Autos fahren an einem Schild mit der Aufschrift "Luftreinhaltung" vorbei.

Gerichtsurteil zu Luftreinhalteprogramm Bundesregierung zum Nachbessern verurteilt

Stand: 23.07.2024 19:08 Uhr

Das bisherige Luftreinhalteprogramm der Bundesregierung beruht teils auf veralteten Annahmen und muss nachgebessert werden. Die Deutsche Umwelthilfe sieht dieses Gerichtsurteil als Erfolg - und will nachlegen.

Von Alexander Holzer, ARD Rechtsredaktion

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat heute geurteilt, dass die Bundesregierung mehr für saubere Luft tun muss. Das derzeitige Luftreinhalteprogramm der Bundesregierung erklärten die Richterinnen für unzureichend. Nun muss das Kabinett eine Strategie vorlegen, mit der gesundheitsschädliche Luftschadstoffe wirksam und sicher gemindert werden kann.   

2019 verabschiedete die Bundesregierung das nationale Luftreinhalteprogramm (NLRP) und aktualisierte dieses am 15. Mai 2024. Die Deutsche Umwelthilfe hatte bereits im Jahr 2020 dagegen geklagt. 

Unzureichende Maßnahmen als Grundlage

Das Konzept beruht auf einer Richtlinie der Europäischen Union, die die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Luftschadstoffe zu verringern. Die Staaten müssen nationale Programme erstellen, durch die in der Richtlinie vorgegebene Grenzwerte für bestimmte Luftschadstoffe wie Ammoniak, Stickoxide und Feinstaub eingehalten werden können.

Die Bundesregierung geht in ihrem nationalen Luftreinhalteprogramm davon aus, dass Maßnahmen wie der Kohleausstieg 2030, das Gebäudeenergiegesetz oder die Euro-7-Norm ausreichen, um die europarechtlichen Vorgaben in der Zukunft zu erreichen. "Das ist unrealistisch, weil viele Maßnahmen, deren Erfolg die Bundesregierung bereits einkalkuliert habe, nicht mehr in der geplanten Form durchgeführt werden", entgegnet der Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe in dem Verfahren vertrat. Daher zog der Verband gegen den Plan vor Gericht - und bekam mit dem heutigen Urteil zu einem großen Teil Recht.  

Gericht beanstandet überholte Datenlage

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg kritisiert, dass die Annahmen, auf denen das Programm beruht, zum Teil überholt sind. Der Senat bemängelt insbesondere, dass die Prognosen in dem Programm noch davon ausgehen, dass der Einbau von Pelletheizungen laut Gebäudeenergiegesetz aufgrund ihres Ausstoßes von Feinstaub an zusätzliche Anforderungen geknüpft würde. Diese wurden jedoch schlussendlich doch nicht in das Gesetz aufgenommen.

Es wird auch noch davon ausgegangen, dass in Deutschland bis Ende 2029 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht. Mittlerweile ist aber ein vollständiger Ausstieg aus der Kohleverstromung erst für 2038 vorgesehen.

Auch die Euro-7-Abgasnorm lässt höhere Grenzwerte beim Schadstoffausstoß durch PKW zu als von der Bundesregierung vorgesehen. Sie geht außerdem noch von einer staatlichen Prämie für den Kauf von Elektroautos aus. Diese Maßnahme wurde jedoch Ende 2023 nicht verlängert.  

Die Richterinnen beanstanden auch, dass die Bundesregierung im Mai dieses Jahres, als sie das Luftreinhaltungsprogramm aktualisierte, auf Emissionsdaten aus dem Klimaschutz-Projektionsbericht des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2021 stützte. Mit diesen Projektionsberichten schätzt das Umweltbundesamt ein, wie sich die aktuelle Klimaschutzpolitik auf die Treibhausgasemissionen Deutschlands bis zum Jahr 2050 auswirkt.

Als die Bundesregierung das Luftreinhalteprogramm aktualisierte, lag jedoch schon der aktuellere Bericht aus dem August 2023 vor. Diesen hätte die Bundesregierung berücksichtigen müssen, so das Gericht.

Deutsche Umwelthilfe wertet Urteil als Erfolg

Laut Deutscher Umwelthilfe ergibt sich aus den aktuelleren Emissionsdaten, dass die Einhaltung des Zwischenziels 2025 für Stickoxide und die Reduktionsvorgaben für Stickoxide und Feinstaub für 2030 ohne weitere Maßnahmen nicht erfüllt werden können, die über das derzeit geltende Luftreinhaltungsprogramm hinausgehen. 

Zu konkreten Klimaschutzmaßnahmen wird die Bundesregierung aber nicht verpflichtet. Deutschland muss lediglich ein neues Luftreinhalteprogramm entwickeln, das geeignet ist, die EU-Grenzwerte tatsächlich einzuhalten. Wie die europäischen Vorgaben zur Schadstoffbegrenzung erreicht werden können, darüber kann die Bundesregierung auch nach dem Urteil weitgehend frei entscheiden.

Auch ist der Richterspruch noch nicht rechtskräftig, da der Senat aufgrund der Bedeutung der Sache die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen hat. Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, wertet das Urteil dennoch bereits heute als Erfolg: "Es ist uns mit diesem wegweisenden Urteil erstmals gelungen, die Giftstoffe an der Quelle zu begrenzen und die Bundesregierung zu konkreten zusätzlichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz für die Menschen in Deutschland zu verurteilen, um Zehntausende vorzeitige Todesfälle zu verhindern."

Weitere Klagen angekündigt

Auch die Umweltagentur der Europäischen Union stuft Feinstaub als eines der größten Gesundheitsrisiken unter den Umweltbelastungen ein. Laut einem Bericht der Agentur vom November 2023 stehen in Deutschland 32.000 Todesfälle im Jahr 2021 im Zusammenhang mit zu viel Feinstaub in der Luft. Die Feinstaubbelastung sei Auslöser von Herzerkrankungen, Schlaganfällen, Diabetes, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), Lungenkrebs sowie Asthma. 

Das Verfahren ist Teil der Strategie der Deutschen Umwelthilfe, die Bundesregierung durch Klagen zu mehr Umweltschutz zu zwingen. Bereits in zwei weiteren Verfahren hat das OVG Berlin-Brandenburg nach Klagen des Verbandes die Bundesregierung verurteilt, Klimaschutzsofortprogramme vorzulegen. Auch beim Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 war die Deutsche Umwelthilfe eine der Beschwerdeführerinnen.

Nach dem heutigen Urteil kündigte Bundesgeschäftsführer Resch an, weitergehende Maßnahmen wie die technische Nachrüstung von Dieselfahrzeugen, eine Filterpflicht für Holzheizungen und Baumaschinen und eine Reduzierung der intensiven Nutztierhaltung durchsetzen zu wollen.