Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner
analyse

Lücke im Haushalt 2025 Fünf Milliarden und viele Fragezeichen

Stand: 05.08.2024 16:13 Uhr

Erneut geht es in der Ampelkoalition um den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr. Fünf Milliarden Euro fehlen. Woher sollen sie kommen? Die Suche nach einer Lösung offenbart die Unterschiede der Koalitionspartner.

Eine Analyse von Lothar Lenz, ARD Berlin

Jetzt sind es also noch fünf Milliarden Euro. Weitere fünf Milliarden, muss man hinzufügen, die nach Aussage von Bundesfinanzminister Christian Lindner noch fehlen, um einen Haushalt für das kommende Jahr auf den Weg zu bringen. Dass der Etatentwurf ohnehin schon eine geplante Neuverschuldung von knapp 44 Milliarden Euro vorsieht, also so viel, wie die Schuldenbremse des Grundgesetzes gerade noch erlaubt, sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt.

Fünf Milliarden Euro also sind noch zu beschaffen. Das ist wenig mehr als ein Prozent des gesamten Etat-Volumens von immerhin 480 Milliarden Euro. Lohnt sich wegen dieses einen Prozents ein heftiger Koalitionsstreit, wie er im politischen Berlin gerade inszeniert wird?

Lindner selbst spielt in diesem Streit die Rolle des äußerlich gelassenen Politikers, der als Bundesminister seine staatspolitische Verantwortung übernimmt und bei der Haushaltsführung die nötige Sorgfalt walten lässt: "Ich habe mich einmal auf einen Koalitionskompromiss eingelassen, der wackelig war und der von Karlsruhe verworfen worden ist. Das passiert mir kein zweites Mal", sagte der FDP-Politiker am Wochenende im ZDF.

Harte Kritik von den Koalitionspartnern

Seine Kontrahenten in der Ampelkoalition dagegen fahren rhetorisch ein schweres Kaliber auf: "Unanständig" sei es, wie Lindner die absehbare Haushaltslücke über die Medien öffentlich gemacht habe, sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Morgenmagazin von ARD und ZDF.

Bereits Ende vergangener Woche hatte Esken ähnlich scharf kritisiert, dass Lindner die verfassungsrechtlichen Bedenken seines Expertenbeirats ausgerechnet an dem Tag publik gemacht habe, an dem der Gefangenenaustausch zwischen Russland und diversen westlichen Staaten die Weltöffentlichkeit in Atem hielt. Lindner, ein Trittbrettfahrer der Aufmerksamkeitsökonomie?

Auch die Grünen sparen nicht mit Kritik: Mit seiner Warnung vor einer immer noch bestehenden Haushaltslücke habe Lindner sich über Koalitionsabsprachen hinweggesetzt, sagte der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der Rheinischen Post - und verwahrte sich zugleich gegen jede Kürzungsdiskussion: Ein "Kaputtsparen beim sozialen Zusammenhalt und beim Klimaschutz wird es nicht geben", sagte Audretsch. Seine Botschaft an Lindner ist kaum verklausuliert: Wer die Höhe der Sozialtransfers kritisiert, der stellt den gesellschaftlichen Konsens in Frage.

Unvereinbare Prioritäten

Aussagen dieser Art machen deutlich, dass es in der Neuauflage des Haushaltsstreits um weit mehr geht als um noch einmal fünf Milliarden Euro für das kommende Jahr. Nein, im Streit um die Finanzen treten die unterschiedlichen - und ganz offenbar unvereinbaren - Prioritäten der drei Koalitionsparteien offen zutage. Von Beginn ihrer Regierungszeit an begleiteten diese Vorstellungen die Zusammenarbeit der Ampel, aber sie wurden bald von den großen Herausforderungen wie der Corona-Bewältigung und der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs überdeckt.

Jetzt aber, bei der Rückkehr vom Ausnahmezustand zu einer neuen Normalität, zu der auch der fortdauernde Krieg in der Ukraine und die Umsetzung der "Zeitenwende" gehören, wird klar: Der weitere Aufwuchs staatlicher Leistungsversprechen ist in Zeiten schwacher Konjunktur kaum noch finanzierbar, wenn Steuererhöhungen oder eine Ausweitung der Verschuldung als Gegenfinanzierung ausscheiden - beides lehnt die FDP kategorisch ab - und wenn gleichzeitig neue, ebenso drängende wie dauerhafte Ausgaben wie die Modernisierung der Bundeswehr oder die klimafreundliche Transformation der Industrieproduktion anstehen.

