Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck
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Gutachten zum Etat 2025 Worum es im Haushaltsstreit geht

Stand: 07.08.2024 16:30 Uhr

Überlegungen, die Löcher im Haushalt durch Buchungsmanöver und höhere Schulden zu stopfen, sorgen für Zoff in der Ampel - und für ein Machtwort des Kanzlers in Richtung des Finanzministers. Worum geht es?

Von Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin

Bis zum 16. August will die Bundesregierung dem Bundestag den endgültigen Haushaltsplan für das kommende Jahr zuleiten. Eigentlich. Doch nach wie vor gibt es eine Leerstelle in dem 1.437 Seiten umfassenden Entwurf.

Warum fehlen noch Milliarden im Haushalt?

Nach vielen Diskussionen hatten sich die Ampel-Spitzen Anfang Juli auf einen gemeinsamen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 geeinigt. Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner präsentierten die Ergebnisse nach einer langen Nachtsitzung.

Allerdings enthielt diese Einigung noch einen Arbeitsauftrag. Der betrifft die so genannte "Globale Minderausgabe" - ein Fachausdruck, hinter dem sich die Erwartung verbirgt, dass sich "im Lauf eines Haushaltsjahres nicht alle Projekte verwirklichen lassen", wie es in der Kabinettsvorlage heißt. Der Gedanke: Ein paar Milliarden aus dem gut 480 Milliarden Euro schweren Haushalts würden gar nicht gebraucht.

So weit, so normal - globale Minderausgaben sind Teil fast jeden Haushalts. Der entsprechende Posten wurde im ersten Schritt im Vergleich zu früheren Haushalten aber ungewöhnlich hoch angesetzt, mit 17 Milliarden Euro. Verbunden mit dem Hinweis, dass die Regierung beabsichtigt, diesen Posten bis zur formalen Zuleitung an den Bundestag "deutlich zu reduzieren".

Welche "Kunstgriffe" wurden geprüft?

Ideen zur Reduzierung dieser globalen Minderausgabe stammten aus dem Kanzleramt sowie dem SPD-nahen Berliner Thinktank "Dezernat Zukunft": Zum Beispiel könne der Bund der Deutschen Bahn und der staatlichen Autobahngesellschaft statt der eigentlich vorgesehenen Zuschüsse doch auch Darlehen geben. Diese Darlehen würden, da ihnen eine Forderung gegenübersteht, als "finanzielle Transaktionen" gewertet und damit nicht auf die Schuldenbremse angerechnet.

Das heißt: Die Milliardenlücke würde über zusätzliche Kredite des Bundes finanziert, die Neuverschuldung stiege von bislang geplanten 43,8 Milliarden Euro auf über 50 Milliarden Euro.

Was haben die Gutachten ergeben?

Schon in der Kabinettsvorlage war eine "verfassungsrechtliche und wirtschaftliche" Prüfung der verschiedenen Überlegungen vorgesehen. Ein Gutachten erstellte der Bielefelder Jurist Johannes Hellermann, ein weiteres der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium, der von Ökonomen geprägt ist.

Völlig einig waren sich die Experten in der Bewertung des Vorschlags, übrig gebliebene Gelder aus der Gaspreisbremse umzuwidmen. Die Haushaltslücke könnte so zwar um knapp fünf Milliarden reduziert werden, doch die Gelder stammen aus Krediten, die der Bund unter Berufung auf eine Haushaltsnotlage aufgenommen hat.

Solche Umwidmungen aber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Schuldenbremse vom November für verfassungswidrig erklärt - die übrigen Gelder der Gaspreisbremse zu nutzen, ist also keine Option.

Nicht so einheitlich fällt die Bewertung der beiden anderen Überlegungen aus, der Umwidmung von Zuschüssen an die Bahn und die staatliche Autobahngesellschaft in Darlehen. Der Beirat der Ökonomen erhebt "vor dem Hintergrund der Schuldenbremse" an allen erwogenen Maßnahmen "erhebliche Zweifel". Der Grund: Im Endeffekt müsse der Bund den Schuldendienst für die von ihm vergebenen Kredite ganz oder teilweise selbst übernehmen: Die Autobahngesellschaft habe überhaupt keine eigenen Einnahmen, die Bahn schreibe Verluste.

Auch der Jurist Hellermann äußert Bedenken zu der möglichen Darlehensvergabe, schreibt aber zugleich, dass die "rechtlichen Risiken" durch gesetzgeberische Maßnahmen reduziert werden könnten. So müsste beispielsweise der Autobahn GmbH vor der Gewährung eines Darlehens "Zugang zu originär eigenen Einnahmen eröffnet werden".

Sprich: Der Bund müsste Teile der Mauteinnahmen, die derzeit in den allgemeinen Bundeshaushalt fließen, an die Autobahngesellschaft abgeben. Die Bahn habe ohnehin eigene Einnahmen. Es müsse aber immer deutlich werden, dass es wirklich um ein Darlehen gehe und nicht um einen "verdeckten Zuschuss", so Hellermann.

Wie kommt es zu den politischen Bewertungen?

Kurz nach Bekanntwerden der Gutachten wurde aus Kreisen des Finanzministeriums eine rechtliche Würdigung bekannt. Demnach kann sich das Haus von Christian Lindner zwar kein Darlehen, aber eine erhöhte Eigenkapitalzufuhr an die Bahn vorstellen - das würde die Haushaltslücke schon mal um bis zu 3,6 Milliarden Euro reduzieren.

Die Umwidmung der übrigen Gaspreis-Milliarden hält man im Einklang mit den Gutachtern für unmöglich, aber auch bei einem möglichen Darlehen an die Autobahngesellschaft zeigt man sich im Finanzministerium äußerst skeptisch: Man sehe "keine Möglichkeit", dass hierfür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden.

Ganz anders klingt das bei Bundeskanzler Scholz, der sich aus seinem Urlaub gegenüber "Zeit Online" geäußert hat. Klares Ergebnis: "Das geht" - wobei sich Scholz explizit nur auf das "juristische Gutachten" bezieht, also offenbar nicht auf die Expertise des Wissenschaftlichen Beirats beim Finanzministerium.

Scholz setzt noch einen drauf: Es bleibe für ihn "ein Mysterium, wie das eigentlich klare Votum des juristischen Gutachtens vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte." Ein deutlicher Seitenhieb gegenüber seinem Finanzminister, auch wenn die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann im Nachgang betont: Scholz habe sich nur "in der Sache" geäußert, seine Kritik richte sich nicht an eine Person, "schon gar nicht an den Finanzminister". Die anwesenden Journalisten bei der Regierungspressekonferenz in Berlin überzeugte sie damit aber nicht.

Wie geht es jetzt weiter?

Laut Scholz' Sprecherin Hoffmann werden nun "sehr intensive Gespräche" geführt. Ob es bei einer Korrektur des bisherigen Haushaltsentwurfs vor der geplanten Zuleitung an den Bundestag am 16. August kommt, ob es überhaupt bei dem vorgesehenen Zeitplan bleibt - das lässt sie offen.

Grundsätzlich können Veränderungen auch im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens vorgenommen werden - schließlich ist der Bundestag der eigentliche Haushaltsgesetzgeber. Allerdings hat Finanzminister Lindner erklärt, er werde sich nicht noch einmal auf einen Koalitionskompromiss einlassen, der womöglich vor dem Bundesverfassungsgericht verworfen werde: "Das passiert mir kein zweites Mal." Der Konflikt zwischen den Ampel-Parteien wäre damit nicht gelöst, sondern nur zeitlich verschoben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 07. August 2024 um 07:48 Uhr.