Teilnehmende Person des CSD in Pirna mit einem Regenbogenfähnchen am Basecap.
interview

CSD im ländlichen Raum "Wir brauchen Sichtbarkeit"

Stand: 13.07.2024 19:50 Uhr

In der sächsischen Kleinstadt Pirna ist der Christopher Street Day gefeiert worden. Die Polizei spricht von etwa 1200 Teilnehmenden, die Veranstalten vor ungefähr 6000 Menschen. Im Interview erklärt einer der Organisatoren, warum sie das große Interesse vor allem dem neuen AfD-Oberbürgermeister zu verdanken haben.

tagesschau.de: In diesem Jahr wird bundesweit für den CSD in Pirna mobilisiert. Was erwarten Sie?

Hesse: Wir hätten den Marktplatz gerne für 10.000 oder 20.000 Teilnehmende geöffnet. Leider fasst der Marktplatz nur 6.000 Menschen. Wir haben lange mit Polizei und Ordnungsamt gerechnet und geschoben. Aber das ist schon viel, weil die Jahre davor waren es im Durchlauf maximal 2.500 bis 3.000 Besucher gewesen.

Zur Person
Christian Hesse leitet den Verein hinter dem Christopher Street Day Pirna. Der CSD findet seit 2011 jährlich statt und ist der einzige im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.

tagesschau.de: Aktuell erfahren Sie eine große Solidarisierung von außen. Wie nehmen Sie das alles wahr?

Hesse: Prominente wie Hape Kerkeling, Carolin Kebekus und Bettina Böttinger solidarisieren sich mit dem CSD Pirna. Das ist nicht selbstverständlich. Schon gar nicht für eine Kleinstadt im Osten. Für Pirna ist das einfach nur gigantisch.

Dabei kam das ungewollt. Wir haben das große Interesse unserem Oberbürgermeister zu verdanken. Tim Lochner hatte in einem Facebook-Kommentar die Regenbogenfahne mit der Hakenkreuzfahne gleichgesetzt.

"Nichts wäre schlimmer als ein komplett blaues Sachsen"

tagesschau.de: Lochner hatte das Hissen der Regenbogenfahne zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit Mitte Mai verweigert, was dann die Stadtkirche St. Marie übernahm. Lochner schrieb daraufhin, es hätten früher "auch Fahnen mit Kreuz und Haken an der Marienkirche" gehangen. Die Regenbogenfahne sei ein "willfähriges Symbol und zu billige politische Einmischung".

Hesse: Das ging innerhalb von Minuten viral. Die Kölner Dragqueen Meryl Deep hat dann dazu aufgerufen, unseren kleinen Verein zu unterstützen. Sie organisiert nun eine Bustour aus Köln nach Pirna - die "Tour für Toleranz". Wir selbst wollten gar nicht so in den Fokus gestellt werden.

tagesschau.de: Nachdem Lochner als parteiloser Kandidat mit Unterstützung der AfD im Dezember 2023 zum Oberbürgermeister gewählt wurde, hat Ihr Verein allerdings unter dem Motto "Jetzt erst recht" zum Eintritt in "demokratische Initiativen, Vereine und Parteien" aufgerufen. Man solle "für ein solidarisches und weltoffenes Pirna kämpfen".

Hesse: Für uns als demokratische Vereine ist es wichtig, dass die Demokratie aufrechterhalten wird. Nichts wäre schlimmer als ein komplett blaues Sachsen, wo dann die Vereinsarbeit komplett erschwert würde - sei es jetzt für den CSD, für die AG Asylsuchende oder andere Vereine hier in Pirna. Wir schauen besorgt auf den September. Dann findet in Sachsen die Landtagswahl statt und in Pirna nimmt der neu gewählte Stadtrat seine Arbeit auf.

Stadtgesellschaft zwiegespalten beim CSD

tagesschau.de: Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus Pirna selbst?

Hesse: Einer der Gastronomen am Markt hat das Zepter in die Hand genommen. Er hat gesagt: Wir Marktgastronomen möchten und müssen euch bei diesem großen CSD einfach unterstützen. Jetzt stemmen sie die ganze Logistik. Allein könnten wir als Verein nicht diese Massen bewirten.

tagesschau.de: Wie wird der CSD sonst in der Stadtgesellschaft wahrgenommen? 

Hesse: Wir brauchen Sichtbarkeit, um als queere Menschen wirklich frei leben zu können in Pirna. Niemand soll das Gefühl haben müssen, dass er schiefe Blicke bekommt, wenn er oder sie mit Partner oder Partnerin Hand in Hand durch die Gassen läuft oder man sich küsst.

