Matthias Miersch
analyse

SPD-Sonderparteitag Mit Bierdeckeln gegen Merz' Vorsprung

Stand: 11.01.2025 21:32 Uhr

Die Sozialdemokraten haben sich beim Parteitag in Wahlkampfstimmung gebracht. Angesichts schlechter Umfragewerte setzen sie gegen CDU-Chef Merz auf Attacke - und kramen die Bierdeckel raus.

Eine Analyse von Anne-Katrin Mellmann, ARD Hauptstadtstudio

"Es wird hart, es wird kalt in diesem Wahlkampf", ruft Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig den 600 SPD-Delegierten zu. Darum appelliert sie an das "heiße sozialdemokratischen Herz". Auf Bildschirmen sind Herzen auf rotem Hintergrund zu sehen, manche pulsieren sogar.

Neben hart und kalt werde es auch turbulent, schließt der Parteivorsitzende Lars Klingbeil an und erinnert mit mahnenden Worten an die politische Entwicklung im Nachbarland Österreich, wo die rechtspopulistische FPÖ mit der Regierungsbildung beauftragt ist.

Der Gegner heißt klar Friedrich Merz

Die SPD hat ihren Gegner in Deutschland klar ausgemacht und der heißt Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union. Der sei ein "Spitzenkandidat im Winterschlaf", findet Klingbeil, derzeit "gut versteckt". Die Union habe Angst, dass die Menschen Merz kennenlernen. "Je mehr den kennenlernen, desto schlechter ist es für sie".

Geballte fünf Stunden Sonderparteitag sollen reichen für den Wahlkampf-Motivationsschub der Sozialdemokraten. Kontroversen, die den Betrieb aufhalten könnten, sind nicht erkennbar. Die Delegierten nutzen die knappe Zeit effektiv - nicht nur um Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten zu küren, sondern vor allem, um sich auf ihn einzuschwören.

Debatte um Pistorius scheint vergessen

Die Rede von Verteidigungsminister Boris Pistorius wirkte wie ein Loblied auf Scholz. Pistorius erinnerte an die Krisen und Kriege sowie daran, dass es Scholz war, der die Zeitenwende ausrief. Und getan habe "worauf es ankommt: zu führen und voranzugehen, ohne in Alarmismus zu verfallen, ohne Angst zu machen." Das sei das, was die Menschen von "uns Sozialdemokraten zu Recht erwarten".

Die Debatte um Pistorius als Alternative zu Scholz scheint vergessen. Abgehakt. Stattdessen ist der Blick nach vorn gerichtet: Wahlkampf kommt von kämpfen, und das will die SPD nun mit allen Kräften, vor allem will sie aufholen. Gelingen soll das unter anderem durch Attacken auf den Gegner Merz.

Bei dem Thema wird auch Scholz energisch: Mit Begriffen wie Klarheit, Erfahrung und Besonnenheit grenzt er sich von seinem Kontrahenten ab. All das brauche es, um das Land durch die "ernste Zeit" zu führen: "Jetzt ist nicht die Zeit für Sprücheklopfer. Jetzt ist nicht die Zeit für die uralten Rezepte. Jetzt ist nicht die Zeit für Politik auf dem Rücken der ganz normalen Leute." Kurz: Es sei nicht die Zeit für CDU und CSU in Deutschland, sagt Scholz und erntet dafür begeisterten Applaus.

SPD verspricht Steuererleichterungen ...

Varianten- und ideenreich sind die zahlreichen Attacken gegen Merz. Gleich im Anschluss an Scholz spricht Anke Rehlinger, die Ministerpräsidentin des Saarlandes. In verrückten Zeiten wolle niemand, dass das Jahr so verrückt werde, "dass schon Mitte Februar der Merz kommt". Also sei Kampf angesagt, das sei "besser für dich und besser für Deutschland", sagt Rehlinger und greift damit ein Wahlkampfmotto auf, das bald überall zu lesen sein wird.

Dahinter verbergen sich unter anderem die Steuererleichterungen, die das Wahlprogramm verspricht. Ohne eine Gegenstimme wird es auf dem Parteitag verabschiedet. Generalsekretär Matthias Miersch hat zum Thema Steuerpläne einen Bierdeckel mitgebracht, auf dem die Rechnung für eine vierköpfige Familie mit einem Bruttoeinkommen von 75.000 Euro steht: Im Jahr soll sie bis zu 3.000 Euro sparen.

... und kostenloses Schulessen

Weniger Steuern sind ein Posten, kostenloses Schulessen ein anderer. Wieder eine Anspielung auf den Gegner Merz, der vor nunmehr 22 Jahren versprach, dass die Steuererklärung auf einen Bierdeckel passen solle. Das ist zwar nicht neu, aber was ist schon neu in diesem Wahlkampf?

Neben "Mehr Netto vom Brutto" wollen die Sozialdemokraten "kraftvoll" investieren: in Bildung, Infrastruktur, die kriselnde Wirtschaft. Wenn Unternehmen in Deutschland zum Beispiel Maschinen und Geräte anschaffen, soll nach dem Wahlkampfversprechen der SPD eine Investitionsprämie gezahlt werden.

Jubel und ein Strauß knallroter Gerbera

Auch an diesem Punkt grenzen sich die Sozialdemokraten klar ab vom Wahlprogramm des Gegners CDU/CSU. Denn das sieht unter anderem vor, die Unternehmenssteuern zu senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. "Abenteuerlich" nennt Co-Parteichefin Saskia Esken diesen Punkt: "Auch konservative Ökonomen sagen, es widerspricht allen Grundrechenarten. Und ich sage, es widerspricht obendrein den Grundlagen von Gerechtigkeit und Anstand."

In turbulenten Zeiten bleibt sich die SPD treu. Diszipliniert stellt sie sich geschlossen hinter Programm und Kanzlerkandidaten. Die Parteitagsdelegierten schenken Scholz eine überwältigende Mehrheit per Handzeichen, Jubel, der echt wirkt, einen Strauß knallroter Gerbera. Die SPD will die Partei sein, die für Verlässlichkeit steht. Verlässlich sind derzeit vor allem ihre schlechten Umfrageergebnisse: Auch im Januar erreicht sie nur halb so viel wie ihr Gegner Union - und setzt trotzdem auf Sieg.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Januar 2025 um 20:00 Uhr.