Umfrage des DIW Jobcenter-Mitarbeiter üben massive Kritik am Bürgergeld
Eine Mehrheit von Jobcenter-Beschäftigten hält das Bürgergeld einer neuen Umfrage zufolge für zu hoch. Die Studie des DIW und der Uni Bochum zeigt: Beim SPD-Prestigeprojekt ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
"Das Bürgergeld wird eine der größeren Sozialreformen seit 20 Jahren", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil an einem Morgen im Oktober 2022. Der Bundestag sprach über die Einführung des Bürgergelds - ein Thema, das dem Minister am Herzen liegt.
Es solle kein bedingungsloses Grundeinkommen werden, erklärte er. Aber bei den Sanktionen werde man sich auf die hartnäckigen Fälle konzentrieren, bei denen es angebracht sei: "Der Geist der Bürgergelds ist ein anderer: Es ist der Geist der Ermutigung und Befähigung."
18 Monate ist das her. Die SPD hatte beim Bürgergeld viel vor. Es sollte den sozialen Zusammenhalt stärken und denen helfen, die in Not geraten. Es sollte die Wunden heilen, welche die Hartz-Reformen geschlagen hatten, auch in der SPD selbst. Und es sollte den Wählerinnen und Wählern zeigen, dass bei der Partei das Herz links schlägt. Ein voller Erfolg ist das Projekt bisher nicht: Die SPD hadert mit dem Geist, den sie rief.
Skepsis und Ablehnung überwiegen
"Das Bürgergeld hat vor allem ein Imageproblem", sagt Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp, der gerade eine Untersuchung darüber durchgeführt hat. Für die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit der Universität Bochum hat er zusammen mit Kollegen die Antworten ausgewertet, die sie von 1894 Mitarbeitenden aus sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen im Januar und Februar dieses Jahres bekommen haben. Sein Ergebnis: "Bei den Jobcenter-Beschäftigen überwiegt Skepsis und Ablehnung. Sie erkennen nur wenige Verbesserungen."
So lehnt die Mehrheit die Erhöhung des Regelsatzes ab. Das Bürgergeld war zu Jahresbeginn auf 563 Euro für Alleinstehende angehoben worden und damit um etwa 12 Prozent gestiegen. Diese Erhöhung sei zu hoch ausgefallen, finden mehr als 60 Prozent der Befragten.
Fast drei Viertel des Jobcenter-Beschäftigten lehnen mildere Strafen ab
Auch mildere Strafen für Bürgergeldbezieher, die Termine oder Fristen versäumen, lehnen 73 Prozent der Beschäftigten ab. Bisher konnte den Beziehern der Regelsatz bis zu 30 Prozent gekürzt werden, allerdings nur gestreckt über mehrere Schritte und Monate. Inzwischen ist es darüber hinaus möglich, das Bürgergeld für zwei Monate komplett zu streichen. Das gilt seit Ende März, war also während der Befragung noch nicht in Kraft.
"Das Bürgergeld hat die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Jobverweigerern massiv aufgeweicht", kritisiert Stephan Stracke, Sprecher für Arbeit und Soziales der Unionsfraktion, mit Blick auf die Studie. Es brauche eine neue Balance zwischen Fördern und Fordern. Die scheint auch die Mehrheit der Beschäftigten in den Jobcentern zu vermissen, seit das Bürgergeld eingeführt wurde. Ihnen zufolge sind Bürgergeldbezieher schlechter erreichbar (sagen 59 Prozent der Befragten), weniger motiviert (59 Prozent) und machen weniger mit (62 Prozent). Die Anreize hätten sich verschlechtert, eine neue Stelle aufzunehmen (63 Prozent).
"Die Kritik ist ein Warnsignal"
"Die Kritik der Jobcenter-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ein Warnsignal, das wir ernst nehmen müssen", sagt Pascal Kober, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Liberalen. "Es wäre fahrlässig, sich aus parteipolitischen Interessen heraus der Lebensrealität in den Jobcentern zu verschließen." Die FDP hatte erst kürzlich schärfere Sanktionen beim Bürgergeld in einer Beschlussvorlage für ihren Parteitag gefordert.
Beim Bürgergeld muss die SPD nun also die Fliehkräfte in der Ampel ausgleichen. Das Sozialministerium erklärt in einer ersten Reaktion, dass ihnen die Studie noch nicht vorliege, es aber für ein Urteil über die Wirksamkeit der Neuregelungen noch zu früh sei. Für die Studie seien auch nur sieben Jobcenter in NRW befragt worden, das Ministerium erhalte aber aus Jobcentern überwiegend die Rückmeldung, dass die Neuregelungen grundsätzlich begrüßt würden. Das Ministerium verweist zudem darauf, dass man bei der neuen Berechnung des Regelsatzes auch Vorgaben des Verfassungsgerichts umgesetzt habe und es als Sanktion nun möglich sei, das Bürgergeld für zwei Monate vollständig zu entziehen.
Für Heidi Reichinnek, sozialpolitische Sprecherin der Linken, ist klar: "Sanktionen verstärken das Misstrauen der Betroffenen in den Staat und grenzen sie noch weiter aus der Gesellschaft aus. Statt Sanktionen braucht es Begegnung auf Augenhöhe."
Forscher fordert bessere Kommunikation
Neun Seiten kurz ist die Zusammenfassung der Studie. Welch lange Diskussion die Zahlen auslösen können, ist Sozialwissenschaftler Schupp bewusst - auch wenn sich durchaus positive Aspekte in der Untersuchung finden. Die höheren Regelsätze für Kinder befürworten die Jobcenter-Mitarbeiter ebenso (55 Prozent Zustimmung) wie das verbesserte Coaching-Angebot für Langzeitarbeitslose (78 Prozent) und die Einführung einer Bagatellgrenze für Rückforderungen (47 Prozent).
Schupp warnt vor "wohlbekannten Klischees und Stereotypen" in der Debatte über Bürgergeldempfänger und davor, direkte Handlungsempfehlungen aus der Untersuchung abzuleiten. Das wäre zu kurz gesprungen, sagte er, die Befunde der Studie seien nicht repräsentativ und könnten nur einen ersten Puzzlestein darstellen. Mit neuen Konzepten solle gewartet werden, bis umfassendere Forschungsergebnisse vorliegen. Das sei voraussichtlich im Herbst der Fall. Die beste politische Reaktion sei, den Umbauprozess besser zu erklären: "Die Kommunikation muss verbessert und die Debatte versachlicht werden."