Symbolbild: Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht Minimal besser geschützt

Stand: 23.07.2024 12:00 Uhr

Wie kann man das Bundesverfassungsgericht davor schützen, von Extremisten ausgehöhlt zu werden? Ampelkoalition und Union haben sich auf Maßnahmen geeinigt - allerdings nur auf "punktuelle" Ergänzungen.

Von Claudia Kornmeier, ARD-Hauptstadtstudio

Es geht um den Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor dem Zugriff autoritärer Kräfte. Vor Kräften, die kein Interesse an einer starken Kontrollinstanz haben. Vor Kräften wie jenen, die in Polen und Ungarn an der Verfassungsgerichtsbarkeit sägten, bis dort wenig von ihr übrig blieb.

Für diesen Schutz haben sich Ampel und Union nun zusammengerauft und auf eine Grundgesetzänderung geeinigt. Sie wollen damit das Gericht tagespolitischer Auseinandersetzung dauerhaft entziehen und Bestrebungen vorbeugen, seine Unabhängigkeit in Frage zu stellen.

Inhaltlich ist dabei ein Minimalkonsens herausgekommen - mehr war derzeit nicht drin.

Struktur und Besetzung

Demnach soll die Zahl der Senate (zwei) sowie die der Richter (je acht), ihre Amtszeit (zwölf Jahre) und die Altersgrenze (68 Jahre) ins Grundgesetz aufgenommen werden. Ebenso soll dort eine Wiederwahl ausgeschlossen werden.

Der Gedanke dahinter ist, eine einseitige politische Einflussnahme auf das Gericht zu verhindern, etwa durch die Wahl zusätzlicher, linientreuer Richter oder ein Herabsetzen von Amtszeit oder Altersgrenze, um unliebsame Richter loszuwerden.

Außerdem soll die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ins Grundgesetz geschrieben werden.

All das entspricht den bisherigen Regelungen. Die stehen allerdings nur in einem einfachen Gesetz - dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Durch eine Regelung im Grundgesetz bräuchte es für eine Änderung eine Zweidrittelmehrheit - es wäre also nicht mehr so einfach möglich.

Geschäftsordnungsautonomie

Die Vorschläge entsprechen außerdem im Wesentlichen einem ersten Entwurf. Den hatte das Bundesjustizministerium im April als Gesprächsgrundlage vorgelegt - insbesondere auf Wunsch der Unionsfraktion.

Ein sogenannter "Arbeitsentwurf", also kein Regierungsentwurf, wie alle Beteiligten immer wieder betonten. Denn das Vorhaben soll aus den Fraktionen kommen - nicht von der Bundesregierung.

Neu hinzugekommen ist der Vorschlag, auch die Geschäftsordnungsautonomie des Bundesverfassungsgerichts ins Grundgesetz zu heben. Das Gericht soll seine Arbeitsweise also selbst festlegen können.

In Polen wurde das Verfassungsgericht etwa dazu verpflichtet, Fälle chronologisch nach Eingang statt nach Wichtigkeit abzuarbeiten. Mit solchen Regelungen lässt sich ein Gericht recht einfach als wirksame Kontrollinstanz ausschalten.

Große Leerstelle

Der Entwurf hat eine große Leerstelle: die Wahl der Richter mit Zweidrittel-Mehrheit. Das ist derzeit ebenfalls nur in einem einfachen Gesetz festgelegt und soll sicherstellen, dass hinter der Wahl eine breite gesellschaftliche Mehrheit steht. Die Zweidrittel-Mehrheit für die Richterwahl ins Grundgesetz zu schreiben, sieht die Einigung der Regierungsparteien und Union nicht vor.

Es wird also vorerst bei der Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz bleiben - was bedeutet, dass sie mit einfacher Mehrheit abgeschafft werden kann. Ein Risiko, falls sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern. Wegen dieses Risikos begann vor Jahren - zunächst unter Juristen - die Debatte überhaupt erst, ob das Bundesverfassungsgericht besser abgesichert werden muss.

Richterwahl blockierbar?

Denn die Sache hat einen Haken. Hat etwa im Bundestag eine Fraktion mehr als ein Drittel der Stimmen, könnte sie die Wahl einer Richterin oder eines Richters blockieren. Doch für solche Szenarien gibt es Lösungsvorschläge - zum Beispiel: Wird eine Richterwahl im Bundestag blockiert, könnte der Bundesrat als Wahlorgan einspringen und umgekehrt.

Einen solchen "Ersatzwahlmechanismus" greift der Gesetzentwurf auf - allerdings soll es dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und wie er das Modell ausgestaltet.

Befürchtung vor Überfrachtung

Warum bei der Einigung nicht mehr möglich war, lässt sich allenfalls zwischen den Zeilen herauslesen. Ausdrücklich begründet wird die Leerstelle nicht. Durch die Vorschläge würde sich "die Regelungsdichte im Grundgesetz" im Rahmen dessen halten, "was der Stellung des Gerichts angemessen" sei. Die Verfassung werde nicht mit "Detailregelungen" überfachtet und die "nötige Flexibilität" für erforderliche und sinnvolle Anpassungen bleibe erhalten.

In diesen Sätzen der Gesetzesbegründung scheint die anfängliche Zurückhaltung und Skepsis der Union weiter durch. Anfang des Jahres waren die Gespräche fast am Unwillen der Union gescheitert.

Mit etwas Getöse über Ampel-Abgeordnete, die zu vertraulichen Gesprächen unfähig seien, stellte die Union infrage, dass eine Grundgesetzänderung überhaupt notwendig sei. Und wieso gerade jetzt. Von der Parteispitze kam die Ansage, die Gespräche nicht fortzuführen.

Eine überstürzte Absage? Jedenfalls ließ sich die Union relativ schnell doch wieder auf Gespräche und schließlich Verhandlungen mit der Ampel ein - auf Einladung des Bundesjustizministers. Zustimmung fanden am Ende dennoch nur "punktuelle" Ergänzungen.

Dagmar Pepping, ARD Berlin, tagesschau, 23.07.2024 13:13 Uhr