Wir merken aber, dass die Stadtgesellschaft da zwiegespalten ist. Wenn die Lokalzeitung ihre Berichte zum CSD teilt, finden sich darunter viele Kommentare wie: Muss das sein? Die schon wieder? Und es gibt eben viel Unterstützung. Ein wunderbares Zeichen, heißt es dann.

"Eine Veranstaltung für alle und jeden"

tagesschau.de: Inwiefern geht es auch darum, die Stadtgesellschaft zusammenzubringen? 

Hesse: Der CSD ist eine Veranstaltung für alle und jeden. Wir schließen niemanden aus. Wir hatten all die Jahre hier 70-jährige, 80-jährige Omas und Opas. Die haben mitgetanzt und später gesagt: Herr Hesse, ich hätte nie gedacht, dass man so schön mit Schwulen, Lesben und trans Personen feiern kann.

Wir machen Aufklärungsarbeit auf dem Marktplatz. Viele haben noch Vorurteile im Kopf à la: Der guckt mich an und schon bin ich schwul.

60 bis 70 Prozent der Pirnaer freuen sich jedes Jahr auf den CSD und viele feiern mit uns und unserer Fahne - für die Gleichberechtigung und für die Akzeptanz in der Stadtgesellschaft.

"Viele verstecken sich"

tagesschau.de: Wie ist die Situation im Rest des Jahres?

Hesse: Uns werden keine tätlichen Angriffe oder Anfeindungen von queeren Menschen gemeldet. Zum Glück ist seit der OB-Wahl ruhig geblieben. Aber viele verstecken sich in den sozialen Netzwerken, gerade auf Instagram, TikTok oder Facebook. Denn dort hagelt es teils massive Beschimpfungen durch Mitmenschen.

tagesschau.de: Bei vergangenen Ausgaben des CSD wurde ihre Bühne aufgeschlitzt, es kam mehrfach zu Störungen. Wie gehen Sie damit um?

Hesse: Die vergangenen Jahre wurde immer Donnerstag auf Freitag die Regenbogenfahne am Rathaus heruntergerissen. 2023 wurde sogar versucht, einen Kabelbinder anzuzünden. In all den Jahren wurden auch die Räumlichkeiten des Vereins von außen bespuckt. Es gab Aufkleber wie: Verpisst Euch!

Wir erstatten da jedes Mal Anzeige bei der Polizei. Das bleibt ohne Folgen, aber wir lassen uns so etwas nicht gefallen.

tagesschau.de: Brauchen Sie dieses Mal ein besonderes Sicherheitskonzept?

Hesse: Das Bündnis Solidarisches Pirna wird eine von der Polizei gesicherte Zubringerdemo vom Bahnhof zum Markt und abends zurück abhalten. Aufgrund der Masse der Menschen müssen wir auch erstmals Sicherheitskontrollen am Markt abhalten. Da geht es eher um mitgeführte Glasflaschen.

Aufklärung über Vorurteile

tagesschau.de: Sie hatten bei vergangenen Ausgaben auch eine Demokratiemeile auf dem CSD, Besucherinnen konnten Politiker dort treffen. Was geschieht dieses Jahr?

Hesse: Ein trans Mann wird seine Geschichte den Menschen nahebringen. Nicht nur bei uns in Pirna denken viele Menschen noch, trans Personen wären krank und gehörten weggesperrt. Oder sie würden alle zwei Wochen das Geschlecht wechseln. Das stimmt alles nicht - und das wollen wir zeigen.

Wir haben viele Organisationen, Parteien und queere Jugendgruppen aus dem Landkreis und aus Dresden eingeladen. Einige werden Statements halten. Es gibt also wieder eine breite Aufklärungspalette. Die AfD und Herr Lochner haben keine Einladung erhalten.

tagesschau.de: Wie geht es nach dem CSD dann weiter?

Hesse: In unserem QueerTreff Pirna, kurz: Q43, bietet der Verein Gerede regelmäßig Beratungen für trans Personen an. Erst vergangenes Jahr haben wir hier den ersten "Kids Trans Treff" ins Leben gerufen, wo sich unterschiedliche Kinder und Jugendliche austauschen können.

In einer Region wie in Ostsachsen denken trans Kinder und Jugendliche oft, sie seien allein mit ihren Problemen. Jetzt gibt es eine gemeinsame Gruppe. Sie sind eben nicht allein. Eine Mitgliedschaft in unserem Verein oder eine Spende würden diese Arbeit absichern.

Das Gespräch führte Thomas Vorreyer für tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 13. Juli 2024 um 11:00 Uhr.