Versorgung in Deutschland Wie viele Kliniken braucht das Land?
Ein kurzer Weg ins Krankenhaus kann Leben retten. Sollten also die kleinen und oft defizitären Kliniken in ländlichen Regionen erhalten werden? Oder braucht es weniger, aber dafür große, spezialisierte Häuser?
Die Gemeinde Kloster Lehnin liegt fast an der westlichen Landesgrenze Brandenburgs. Hier leben rund 10.000 Menschen. Es gibt Schulen, Kitas, Bibliotheken und es gab bis zum Jahreswechsel 2020/21 auch ein Krankenhaus. Das hatte mit der "Inneren Medizin" nur eine Fachabteilung und war mit 55 Betten die kleinste Klinik Brandenburgs.
Die Klinik schrieb seit Jahren Verluste: Unter anderem habe "das Krankenhaus einen mit rund 10.000 Einwohnern sehr eingeschränkten Einzugsbereich, der es nicht erlaubt, die hohen Vorhaltekosten zu refinanzieren", heißt es in einer Pressemitteilung, die der Betreiber schon Ende 2019 veröffentlicht und damit auch das Aus verkündet hatte. Das Haus wolle stattdessen die Reha-Abteilung aufstocken.
Das Krankenhaus Lehnin ist damit eines von 20, das 2020 ganz oder teilweise geschlossen beziehungsweise verlegt wurde. Laut Statistischem Bundesamt ging die Gesamtzahl der Betten im Jahr 2020 um 1,5 Prozent zurück.
Mehr als 30 Minuten zur nächsten Klinik
"Die Folge ist, dass in bestimmten Regionen, die Entfernungen der Menschen zum nächstgelegenen Krankenhaus immer größer werden", sagt Klaus Emmerich. Acht Jahre hat er zwei kommunale Krankenhäuser in Bayern geleitet. Besonders groß sind die Auswirkungen von Klinikschließungen seiner Erfahrung nach für Menschen auf dem Land. "Wir haben in Bayern mittlerweile 115 Postleitzahlregionen, in denen die Entfernung zum Krankenhaus mehr als 30 Minuten beträgt." Und das könne über Leben und Tod entscheiden, sagt er. Zum Beispiel, wenn ein Patient nach einem Verkehrsunfall zu verbluten drohe.
Emmerich gehört zum "Bündnis Klinikrettung", dessen wichtigste Forderung der Erhalt aller Krankenhäuser ist. Der Staat solle defizitäre Häuser finanziell auffangen. Und das seien besonders die kleinen: "Jedes Krankenhaus hat bestimmte Kosten für seine medizinisch-technische Ausstattung, zum Beispiel Röntgengeräte. Große Krankenhäuser können das auf 500 oder 1000 Betten verteilen, kleine nur auf 200 oder 100 Betten."
Außerdem könnten große, spezialisierte Krankenhäuser viel mehr Geld verdienen: Spezialisierte Eingriffe seien schließlich lukrativer als allgemeine Behandlungen.
Mehr Zentralisierung?
Um Kräfte zu bündeln und qualitativ hochwertige Behandlungen zu garantieren, plädieren Gesundheitsökonomen immer wieder für eine Zentralisierung der Krankenhauslandschaft in Deutschland - also für das Schließen kleiner Kliniken zur Stärkung der großen Spezialisten.
Das richtet sich vor allem an die Bundesländer, die für die Bedarfsplanung in diesem Bereich zuständig sind. Ihnen empfiehlt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2019 einen Großteil der Krankenhäuser zu schließen. Die Studie fällt ein hartes Urteil, vor allem über kleine Krankenhäuser: "Die Krankenhauslandschaft ist geprägt von Überkapazitäten und unzureichender Spezialisierung. Die gegenwärtige Versorgung ist nicht nur aufgebläht und teuer; die Patienten werden auch viel schlechter versorgt als nötig." So würden statt knapp 1400 Kliniken in Deutschland nur 600 benötigt.
60,2 Betten pro 10.000 Einwohner
Tatsächlich gibt es in Deutschland vergleichsweise viele Krankenhausbetten: Auf 10.000 Einwohner kommen hier 60,2 Krankenhausbetten. Der EU-Durchschnitt liegt laut Eurostat bei 39,3.
Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn fasste das Problem im vergangenen Sommer so zusammen: "Wir haben Überversorgung, vor allem im Ballungsraum. Und wir haben auch manche Unterversorgung. Aber wir haben an zu wenigen Stellen bedarfsgerechte Strukturen."
Spahns Nachfolger im Gesundheitsressort hatte sich schon 2019 für einen Umbau der deutschen Krankenhauslandschaft ausgesprochen. Auf Twitter schrieb Karl Lauterbach: "Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten. Dann hätten wir in anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges. Länder und Städte blockieren."
In Kloster Lehnin ist das Krankenhaus nun seit einem Jahr geschlossen. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung sieht die brandenburgische Landesregierung dadurch nicht gefährdet. "Die nächsten akutstationären Angebote für alle wichtigen Disziplinen mit Notfallversorgung sind in Brandenburg/Havel (29 Minuten), Potsdam (37 Minuten), Ludwigsfelde (30 Minuten) und Treuenbrietzen (33 Minuten)." Die wohnortnahe Versorgung sei damit gesichert.