Ein Mann geht vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorbei.
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Gespräche mit Union und Ländern Worum es beim Migrationstreffen gehen soll

Stand: 09.09.2024 16:07 Uhr

Am Dienstag soll es neue Gespräche der Bundesregierung mit der Union und den Bundesländern zum Thema Migration geben. Wer fordert was - und warum steht das Thema überhaupt wieder im Mittelpunkt? Ein Überblick.

Bundeskanzler Olaf Scholz will beim Thema Migration weiter auf die Union zugehen. Am Dienstag stehen weitere Gespräche für neue Sicherheitsmaßnahmen zwischen Bundesregierung, Union und Ländern an. Ob es wirklich stattfindet, ist aber noch offen. Denn vorab pocht CDU-Chef Friedrich Merz auf die Forderungen seiner Partei.

Was fordert die Union?

Die Union beharrt auf ihrer Forderung nach Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Nur wenn dies Teil des Pakets sei, sei die Fortsetzung der Gespräche sinnvoll, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Thorsten Frei, am Montag im ARD-Morgenmagazin.

Der CDU-Politiker sagte, die Union habe sich ihre politische Meinung gebildet. "Die steht fest. Und zu dieser Meinungsbildung muss jetzt eben auch die Koalition kommen. Dann können wir weitermachen", so Frei.

CDU-Chef Merz hatte der Ampelkoalition bei dem Thema ein Ultimatum gestellt. Merz machte zur Voraussetzung, dass das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP vor einem weiteren Gespräch auf seine Forderungen insbesondere bei den Zurückweisungen eingeht.

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder forderte am Sonntag in der ARD Bericht aus Berlin mit Blick auf die jährlichen Asyl-Erstanträge hierzulande: "Insgesamt muss die Zahl deutlich auf weit unter 100.000 auf Dauer reduziert werden, weil wir tatsächlich überfordert sind" - und dies "nicht nur, was Kitas betrifft und Schulen und Wohnungen". Deutschland sei "auch zum Teil kulturell überfordert", fügte Söder hinzu. "In vielen deutschen Städten fühlen sich auch die deutschen Einwohner gar nicht mehr zu Hause."

Wie ist die Haltung der Bundesregierung?

Um die Zahl der unerlaubten Einreisen stärker einzudämmen, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet.

Die Regierung habe nun zudem ein "Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen entwickelt", hieß es aus Regierungskreisen weiter. Dieses Modell gehe über die derzeit erfolgenden Zurückweisungen hinaus. Faeser habe dies der Unionsfraktion mitgeteilt und vertrauliche Gespräche dazu angeboten.

Wie laufen die Zurückweisungen bisher?

Bundeskanzler Scholz hatte dazu am Sonntag im ZDF gesagt, Zurückweisungen an der Grenze gebe es schon. "Wir haben schon Zurückweisungen an der Grenze, wir haben schon Grenzkontrollen, und ein effektives Grenzmanagement ist etwas, was wir gern weiter und auch mit Unterstützung der Opposition ausbauen wollen", so der SPD-Politiker.

Zurückweisungen an deutschen Landgrenzen gibt es derzeit allerdings nur in bestimmten Fällen, etwa wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt. Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen sind grundsätzlich nur da möglich, wo es Kontrollen direkt an der Grenze gibt. Seit Oktober sind laut Bundesinnenministerium mehr als 30.000 Menschen zurückgewiesen worden.

Mitte Oktober 2023 hatte Bundesinnenministerin Faeser stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet. An der deutsch-österreichischen Landgrenze gibt es solche Kontrollen, die mit der irregulären Migration begründet werden, bereits seit September 2015.

Wie der neue Vorschlag der Bundesregierung zu den Zurückweisungen genau aussieht, blieb zunächst offen. In der Vergangenheit hatte es aus dem politischen Raum unterschiedliche Ideen gegeben, etwa dass diese auf alle Ausländer ohne Ausweispapiere ausgedehnt werden sollten oder auf Asylbewerber, die bereits in einem Land als Schutzsuchende registriert wurden.

Was sagt die Bundesregierung zur geforderten Obergrenze?

FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sagte im Bericht aus Berlin zu den Forderungen, die Zahl der Asyl-Erstanträge auf unter 100.000 zu reduzieren: "Die Zahl kann ich mir zu eigen machen." Er sei in der Migrationspolitik bereit, "dass wir alles tun, was politisch, rechtlich und logistisch möglich ist".

Was fordern die Kommunen?

Kommunen und Landkreise fordern eine deutliche Begrenzung der irregulären Migration nach Deutschland. "Deutschland braucht Kontrolle. Und wenn wir die nicht haben, dann müssen wir unsere Grenzen schützen", sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, im BR.

Die Kommunen seien von der Zuwanderung überfordert, es fehlten Unterkünfte und Personal. Zudem hätten sich Probleme mit Gewaltkriminalität von Zuwanderern verschärft.

Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund tritt für die Begrenzung der Migration ein und fordert mehr Abschiebungen. Es sei richtig, die Anstrengungen zu verstärken, dass Menschen ohne Bleiberecht in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger der Rheinischen Post.

