Nationale Wasserstoffstrategie Hohe Erwartungen an den Energieträger
Die Bundesregierung setzt große Hoffnungen in grünen Wasserstoff. Jetzt will sie ihre Strategie weiterentwickeln - und setzt dabei auf mehr Technologieoffenheit, als es Umweltverbänden lieb ist.
Wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck andere Länder besucht, spricht er ein Thema fast immer an: grünen Wasserstoff. Egal ob in Katar, Namibia, Norwegen oder auch vergangene Woche in Indien: "Ich denke, dass man eine gute Energiepartnerschaft aufbauen kann, und dann produzieren die hier grünen Wasserstoff. Denn Energie ist ja da. Die Sonne knallt. Und die umzuwandeln in Strom und den dann zur Elektrolyse zu nutzen, bietet sich geradezu an."
Mit indischem Solarstrom per Elektrolyse grünen Wasserstoff erzeugen, der dann in Deutschland als Energieträger genutzt werden kann - das ist Habecks Hoffnung. Allerdings: Weitreichende neue Vereinbarungen in Sachen Wasserstoff zwischen der deutschen und der indischen Regierung brachte die Reise nicht. Und so ist die Frage, wo zukünftig all der grüne Wasserstoff herkommen soll, eine der vielen offenen Baustellen der deutschen Wasserstoffpläne.
Wasserstoff soll absehbar fossile Energieträger ersetzen
2020 hatte die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel und mit Federführung von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier die erste Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Wasserstoff soll absehbar vor allem in der Industrie und im Verkehrsbereich fossile Energieträger ersetzen, außerdem überschüssigen Strom speichern. Der schnelle Hochlauf der Technologie ist das Ziel.
Aber die Herausforderungen sind erheblich: Es braucht sehr viel grünen Strom, Investitionen in Elektrolyseure und Wasserstoff-Leitungen, den wasserstoffgerechten Umbau von Industrieanlagen wie Hochöfen und den Aufbau eines Tankstellennetzes im Straßenverkehr - egal, ob nur für LKW oder auch für PKW.
Stark-Watzinger: "Haben unser Ambitionsniveau erhöht"
Jetzt hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie nach langen Diskussionen weiterentwickelt, das Bundeskabinett befasst sich heute damit. FDP-Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erhofft sich einen Schub - durch einen möglichst breiten Einsatz von Wasserstoff: "Wir haben unser Ambitionsniveau erhöht, wir wollen einen schnellen Markthochlauf. Deswegen ist auch der Hochlauf von blauem Wasserstoff wichtig. Und: Wir wollen beim Wasserstoffeinsatz eine Sektorenvielfalt erlauben, damit wir schnell dieses fehlende Puzzleteil der Energieversorgung an den Markt bringen können."
FDP zufrieden - Kritik von Umweltverbänden
Beschleunigung durch Technologieoffenheit: Mit der weiterentwickelten Wasserstoffstrategie ist vor allem die FDP zufrieden. Beispiel Farbenlehre: Grüner Wasserstoff, der nur mit Ökostrom hergestellt wird, soll vor allem durch sogenannten blauen Wasserstoff ergänzt werden. Der wird mit Hilfe von Erdgas erzeugt - in einem Verfahren, bei dem das Kohlendioxid abgespalten und später im Boden gelagert wird.
Umweltverbände sind gegen den Einsatz von blauem Wasserstoff und setzen voll auf den grünen. Christiane Averbeck von der Klimaallianz befürchtet eine verlängerte Nutzung des fossilen Erdgases durch die Hintertür. Und Greenpeace warnt vor schwer kalkulierbaren Folgen einer CO2-Abspeicherung etwa im Meeresboden.
Der aktuell in Deutschland produzierte Wasserstoff ist meistens grau. Das heißt, er wird aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas gewonnen. Beim Herstellungsverfahren, das "Dampfreformierung" heißt, fällt unter anderem Kohlendioxid an. Es entweicht in die Atmosphäre und wirkt als Treibhausgas. Wasserstoff kann auch mit Hilfe von Strom erzeugt werden. Bei dem Verfahren der sogenannten Elektrolyse wird Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Wird dabei Strom verwendet, der durch Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt wurde, gilt der Wasserstoff ebenfalls als grau.
Blauer Wasserstoff
Von blauem Wasserstoff spricht man, wenn das bei der Herstellung aus fossilen Energieträgern anfallende Kohlendioxid aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird, etwa in früheren Gas- und Öllagerstätten. Der Fachbegriff dafür ist "Carbon Capture and Storage", abgekürzt CCS.
