Robert Habeck, Olaf Scholz und Friedrich Merz im Bundestag
interview

Bundestagswahlkampf "Wählerschaft erwartet inhaltlichen Klartext"

Stand: 21.12.2024 11:30 Uhr

Wie präsentieren sich die Spitzenkandidaten in diesem kurzen Wahlkampf? Es wird nicht reichen, den Gegner herabzuwürdigen, sagt Politologin Münch. Es gehe um verständliche Politik und darum, erschüttertes Vertrauen zurückzugewinnen.

tagesschau.de: Statt eines langen Wahlkampfsommers haben wir nun einen kurzen, komprimierten Wahlkampf - was wird dadurch anders sein?

Ursula Münch: Unter der Kürze leiden vor allem die Parteien, ihre Kandidaten und diejenigen, die für die Parteien in den Wahlkampf gehen. Der Wählerschaft ist die zeitliche Knappheit ziemlich egal - die meisten beginnen ohnehin erst in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl, sich für die Themen und die Kandidaten zu interessieren. Aber der Wahlkampf wird dennoch anders sein als bisher.

tagesschau.de: Inwiefern?

Münch: Relevant und anders ist vor allem, dass der Wahlkampf stärker als zuvor digital ausgetragen wird. Wir wissen, dass ein Teil der Wählerschaft die klassischen Medien - den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Regionalzeitungen wie die überregionalen Tageszeitungen - überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nimmt oder diesen sogar mit großem Misstrauen begegnet. Diese verschiedenen Gruppen werden in den digitalen Netzwerken und Kanälen unterschiedliche Wahlkämpfe erleben.

Ursula Münch
Ursula Münch
Ursula Münch ist seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Sie beschäftigt sich viel mit gesellschaftlicher Spaltung und Polarisierung. Zuvor war sie Professorin für Politikwissenschaft und Dekanin der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München.

Zeitdruck - besonders für die kleinen Parteien

tagesschau.de: Sie sagten, für Wahlkämpfende wird es schwieriger - warum?

Münch: Für die kleinen Parteien ist die Zeit tatsächlich knapp, weil sie erst noch Unterschriften sammeln mussten, um überhaupt fristgerecht ihren Wahlvorschlag bei der Bundeswahlleiterin einreichen zu können. Aber auch für die im Parlament vertretenen Parteien rückt der Wahlkampf zeitlich enger zusammen: Unter großem Zeitdruck werden gerade die Wahlprogramme gefertigt und vorgestellt, für die man sich eigentlich mehr Zeit hatte lassen wollen.

Dazu kommt, dass wir aus einzelnen Regionen Deutschlands hören, dass sich Wahlkämpfende im Dunkeln nicht auf die Straße trauen, weil sie Angst haben, möglicherweise zusammengeschlagen zu werden. Bekanntlich sind bei einem Winterwahlkampf die Tage kurz. Auch das sind Verzerrungen.

tagesschau.de: Die Wahlprogramme unterscheiden sich stark, das ruft nach inhaltlichem Streit - wird es dennoch eher wie oft ein Personenwahlkampf?

Münch: Ich gehe davon aus, dass die Themen stärker im Vordergrund stehen werden als bei der letzten Bundestagswahl. Gleichzeitig wird der jeweilige politischen Gegner mit Themen verknüpft. Der Kanzlerkandidat der Union versucht, das Thema Wirtschaft und die Energiepolitik zu besetzen. Seine politischen Gegner, unterschiedliche Parteien sowohl der linken als auch der rechten Seite, wollen Friedrich Merz in die Mangel nehmen und ihn am Thema Sozialpolitik vorführen nach dem Motto: Der Mann will Euch an die Rente gehen und das Bürgergeld abschaffen.

Und noch deutlicher wahrnehmbar: Die AfD nimmt bezüglich Merz das unzutreffende Wort des "Kriegskanzlers" in den Mund. Das Thema Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Position gegenüber Russland und die Unterstützung der Ukraine wird also an einzelnen Personen festgemacht, dieses nicht ungefährliche Spiel betreibt auch der Bundeskanzler.