Zur Beschleunigung der Prozesse solle eine "Task Force Abschiebungen" des Bundes eingerichtet werden, regte Berghegger an. Der Vertreter des kommunalen Spitzenverbandes begrüßte zugleich die diskutierten Ideen zur Begrenzung von Migration.

"Die vorgeschlagenen Maßnahmen können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen und gleichzeitig die Sicherheit in Deutschland zu verbessern", sagte er. "Es erscheint sinnvoll, die deutschen Grenzen so lange zu kontrollieren, bis die europäische Asylreform in Kraft ist." Berghegger kritisierte jedoch, dass die Kommunen bei den Gesprächen zwischen Regierung und Opposition nicht dabei seien.

Warum gibt es schon wieder eine Migrationsdebatte?

Der Messeranschlag von Solingen mit drei Toten hatte die Debatte über die Migrations- und Abschiebepolitik Ende August angeheizt. Wenige Tage danach kündigte die Bundesregierung ein "Sicherheitspaket" mit weiteren Maßnahmen an.

Was beinhaltet das "Sicherheitspaket" konkret?

Die Bundesregierung will unter anderem die Leistungen für Asylbewerber streichen, für deren Verfahren ein anderer europäischer Staat zuständig ist und der einer Rücknahme der Betroffenen zustimmt. Sie will Flüchtlinge, die eine Straftat mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begangen haben, einfacher ausweisen. Migranten, die Straftaten begehen, sollen leichter vom Schutz in Deutschland ausgeschlossen werden können. Seinen Schutzstatus soll auch verlieren, wer ohne einen triftigen Grund in sein Heimatland zurückkehrt, etwa für einen Urlaub.

Zur Erhöhung der Sicherheit ist vorgesehen, den Umgang mit Messern im öffentlichen Raum weiter einzuschränken. Ein generelles Messerverbot soll im Fernverkehr mit Bussen und Bahnen, auf Volksfesten und bei anderen Großveranstaltungen gelten. Zudem soll ein Verbot für Springmesser kommen - mit Ausnahmen zum Beispiel für Jäger.

Vorgesehen ist auch, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Islamismus auszuweiten. So sollen Ermittlungsbehörden künftig öffentlich zugängliche Bilder biometrisch mit den Fotos von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen abgleichen dürfen. Diese Gesichtserkennung soll das Identifizieren von gesuchten Personen erleichtern.

Wie geht es weiter mit dem "Sicherheitspaket"?

Vor der neuen Gesprächsrunde legte die Koalition einen Gesetzentwurf zur Umsetzung ihres Sicherheitspaktes vor. "Wir haben geliefert", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der Nachrichtenagentur dpa mit Blick auf den Gesetzentwurf, der nur gut eine Woche nach der Ankündigung des Sicherheitspaketes fertig wurde. "Wir sorgen für mehr Schutz vor islamistischem Terror, striktere Abschiebungen von Gewalttätern, Messerverbote und Gesichtserkennung von Straftätern", so die SPD-Politikerin.

Der Gesetzentwurf aus dem Innenministerium ging als Formulierungshilfe an die drei Ampel-Fraktionen. Diese übernehmen solche Formulierungshilfen üblicherweise und bringen sie dann als eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag. Manchmal nehmen sie vorher noch Änderungen vor. Dieser Weg wird zur Beschleunigung des Verfahrens gewählt. Nach dem Grundgesetz müssen Vorlagen der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zugeleitet werden. Dieser Schritt entfällt bei Vorlagen von Fraktionen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hält eine erste Beratung im Bundestag schon in dieser Woche für möglich. "Jetzt liegt es in den Händen des Parlaments, all das schnell auf den Weg zu bringen", sagte der FDP-Politiker. "Ich werbe weiter für hohes Tempo."

Welche Kritik gibt es?

Amnesty International, die Diakonie Deutschland und 25 weitere Organisationen warnen die Bundesregierung vor Einschränkungen des Asylrechts. In einem öffentlichen Appell heißt es, das Recht, in Deutschland und Europa, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu suchen, gehöre nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zur "DNA unserer Demokratie".

Das Fehlverhalten einzelner Personen dürfe niemals dazu führen, dass "pauschal bestimmte Gruppen von Menschen stigmatisiert, rassifiziert und als nicht zugehörig markiert werden". Vorschläge wie Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen verstießen eindeutig gegen europäisches Recht und menschenrechtliche Grundprinzipien: "Es gibt auch keine nationale Notlage, die ein Hinwegsetzen über diese Grundsätze rechtfertigen könnte."

In vielen EU-Ländern drohten Asylsuchenden ein Leben auf der Straße, Verelendung und willkürliche Haft. Es müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine Abschiebung rechtens sei. Das könne nicht ad hoc an der Grenze entschieden werden.

Die deutsche Amnesty-Generalsekretärin Julia Duchrow warnte, die Bundesregierung dürfe nicht "die Nabelschnur zu Europa durchtrennen", indem sie auf nationale Alleingänge setze und europarechtliche Vorgaben über Bord werfe: "Wer am europäischen Fundament sägt, der steht später vor den Trümmern." Unterzeichner des Appells sind unter anderem der Paritätische Gesamtverband, der AWO Bundesverband, das Deutsche Kinderhilfswerk, die Neue Richtervereinigung und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV).

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 09. September 2024 um 15:42 Uhr.