Zweifelhafte Buchungsvarianten

Die Politik müsste also einen Weg finden, wie die Haushalte für 2025 und der weiteren Jahre denn anderweitig ausgeglichen werden können. Denn der Kompromiss, den die drei Spitzenvertreter der Ampelkoalition Anfang Juli als "Haushaltseinigung" präsentiert hatten, war alles andere als ein ausgewogener und von allen drei Partnern getragener Lösungsvorschlag am Ende von immerhin 80-stündigen Dreier-Verhandlungen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Lindner.

Es war wohl eher der Versuch, über rechtlich zumindest zweifelhafte Buchungsvarianten - SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach von "Kunstgriffen" - einen Burgfrieden zu wahren, der der Öffentlichkeit zumindest den Anschein von Einigungsfähigkeit vermitteln sollte.

Wenn die Kredit-Milliarden für die Bahn-Sanierung nicht als Bundeszuschuss gewährt, sondern als Darlehen ausgezahlt, später dann aber vom Bund getilgt würden, wenn die Autobahn-GmbH, die nicht einmal über eigene Einnahmen verfügt, die Bundesgelder auf dem Papier ebenfalls als Kredit erhielte, wenn nicht verbrauchte KfW-Mittel aus der Gaspreisbremse umgewidmet werden könnten, dann könnte es doch noch mal gelingen, einen Haushalt zu erstellen und den Bürgerinnen und Bürgern weitere Zumutungen zu ersparen?

Keine weitere Niederlage in Karlsruhe riskieren

Es war Finanzminister Lindner, der diese haushaltstechnischen Manöver nicht wirklich für realisierbar hielt und bereits bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz und Habeck Anfang Juli einschränkte, dass er Wissenschaftler um eine verfassungsrechtliche und wirtschaftliche Prüfung bitten werde.

Eine weitere Niederlage in Karlsruhe - wie im November 2023, als das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung den milliardenschweren Klima- und Transformationsfonds quasi aus der Hand schlug - wollte Lindner mit dem Etat für 2025 nicht riskieren. Der Flurschaden wäre auch für das Soliditäts-Image seiner eigenen Partei enorm.

Auch als FDP-Vorsitzendem dürften Lindner deshalb jetzt die kritischen Gutachten seines Expertengremiums gelegen gekommen sein, fordert er doch schon lange ein grundsätzliches Überdenken der Bundesausgaben - ein Einfrieren staatlicher Sozialausgaben etwa und eine neue Priorisierung zugunsten von innerer und äußerer Sicherheit, Bildung, digitaler Infrastruktur, und nicht zuletzt von Wachstum durch die Entlastung von Betrieben und Arbeitnehmern.

Keine strukturelle Lösung zu erwarten

Und wie geht es jetzt weiter? Die drei Koalitionsspitzen werden wohl ein weiteres Mal die Köpfe zusammenstecken müssen, um für die jetzt noch offenen fünf Milliarden Euro eine Finanzierungsmöglichkeit zu finden. Das sollte ihnen gelingen: Allein die Entwicklung beim Bürgergeld und bei der Rente - beides im Etatentwurf für 2025 eher zurückhaltend kalkuliert - dürfte den Bund im kommenden Jahr um etliches stärker belasten als die jetzt im Streit stehenden fünf Milliarden Euro.

Auch für dieses Jahr hatte die Bundesregierung bereits einen Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht, rund elf Milliarden Euro an zusätzlichen Krediten vor allem wegen der gestiegenen Kosten der Grundsicherung. Auch hier ist - wegen der Probleme bei der Arbeitsvermittlung und der anhaltenden Migration - eine wirkliche Entlastung nicht in Sicht.

Dass sich Bundeskanzler Scholz und seine Vize Habeck und Lindner auf eine strukturelle Lösung des notorischen Haushaltsproblems verständigen werden, ist dagegen nicht zu erwarten: Im Osten stehen in wenigen Wochen drei wichtige Landtagswahlen an, und vor dem absehbaren Erfolg der AfD präsentieren sich alle drei Ampel-Parteien wie eingemauert in ihren vertrauten Positionen.

Den Durchbruch zu einer auf Dauer tragfähigen und nachhaltigen Haushaltspolitik hat die selbsternannte "Fortschrittskoalition" nicht geschafft. Und der schrittweise schwindende Widerstand innerhalb der Union gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse lässt erkennen, dass auch die größte Oppositionspartei im Bund erkannt hat: Auch sie wird, im Fall einer Regierungsübernahme im Bund, Geld brauchen. Viel Geld.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 05. August 2024 um 16:05 Uhr.