"Bürgergeld" ist auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durch eine Brille zu lesen.
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Bürgergeld-Erhöhung Warum sich Arbeit trotzdem lohnt

Stand: 19.10.2023 15:16 Uhr

Das Bürgergeld steigt zu Jahresbeginn. Kritiker meinen, dadurch lohne es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen. Für das ARD-Magazin Monitor hat das WSI-Institut nachgerechnet. Ergebnis: Die Behauptung stimmt nicht.

Von Lutz Polanz und Andreas Spinrath, WDR

Es ist eine alte Debatte, die von der zum 1. Januar 2024 anstehenden Erhöhung des Bürgergeldes um rund zwölf Prozent beim Regelsatz neu entfacht hat: Weil die Sozialleistungen so hoch seien, lohne es sich für Mindest- und Niedriglohnbezieher oft gar nicht mehr zu arbeiten. Das Lohnabstandsgebot werde künftig nicht mehr eingehalten, behaupten etwa führende Politiker der Opposition. 

Laut CDU-Chef Friedrich Merz gehen Menschen dann "nicht zurück in die Beschäftigung, weil sie sich ausrechnen können, dass sie mit staatlichen Transferleistungen am Ende des Jahres mehr herausbekommen, als wenn sie in einer einfachen Beschäftigung arbeiten".

Durchschnittlich 532 Euro mehr bei Alleinstehenden

Tatsächlich aber sind die Haushaltseinkommen von Erwerbstätigen mit Mindestlohn auch nach der anstehenden Bürgergeld-Erhöhung deutlich höher als das Bürgergeld. Das hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für das ARD-Magazin Monitor ausgerechnet.

Bei Alleinstehenden, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, sind es im Durchschnitt 532 Euro mehr, bei Familien mit drei Kindern und einem Mindestlohneinkommen sind es zwischen 429 und 771 Euro mehr - abhängig vom Alter der Kinder. Das liegt vor allem daran, dass auch Geringverdienerinnen und Geringverdiener Anspruch auf zusätzliche Leistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag haben - und zudem einen größeren Freibetrag bei ihrem Erwerbseinkommen.

"Mehr Geld, wenn man arbeitet - zum Teil deutlich mehr"

Verglichen wurden acht unterschiedliche Konstellationen von Haushalten, in denen ein Verdiener in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, mit sogenannten Bedarfsgemeinschaften, die Bürgergeld beziehen und in denen keiner arbeitet. Dabei wurde eine bundesweit durchschnittliche Miete mit Nebenkosten berücksichtigt.

"Wir haben festgestellt, dass man in allen diesen denkbaren Konstellationen mehr Geld hat, wenn man arbeitet, und dass der Abstand teils auch sehr deutlich ist", sagt Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin am WSI. Einen Anreiz, nicht zu arbeiten und stattdessen Bürgergeld zu beziehen, sieht sie daher nicht. Die Berechnungen des WSI für Monitor decken sich in ihrer Aussage mit einer aktuellen Analyse des Ifo-Instituts für die Wochenzeitung "Die Zeit".  

Die folgende Tabelle zeigt die Differenz der Einkommen bei Haushalten, die Bürgergeld beziehen beziehungsweise bei denen ein Haushaltsmitglied in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet. Beim Bürgergeld-Haushalt ist der Satz für die Unterkunft berücksichtigt. Entsprechend wurden beim Mindestlohnhaushalt Leistungen wie die Kosten für die Unterkunft, Kindergeld und andere zusätzliche Leistungen mit eingerechnet.

Einkommen mit und ohne Erwerbstätigkeit ab 2024
Haushaltseinkommen bei Bürgergeld Haushaltseinkommen bei Mindestlohn Differenz 
Single 966 €  1.498 €  532 € 
Alleinerziehende, 1 Kind  (14-17 J.)  1.693 €  2.328€  635 € 
Familie, 3 Kinder (14 -17 J.)  3.514 €  3.943 €  429 € 

Quelle: WSI/Böckler

Erläuterung: Zum Haushaltseinkommen zählen der Bürgergeld-Regelsatz bzw. das Nettoeinkommen sowie alle Ansprüche auf zusätzliche Leistungen wie Kosten der Unterkunft bei Bürgergeld-Empfängern bzw. Wohngeld und Kinderzuschlag bei Haushalten mit geringem Erwerbseinkommen. Die tatsächlichen Wohnkosten sind noch nicht abgezogen.   

Die Erhöhung des Bürgergeldes ist nicht ungewöhnlich, sie folgt einem gesetzlichen Mechanismus. Maßgeblich ist dabei vor allem der starke Anstieg der Verbraucherpreise. Diese stiegen zuletzt infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine deutlich an.

Zudem hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr - mit Zustimmung der Union - beschlossen, die Preisanstiege schneller in die Regelsätze beim Bürgergeld einfließen zu lassen als früher. Daher wurde das Bürgergeld, angelehnt an den Warenkorb von Geringverdienern, zunächst Anfang 2023 angehoben, eine weitere Erhöhung folgt dann 2024.

"Lohnabstand ist praktisch gleich geblieben"

Auf den ersten Blick erscheint die Anhebung der Regelsätze dadurch ungewöhnlich hoch. Tatsächlich haben sich Mindestlohn und Bürgergeld - früher Hartz IV - im Verhältnis aber kaum auseinanderentwickelt. Seit der Einführung des Mindestlohns 2015 ist dieser von 8,50 Euro auf geplante 12,41 Euro Anfang 2024 gestiegen, ein Plus von 46 Prozent. Im selben Zeitraum erhöhte sich der Hartz-IV-Regelsatz - heute Bürgergeld - für Alleinstehende um 41,1 Prozent. Ab 2024 erhalten Alleinstehende nach dem Regelsatz 563 Euro.

"Der Lohnabstand ist damit praktisch gleich geblieben", sagt Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. "Trotzdem reichen das Bürgergeld und auch der Mindestlohn nicht, um ein Leben mit angemessener gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen." Fratzscher plädiert daher für eine "bessere Entlohnung für Geringverdiener". Gleichzeitig müsse der Staat dafür sorgen, dass Menschen, die Bürgergeld beziehen, mehr Möglichkeiten haben zu arbeiten - etwa durch eine bessere Kinderbetreuung für Alleinerziehende.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) hat seine ursprünglichen Berechnungen zum Lohnabstand zwischen Haushalten mit Bürgergeld und Mindestlohn-Bezug im Oktober korrigiert. Wir haben die Daten im Text und der Tabelle entsprechend aktualisiert. Die Zahlen für Singles haben sich in der Tabelle nicht geändert. 

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 21. September 2023 um 21:45 Uhr in der Sendung "Monitor".