"Scholz ist als Kanzler gescheitert"

tagesschau.de: Nun tritt ein Bundeskanzler an, der die Vertrauensfrage gestellt hat und wie geplant verlor - wieviel Vertrauen kann der noch von Wählenden erwarten?

Münch: Interessant war ja, dass er inhaltlich nicht wirklich begründet hat, weshalb er die Vertrauensfrage stellte; er hat lediglich der FDP alle Schuld zugewiesen. Scholz ist als Kanzler gescheitert, nicht nur seine Bundesregierung. Ob er Vertrauen zurückgewinnen kann, daran habe ich durchaus meine Zweifel. Das Vertrauen ist insgesamt erschüttert - das hat auch etwas mit der Art und Weise zu tun, wie die FDP aus der Regierung ausgeschieden ist.

Zunächst einmal geht es den Parteien verständlicherweise darum, bei der Wahl Zustimmung zu bekommen. Die kann man auch kurzfristiger erwerben, Vertrauen ist immer etwas längerfristig. Wie Scholz das machen will, haben wir in der Debatte um die Vertrauensfrage erlebt - indem er ganz stark das Thema soziale Gerechtigkeit angesprochen hat. Mittels sozialer Wohltaten und Versprechen in Bezug auf den Mindestlohn hofft er, an die Erfolge von 2021 anzuknüpfen.

Zudem begibt er sich auf einen schmalen Grat: Er will zwar die Ukraine unterstützen, aber gleichzeitig hängt er denjenigen, die noch mehr für die Ukraine tun wollen als er, das Etikett um, das sei gefährliche Kriegstreiberei. Auf diese Weise versucht er, die Zustimmung derjenigen zu bekommen, die sich Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges machen. Und das scheint zu verfangen.

tagesschau.de: Merz wird ja schon als potenzieller Wahlsieger gehandelt. Rechnen Sie noch mit Wendungen im Wahlkampf, die das ändern könnten?

Münch: Ich rechne nicht mit der ganz großen Überraschung, aber auch nicht mit einem Riesenabstand zwischen Union und SPD. Die Werte der SPD können noch nennenswert nach oben gehen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass das zur Gefahr für die Unionsparteien wird. Den Ampelparteien wird es nach der letzten Legislaturperiode schwerfallen, Vertrauen und Zustimmung zurückzugewinnen.

Bundeskanzler müsse Führungsversprechen einlösen

tagesschau.de: Scholz fällt mit herabwürdigenden Worten gegenüber der Partei FDP auf, der er im Bundestag zuletzt die "sittliche Reife" absprach. Ist das der Klartext, den man lange vermisste?

Münch: Ein Großteil der Wählerschaft erwartet Klartext nicht mit Blick auf das Niedermachen des früheren Regierungspartners und jetzigen politischen Gegners. Von einem Bundeskanzler erwartet man - bei Scholz vergeblich - dass er sein Führungsversprechen einlöst, dass er Klartext über das redet, was seine Politik ist und worin seine Abwägungen bestehen. Viel einfacher ist es, den Gegner politisch abzuwerten. Aber das reicht eben auch nicht, um Wähler anzusprechen. Man erwartet inhaltlichen Klartext mit Blick auf die eigene Position dessen, der immer alles besser als die anderen zu wissen meint.

tagesschau.de: Lassen Sie uns einen Blick auf den Tag nach der Wahl werfen: Welche Koalition halten Sie als Politologin für am wahrscheinlichsten?

Münch: Mit Blick auf die Positionierung vor allem der CSU gegenüber den Grünen spricht viel für eine schwarz-rote Koalition, also Union und SPD. Selbst wenn die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde kommen sollte, wird es vermutlich zahlenmäßig nicht für eine schwarz-gelbe Regierungsbildung reichen.

Eventuell braucht man bei Schwarz-Rot die Grünen noch dazu. Die CSU wird auf jeden Fall versuchen zu verhindern, dass die Grünen mit dabei sind. Nach der Wahl wird man in jedem Fall anders reden und über Koalitionen denken als vor der Wahl. Das ist auch legitim.

Das Gespräch führte Corinna Emundts, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 17. Dezember 2024 um 06:50 Uhr.