Nach Einschätzung der Gaswirtschaft kann mit diesem Verfahren Wasserstoff nahezu klimaneutral hergestellt werden. Das Umweltbundesamt sieht blauen Wasserstoff hingegen kritisch. So würden bei Förderung und Transport von Erdgas weiterhin die Treibhausgase Methan und Kohlendioxid ausgestoßen. Auch sei eine vollständige Abscheidung des CO2 aus dem Abgas nach der Dampfreformierung erforderlich, was aber technisch nicht zu 100 Prozent möglich sei.
Grüner Wasserstoff
Als grün wird Wasserstoff bezeichnet, der per Elektrolyse aus Wasser mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Bei der Herstellung von grünem Wasserstoff entsteht kein Kohlendioxid als schädliches Treibhausgas.
Für das Bundeswirtschaftsministerium spielt grüner Wasserstoff eine zentrale Rolle beim Erreichen der Klimaziele: "Klimafreundlich hergestellter Wasserstoff ermöglicht es, die CO2-Emissionen vor allem in Industrie und Verkehr dort deutlich zu verringern, wo Energieeffizienz und die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien nicht ausreichen."
Wo soll Wasserstoff eingesetzt werden?
Befürworter des Verfahrens betonen, dass bei der Herstellung von blauem Wasserstoff kein Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt und das Verfahren daher klimafreundlich sei. Außerdem stehe absehbar nicht genug grüner Wasserstoff zu Verfügung - weder durch heimischen Ökostrom noch durch den Import von grünem Wasserstoff. Auf blauen Wasserstoff mindestens übergangsweise zu setzen sei daher unerlässlich.
Ebenfalls umstritten ist die Frage, wo Wasserstoff künftig zum Einsatz kommen soll. Auch hier hat sich die FDP weitgehend durchgesetzt, indem die Wasserstoffstrategie einen breitflächigen Einsatz auch im Verkehrsbereich oder beim Heizen zumindest ermöglichen soll. Grüne und Umweltverbände halten dagegen mit Wasserstoff angetriebene Brennstoffzellen-PKW für wenig zukunftsträchtig - ebenso wie die Umrüstung von Heizungsanlagen auf Wasserstoff.
Der Wasserstoff-Experte der Grünen-Fraktion im Bundestag, Felix Banaszak, spricht von einem offensichtlichen politischen Kompromiss mit der FDP. Insbesondere beim Heizen werde Wasserstoff nicht flächendeckend benötigt. "Ob sich solche Heizungen am Ende durchsetzen, hängt aber nicht von der Nationalen Wasserstoffstrategie ab", so Banaszak.
Branche fordert "Initialzündung"
Die Branche begrüßt dagegen den breiten Ansatz in der weiterentwickelten Wasserstoffstrategie - sowohl die Offenheit für blauen Wasserstoff, als auch die vielen potenziellen Einsatzfelder. Allerdings vermisst Friederike Lassen vom Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband in der Strategie konkrete Konzepte für den Markthochlauf.
Die Technologien seien da, aber vieles rechne sich derzeit noch nicht, so Lassen: "Um dieses Henne-Ei-Problem zu durchschlagen, fordern wir die Bundesregierung auf, ein Marktdesign zu schaffen, in dem Anwendungen gefördert werden.“ Aus Lassens Sicht gilt es aus dem Hochlauf von Wind- oder Solarparks zu lernen, der anfangs ebenfalls viel gekostet habe. So brauche es jetzt beispielsweise eine Initialzündung, um breitflächig LKW mit Brennstoffzellen auf die Straße zu bringen.
Die Bundesregierung erhofft sich die schnellsten Erfolge durch den Einsatz von Wasserstoff in der Industrie. Über sogenannte Klimaschutzverträge sollen energieintensive Branchen wie die Stahl-, die Glas- oder die Zementindustrie dabei gefördert werden, ihre Produktionsprozesse schrittweise auf grünen Wasserstoff umzustellen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral wird.
Rechnung mit vielen Unbekannten
Mit der weiterentwickelten Nationalen Wasserstoffstrategie setzt die Ampel-Regierung nun erst recht hohe Erwartungen in den Energieträger. So wird die Zielvorgabe für die heimischen Elektrolysekapazitäten bis 2030 kurzerhand verdoppelt - von fünf Gigawatt auf zehn Gigawatt. Derzeit liegt die Kapazität der deutschen Anlagen bei etwa 0,1 Gigawatt.
Und wenn alles nach Plan läuft, müssten im Jahr 2030 rund zwei Drittel des hier benötigten grünen Wasserstoffs importiert werden. Bislang wird der Energieträger global aber nur in sehr kleinen Mengen gehandelt. Eine Rechnung mit vielen Unbekannten - eine Importstrategie soll erst noch erarbeitet werden.
Forschungsministerin Stark-Watzinger ist aber zuversichtlich: "Es ist weltweit das Bewusstsein da, dass wir klimaneutral werden müssen." Das gelte sowohl für die möglichen Anbieter als auch die Importländer. "Insofern haben wir gemeinsame Interessen. Und das ist immer gut."