Olaf Scholz und Joe Biden

Harris oder Trump? Wie Deutschland auf Bidens Nachfolge schaut

Stand: 27.07.2024 11:21 Uhr

Seit US-Präsident Biden erklärt hat, dass er nicht für eine zweite Amtszeit kandidiert, ist klar: Im Weißen Haus wird es mit Trump oder Harris einen Wechsel geben. Wie bereitet sich die Bundesregierung vor?

Von Georg Schwarte, ARD Berlin

Der hanseatische Kanzler klang für seine Verhältnisse beinahe elektrisiert. "Ich halte es für sehr gut möglich, dass Kamala Harris die Wahl gewinnt", prognostizierte Olaf Scholz mutig, um gleich nachzuschieben, dass Stand heute jeder überfordert sei, den Ausgang sicher vorherzusagen. Aber der Wahlkampf werde in dieser neuen Konstellation sicher sehr spannend.

Bedeutet im Umkehrschluss: In Berlin hatten sie sich zuletzt wohl ernsthaft Sorgen gemacht, dass Joe Biden gegen Trump verloren hätte.

"Sie weiß, was sie will und was sie kann"

Der Sozialdemokrat Scholz jedenfalls hat durchaus Präferenzen. Zur bisherigen Vizepräsidentin Harris fallen Scholz diese Stichworte ein: kompetent, erfahren. "Sie weiß, was sie will und was sie kann", sagt der Kanzler. Und es klingt, als beschreibe er auch ein bisschen sich selbst. Harris nämlich habe sehr klare Vorstellungen von der Welt und von den Herausforderungen, vor denen wir stehen. Das galt bisher auch für Biden, der für Scholz längst mehr war als nur ein guter transatlantischer Partner.

Der Kanzler hat jede außenpolitische Entscheidung eng mit Biden abgesprochen. Beispiel Ukraine: keine Waffenlieferung, keine Zusage aus Berlin, ohne dass Biden zuvor unterrichtet wurde und zustimmend nickte. Der 81-jährige Biden ist für Scholz längst so etwas wie Mentor und väterlicher Freund geworden. Bei seinem Antrittsbesuch in Washington entdeckten Biden und Scholz damals viele Gemeinsamkeiten.

Das Wahlkampfmotto des damaligen Wahlsiegers Scholz "Respekt", es hat Biden offenbar imponiert. Einem US-Präsidenten, der sich seit Jahrzehnten mit seinem Spitznamen "Average Joe" als Sprachrohr der Mittelschicht, der Arbeiter, der einfachen Leute verstand.

Transatlantikerin aus der Biden-Schule

Jetzt also Kamala Harris. Der Sozialdemokrat Hubertus Heil drückt ihr ganz offen die Daumen und sagt: In ihrem Umfeld habe sie viele Leute, die transatlantisch ticken. Und die bisherige Vizepräsidentin geht darüber hinaus seit jetzt dreieinhalb Jahren durch die Schule des gelernten Transatlantikers Biden.

Als Heil 1972 geboren wurde, war Biden bereits als demokratischer Senator im Amt. In Berlin setzen sie bei Harris auf außenpolitische Kontinuität. Der Kanzler hörte gut zu, als die Vizepräsidentin in diesem Jahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte: "Es ist im Interesse des amerikanischen Volkes, von Europa und der Welt, dass die USA weiter eine globale Führungsrolle und Verantwortung übernehmen."

Trumps Schlachtruf - "America First"

Der Schlachtruf "America First" unter Donald Trump ist da der exakte Gegenentwurf. Gerade erst hat Richard Grenell, der unter Trump in Deutschland US-Botschafter war, Trumps Agenda formuliert: Zu lange habe Washington amerikanische Interessen ignoriert. "Washington ist die Hauptstadt der USA, nicht der Welt", sagte Grenell auf dem Parteitag der Republikaner.

Schon in seiner ersten Amtszeit war es dem damaligen Präsidenten Trump ziemlich egal, was die Deutschen von ihm halten. "Sie mögen mich vielleicht nicht, aber das zeigt nur, dass ich einen guten Job mache", sagte Trump einst mit Blick auf Deutschland. Die Ansage gilt weiter.

"Derzeit fliegt zu viel Testosteron durch die Luft"

Das weiß auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, Anhängerin einer feministischen Außenpolitik und Fan starker Frauen in politischen Führungsämtern. "Einer Welt, in der gerade vielleicht etwas zu viel Testosteron herumfliegt, tun starke Frauen der Politik eher gut", sagt Baerbock mit Blick auf die mögliche Präsidentschaftskandidatin Harris.

Aber was kann Berlin jetzt tun, um sich auf den ungeliebten Wiedergänger Trump oder die Transatlantikerin aus der Biden-Schule vorzubereiten? Der Transatlantikkoordinator der Bundesregierung, der FDP-Politiker Michael Link, sagt seit Längerem, für die Variante Trump, den unberechenbaren Chef-Erratiker gebe es keine simple Blaupause. "Sie können keinen Masterplan schreiben, den man dann auf Knopfdruck abspielen kann."

Links Strategie seit Monaten: viele Gesprächskanäle in die republikanische Partei von Donald Trump aufbauen, Gesprächsfäden zu mächtigen Senatoren und republikanischen Gouverneuren knüpfen. Kurzum: gesprächsfähig sein und attraktive Angebote als Partner für die USA formulieren.

Kanzler Scholz allerdings gibt sich mit Blick auf direkte Kontakte zu Trump öffentlich zugeknöpft. Die Frage, ob er beispielsweise nach dem Attentatsversuch ähnlich wie Kanadas Premier Justin Trudeau Trump angerufen habe, ließ der Kanzler unbeantwortet. Es gebe immer die Möglichkeiten, miteinander zu sprechen. Außerdem kenne er Trump von anderen Gelegenheiten, sagt Scholz sparsam.

Dass der Kopfmensch Scholz mit dem Instinktpolitiker Trump kein unkompliziertes Verhältnis hätte, wissen sie in Berlin. Wie Michael Link ahnen alle deutschen Außenpolitiker, dass dieser Donald Trump wohl nur in seiner Unberechenbarkeit berechenbar ist. "Trump ist ein sehr erratischer Mensch, von dem seine engsten Berater morgens nicht wissen, was er ihnen wieder auftischt", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der SPD-Politiker Michael Roth, schon vor längerer Zeit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Spahn: "Scholz muss gesprächsfähig sein mit Trump"

Andere, wie der Unionsfraktionsvize im Bundestag Jens Spahn, dagegen kritisieren, dass Scholz bisher zu sehr auf Biden gesetzt habe. Spahn ist mit dem Chefideologen der Trump-Kampagne, dem schon erwähnten Ex-Botschafter Grenell, befreundet und sagt: Es sei im nationalen deutschen Interesse für unsere Sicherheit, dass der deutsche Bundeskanzler gesprächsfähig bleibe auch mit den Republikanern.

Deutschland, fordert Spahn, müsse Gemeinsamkeiten auch mit Trump suchen. Laut Spahn habe Trump außenpolitisch als US-Präsident oft richtig gelegen: etwa mit seiner Iranpolitik, der Eindämmung Chinas, der Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben Europas oder auch der Kritik an der Gaspipeline "Nordstream 2".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. Juli 2024 um 23:31 Uhr.