Rechtlich handelt es sich um eine Abschiebung. Ist das zulässig?

Von Kolja Schwartz und Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion

Darf ein Verurteilter für den Gefangenenaustausch vorzeitig aus der Haft entlassen werden?

Es gibt in Deutschland keine expliziten Regelungen zu einem solchen Gefangenenaustausch. Klar ist auch: Die Entscheidung für diesen Austausch ist eine politische. In der Strafprozessordnung (StPO) gibt es aber eine Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe abzusehen. Also darauf zu verzichten, dass der Verurteilte seine Strafe weiter absitzt. Diese Norm, den § 456a der StPO hat man nun herangezogen, um den Gefangenenaustausch möglich zu machen.

Welche Voraussetzungen gibt es für das Absehen von der Strafvollstreckung?

§ 456a der StPO sieht unterschiedliche Möglichkeiten vor, wann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe abgesehen werden kann. Unter anderem ist das dann möglich, wenn der Inhaftierte, dem die Strafe erlassen werden soll, aus Deutschland "abgeschoben wird". Die Abschiebung ist in diesem Fall also zunächst die Voraussetzung, die man prüfen muss. Weitere Voraussetzungen, die daneben zu prüfen sind, nennt das Gesetz selbst dann nicht.

Ist die Voraussetzung "Abschiebung" gegeben?

Ja, an dieser Voraussetzung scheitert es auf jeden Fall nicht. Bei Menschen, die in Deutschland wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden, liegt nach dem Aufenthaltsgesetz ein klares Ausweisungsinteresse vor. Und: Vadim Krassikow droht in Russland auch keine unmenschliche Behandlung, die einer Abschiebung entgegenstehen würde, sondern eher das Gegenteil. Hier soll eine Abschiebeverfügung der zuständigen Behörde in Straubing vorgelegen haben, sodass diese Voraussetzung der StPO für ein Absehen von der Vollstreckung der Strafe in Deutschland erfüllt ist. Und Krassikow ist ja dann mit dem Austausch auch direkt aus der Haft heraus abgeschoben worden.

Ist dann rechtlich alles in Ordnung?

Nach dem reinen Gesetzeswortlaut ja. Aber ob dieser Paragraf für solche Fälle gedacht ist, ist zumindest sehr zweifelhaft. In der Regel sieht man bei einer Abschiebung von der weiteren Vollstreckung ab, wenn ein großer Teil der Strafe bereits vollstreckt wurde. Krassikow ist wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht hatte die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Seit der Tat am 23. August 2019 saß er im Gefängnis. Zunächst in Untersuchungshaft, dann in Vollstreckungshaft. Insgesamt hat er also nur knapp fünf Jahre im Gefängnis verbracht und damit etwa 20 Jahre weniger als bei solchen Verurteilungen üblich. Ein so frühes Absehen von der Strafvollstreckung könnte möglicherweise auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen.

Was sagt die Europäische Menschenrechtskonvention dazu?

In der EMRK steht in Artikel 2 das Recht auf Leben. Dieses verpflichtet die Mitgliedstaaten auch dazu, Menschen in ihrem Hoheitsgebiet vor Tötungsdelikten zu schützen und Taten gegen das Leben zu verfolgen und entsprechend zu ahnden. Man kann hier zumindest darüber streiten, ob diese Schutzpflicht verletzt wird, wenn ein wegen Mordes rechtskräftig verurteilter Mensch nach nur knapp fünf Jahren in die Freiheit entlassen wird.

Wer ist für die Entscheidung zuständig?

Nach der StPO trifft die Strafvollstreckungsbehörde die Entscheidung, ob von der weiteren Vollstreckung abgesehen wird. In dem Fall von Krassikov ist das der Generalbundesanwalt. Aktueller Generalbundesanwalt ist Jens Rommel. Bei der Entscheidung hat er ein Ermessen. Nach Informationen aus dem Bundesjustizministerium soll Rommel jedoch nach der Ermessensprüfung zu dem Ergebnis gekommen sein, nicht von der Vollstreckung der weiteren Haft absehen zu wollen. Daraufhin hat Bundesjustizminister Marco Buschmann ihm eine schriftliche Weisung erteilt, von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Dies zeigt noch einmal deutlich, dass es sich hier um eine hochpolitische Entscheidung handelt.

Durfte der Justizminister dem Generalbundesanwalt diese Weisung erteilen?

Grundsätzlich ist der Generalbundesanwalt, wie andere Staatsanwaltschaften in Deutschland auch, weisungsgebunden. Dies ergibt sich aus den Paragraphen 146 und 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Nach § 146 GVG haben "die Beamten der Staatsanwaltschaft (…) den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen". Eine Weisung muss aber immer rechtmäßig sein, darf also keine gesetzlichen Vorschriften verletzen. Nach § 147 GVG übt der Bundesjustizminister das Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt aus.

Bisher gibt es in Deutschland keine klaren Regelungen, wie weit das Weisungsrecht geht und wie es genau ausgestaltet sein muss. Es gibt allerdings einen Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Buschmann, nach dem das geändert werden soll. Aus dem Weisungsrecht folgt, dass der Bundesjustizminister die politische Verantwortung für die Tätigkeit des Generalbundesanwalts trägt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. August 2024 um 20:00 Uhr.